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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Gründungsschwindel verlor es sofort und reißend an Geschmack und an Güte, und wenn es sich auch nach dem „Krach“ wieder etwas verbessert hat, so giebt es doch immer noch viel zu klagen.

In Berlin wurde ehedem ein gutes, ja vortreffliches „Baierisch“ verschänkt. Eine Reihe hiesiger Brauereien, wie die von Schwendy, Lipps, Ahrens, Wagner, Patzenhofer, lieferten ein Fabrikat, das in Stadt und Provinz einen wohlverdienten Ruf genoß. Auch das „Actienbier“ vom Tivoli hatte zahlreiche Liebhaber. Tivoli, 1857 begründet (nicht „gegründet“), war lange die einzige Actienbrauerei; erst 1869 trat Friedrichshain, vormals Lipps, hinzu – eine bloße Umwandelung; schon eine Vorgründung, besorgt von Banquier Rauff, Justizrath Hinschius, Commerzienrath Gilka und Genossen.

Die hiesigen Brauereien vermochten den Bedarf nicht entfernt zu decken; in jedem Sommer zeigte sich Biernoth; das ganze Jahr hindurch wurden von nah und fern, aus der Umgegend und aus ganz Deutschland gewöhnliche Lagerbiere und „echte“ Biere eingeführt. – Hier lag ein wirkliches (nicht blos, wie bei den Wohnungen, ein scheinbares und künstlich gesteigertes) Bedürfniß vor und konnte daher den Gründern nicht entgehen. Zugleich mit der „Wohnungsfrage“, nahmen die Gründer auch die „Bierfrage“ in die Hand und lösten sie nach ihrer Weise.

Noch vor Ausbruch des Actiengesetzes, und natürlich in Voraussicht desselben, wurden im Frühjahr 1870 zwei Brauereien in „Commanditgesellschaften auf Actien“ – damals die bequemere, weil leichter erreichbare Form – verwandelt: Unions-Brauerei, früher Gratweil und Böhmisches Brauhaus, dem Gerichts-Assessor a. D. Knoblauch gehörig. – Hermann Geber, auch hier wieder der Erste auf dem Platz, „gründete“ in Verbindung mit den Banquiers Julius Guttentag und Georg Sackur sowie dem Rechtsanwalt Hecker – seinen Freund Hermann Gratweil, der sich alsbald selber zu einem flotten Gründer entwickelte, beziehentlich bei verschiedenen, eigentlich Geber’schen Gründungen hülfreiche Hand leistete. – Armand Knoblauch ließ sich gründen von F. W. Krause u. Comp., Commerzienrath Victor Ludwig Wrede, Gustav Gravenstein, Fabrikbesitzer Gustav Schöpplenberg und Justizrath Ahlemann.

Am 11. Juni 1870 explodirte das Actiengesetz, und nun kamen die übrigen Brauereien an die Reihe; eine nach der andern wurde „gegründet“. Wir classificiren sie wie folgt:

A. Nicht zu böse Gründungen:

Friedrichshöhe, vormals Patzenhofer. Verfasser: Banquier Anton Emil Wolff (Hirschfeld u. Wolff), Banquier Paul Heimann (Marcus Nelken u. Sohn), Generalconsul Ascher Salinger (Gebrüder Arons) etc. Cours circa. 90;

Schultheiß. Verfasser: Commerzienrath Wilhelm Herz, Consul und ehemaliges Reichstagsmitglied Gustav Müller, Consul George Marchand, Commerzienrath Benjamin Liebermann, Oskar Hainauer, Julius Schiff, Adolf Rösicke, Richard Rösicke. Cours noch circa 100.

B. Ziemlich böse Gründungen:

Bock, früher G. Hopf. Gründer: Commerzienrath Meyer Cohn, Julius Alexander, Dr. Otto Hübner, Fabrikant Hermann Reimann etc. Cours circa 50;

Moabit, früher Moritz Ahrens. Gründer: Josef Pincuß (Feig u. Pincuß), Bernhard Friedheim, Karl Deibel, Julius Grelling (Gebrüder Grelling). Aufsichtsräthe respective „Revisoren“: Regierungsrath a. D. Albert Bühling, Dr. Georg Kurs, Dr. Hermann Rasche, Aron Aumann. Cours circa 50.

C. Entschieden böse Gründungen:

Schöneberg, vormals Heinrich Schlegel. Gründer: Hermann Schuster, Gustav Löwenberg, Aron Aumann, Karl Coppel, Ludwig Max Goldberger, Adolf Martini, Fabrikbesitzer Emil Moritz Rathenau. Cours circa 30.

Adler, vormals G. Schwendy. Gründer: Hugo Wolff, Hermann Frenkel, Director Spielhagen, Stadtrath Pohle etc. Cours circa 20;

Königstadt, vormals Busse u. d’Heureuse. Gründer respective Aufsichtsräthe: Alwin Soergel (Deutsche Genossenschaftsbank von Soergel, Parrisius u. Comp.), Johann Kämpf in Halle (Hallescher Bankverein), Anton Securius, Julius Busse, Louis Feig, Heinrich Booß, Arnold Wittkowski, Reichstagsmitglied Stadtrath Hausmann in Brandenburg etc. Cours circa 20.

D. Sehr böse Gründungen:

Societäts-Brauerei; gegründet von Heinrich Reh, Karl August Arndt und Johann Gottlieb Maecker, welche auch die berühmte Tempelhofer Baugesellschaft in die Welt setzten. Cours circa 8;

Hasenhaide, früher C. Kelch. Gründer: Julius Samelson, Julius Pickardt, Felix Mamroth, Julius Hahlo, Joseph Neisser, Gustav Noah, Director Gustav Hartmann, Generaldirector Julius Müller etc. Director und später Liquidator: Albert Neisser. Cours ½.

Von allen diesen „Gründungen“ war wohl die anständigste „Friedrichshöhe“. Nach Saling’s Börsenhandbuch geschah sie „mit einem sehr bescheidenen Aufschlag“. Dies war aber nicht die Schuld der Gründer, sondern die des Vorbesitzers G. Patzenhofer, der seine Hand darüber hielt. Der ehrliche, dicke Patzenhofer behielt auch die Leitung der Brauerei bis zu seinem im vorigen Jahre erfolgten Tode, und unter ihm behauptete „Friedrichshöhe“ von allen Bier-Actien den höchsten Stand. Erst hinterher, unter der Direction von F. Goldschmidt und Paul Potocky-Nelken, fiel mit der Dividende auch der Cours, und die Actien nehmen nicht mehr die erste, sondern nur noch die vierte oder fünfte Stelle ein.

Wie es sonst bei den Bier-Gründungen in der Regel zugegangen ist, hat ein Herr Bötzow verrathen, der sich 1871 von der Vereinigung der Brauereibesitzer trennte, und damals Folgendes erzählte:

Man habe ihm für seine Brauerei, um dieselbe zu „gründen“, die enorme Summe von 300,000 Thaler geboten. Der Commissionär, der das Geschäft vermittelte, beanspruchte für sich die Kleinigkeit von 25,000 Thaler; der eigentliche Leiter oder Hauptgründer verlangte 50,000 Thaler; die Banquiers oder das Börsen-Consortium forderten 200,000 Thaler, sodaß ein Actiencapital von 600,000 Thalern ausgeworfen werden sollte. – Herr Bötzow hatte den Muth, abzulehnen, aber viele seiner Collegen warfen sich den Gründern mit Wollust in die Arme.

Alle jene Bier-Gründungen – auch die, deren Actien noch hoch im Course stehen – waren sehr theuer; alle sind heute mit einem zu großen Capitale belastet. Auch Tivoli und Friedrichshain, die schon von 1857 und respective 1869 datiren, haben sich in der Schwindelperiode mit neuen Emissionen und neuen Anleihen übernommen.

Schloßbrauerei Schöneberg, Adler und Königstadt gehören schon zu den grausamen Gründungen, wie dies freilich nur dem Charakter der Verfasser entspricht, die sich durch eine Reihe zum Theil noch schlimmerer Werke fast unsterblich gemacht haben. Hermann Schuster’s „Schloßbrauerei“ ist einschließlich der Hypotheken mit 820,000 Thalern, Hermann Frenkel’s und Hugo Wolff’s „Adler“ mit 1,000,000 Thalern, Alwin Soergel’s „Königstadt“ mit 1,200,000 Thalern belastet, und „Königstadt“ gedachte Ende 1872 noch „400,000 bis 600,000 Thaler neue Actien“ auszugeben, was aber nicht mehr gelang.

Auf der schiefen Ebene der Gründungen geht es ohne Halt abwärts, tiefer und tiefer. Ein Gründer übertrumpft immer noch den andern; in vielen Fällen haben sie das gegründete Object sich nicht nur zwei-, drei-, fünf-, zehnmal über den Werth bezahlen lassen, sondern allmählich auch das ganze Actiencapital escamotirt, ja die Gesellschaft noch mit großen Schulden belastet, nicht nur die Actionäre um Alles gebracht, sondern auch noch die Gläubiger betrogen. Freilich sind die „Gläubiger“ oft nur fingirt, oder doch die heimlichen Verbündeten der Gründer, resp. der Herren „Directoren“ und „Aufsichtsräthe“.

Wahre Nachtstücke von Gründungen sind die Societätsbrauerei und die Bergbrauerei Hasenhaide.

Herr Heinrich Reh „gründete“ sich selber, seine eigene, noch gar nicht fertige Brauerei, die er „Societätsbrauerei“ nannte und nach und nach mit ca. 800,000 Thalern belastete. Den Actien und Hypotheken ließ er noch 6-procentige „Prioritäts-Obligationen“ folgen, die wahrscheinlich noch tiefer stehen als die der „Flora“ und schon lange gar nicht mehr notirt werden. Wie mit den „Prioritäten“ der „Flora“, so handelt auch mit den Prioritäten des Herrn Heinrich Reh – der geniale Finanzkünstler Jean Fränkel: denn schöne Seelen finden sich, und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 839. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_839.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)