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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

um zehn Uhr Nachts von Salzburg ab, so daß wir des andern Tages um Mittag nach Untertauern, dem letzten Orte vor dem Tauernpasse, kamen. Die Fahrt bis dahin ging glücklich und ohne nennenswerte Erlebnisse vor sich. Die Reisegesellschaft bestand zufälliger Weise diesmal aus mehreren Personen, während sonst in dieser Jahreszeit der Eilwagen gewöhnlich nur einen, nicht selten gar keinen Reisenden führt.

Außer meiner Wenigkeit befand sich im Fond des Wagens noch eine Dame, das nach vorne offene Coupé wurde von dem Conducteur und einem Bauer aus Kärnten eingenommen.

Bis Untertauern ging es, wie gesagt, ganz gut, obgleich die armen Pferde den schweren Wagen durch tiefen Schnee immer bergan und bergab ziehen mußten, doch sind die Postmeister an dieser Straße so menschlich und in ihrem, so wie im Interesse der Reisenden so verständig, nicht alte abgerackerte Klepper, sondern kräftige, wohlgenährte Pinzgauer Gäule zu halten, welche große Kraft mit entsprechender Schnelligkeit verbinden.

In Untertauern wurde ein einfaches Mahl eingenommen, und man rüstete sich zur beschwerlichen und gefährlichen Fahrt.

Der Himmel hatte sich allmählich mit bleigrauen, schweren Wolken überzogen, und aus Nordwest erhob sich von Zeit zu Zeit in kurzen Stößen ein höchst verdächtiger Wind. Vor das Dreigespann wurden noch zwei große, schwere Gäule gelegt, und es wären noch ein oder zwei weitere Pferde vorgespannt worden, wenn nicht zufälliger Weise vor uns schon einige Frachtwagen dieselben in Anspruch genommen hätten.

Die Fahrt begann. Bald erhob sich der Wind, welcher früher sich nur in kurzen Stößen bemerkbar gemacht hatte, immer heftiger und trieb den ohnehin tiefen Schnee an vielen Stellen zu sehr ansehnlichen Hügeln zusammen, welche nur mit der größten Anstrengung überwunden werden konnten, zum Glück hatten wir schon von Untertauern einige Männer, mit Schaufeln versehen, mitgenommen, welche dem Wagen immer vorangingen und, so weit es in kurzer Zeit möglich war, den Weg einigermaßen fahrbar machten; die Spur der uns schon in der Frühe vorausgefahrenen Wagen war schon vollkommen verweht. Das Wetter gestaltete sich immer bedrohlicher, und der anfangs blos heftige Wind artete endlich, je höher wir kamen, in einen förmlichen Sturm aus.

Die durch den Schneefall herbeigeführte Unebenheiten der Straße verursachten ein sehr starkes Schwanken des Wagens, welches ein Umstürzen desselben befürchten ließ. Dies veranlaßte endlich die männlichen Insassen, den Wagen zu verlassen, um ihn an solchen Stellen, wo die eine Seite tief in den Schnee sank, während die andere über „Schneeg’waht’n“ ging, zu stützen, damit er nicht ganz umkippe. Das Unwetter wurde immer fürchterlicher, die Kälte höchst empfindlich und durch den schneidenden Wind und die glassplitterähnlichen, gefrorenen Schneeflocken, welche die Haut wie mit Nadelstichen peinigten und das Offenhalten der Augen sehr erschwerten, oft geradezu unerträglich, auch auf die Pferde übte dieses Wehen des gefrorenen Schnees eine äußerst empfindliche Wirkung, sodaß dieselben ganz störrig wurden und manchmal kaum mehr von der Stelle zu bringen waren, ja, das eine Deichselpferd, der Sattelgaul, mußte vom Postillon am Zügel geführt werden und wurde so ungeberdig, daß es ausgespannt und das Pferd, welches bisher in der Wildbahn gegangen, an seine Stelle gespannt werden mußte.

Das fortwährende, durch den hohen Schnee sehr erschwerte und oft sehr steile Aufwärtssteigen, sowie die dünne Luft verursachten mir eine beängstigende Herzbeklemmung, welche wohl auch der Aufregung zuzuschreiben war. Die mitreisende Dame, von ohnehin schwächlicher Natur, war durch die äußerst empfindliche Kälte (denn trotz geschlossener Fenster und einer dicken Heulage am Fußboden des Wagens drang der Wind in schneidender Kälte in das Innere desselben) und die Angst in einen ohnmachtähnlichen Zustand verfallen, sodaß wir fast um das Leben der armen Frau besorgt waren; leider konnten wir ihr nicht einmal beistehen, da wir Männer mit dem Antreiben der Pferde und dem Vorwärtsschieben und Stützen des Wagens alle Hände voll zu thun hatten. Die Arme hatte auch nicht die Wohlthat einer ruhigen Lage, da sie durch das Schwanken des Wagens auf ihrem Sitze hin- und hergeworfen wurde. Wir konnten überdies nur im langsamsten Tempo vorwärts kommen und immer nur höchstens hundert Schritte weit in einer Tour fahren, da wir alsdann selbst wieder nach Athem ringen und die Pferde, welche trotz der hohen Kälte in Folge der großen Anstrengung schwitzten, verschnaufen lassen mußten.

Diese Pausen waren noch beängstigender, als das Vorwärtsgehen, da wir immer fürchten mußten, daß der Weg vor uns gänzlich verweht werde, in welchem Falle wir das schreckliche Schicksal, zu erfrieren, vor Augen hatten. Zu alledem begann es schon sehr stark zu dämmern, und der Einbruch der vollständigen Nacht war nicht mehr fern.

Die hereinbrechende Dunkelheit und das Schneegestöber, welches vor und hinter uns nur eine Wand von Schneeflocken sehen ließ, erschwerte das Vorwärtskommen sehr. Der Weg war nur noch an den Telegraphenstangen zu erkennen, da auch die Straßenbrüstung ganz verweht war, wodurch wir der Gefahr, mit Roß und Wagen in den Abgrund zu stürzen, nicht fern standen.

Alle Versuche, in die Wagenlaterne Licht zu bringen, mißlangen, und so mußten wir in stockfinsterer Nacht, welche nun ganz hereingebrochen war, durch hohe „Schneeg’waht’n“ uns vorwärts helfen. Fünf volle Stunden waren wir nun schon von Untertauern aus auf dem Wege, und uns sowohl wie den Pferden begannen bereits die Kräfte zu schwinden; das Schlimmste sollte aber erst kommen. Eines der Vorspannpferde brach in eine „Schneeg’waht’n“ bis an den Kopf ein, und nur den äußersten Anstrengungen gelang es, dasselbe vor dem gänzlichen Versinken zu retten. Als es wieder auf den Beinen war, wollte es um keinen Preis mehr vorwärts, und die übrigen Pferde konnten unmöglich die schwere Last fortbewegen.

Es wurde mithin beschlossen, daß drei Mann, worunter ein Schneeschaufler, bis zum Tauernhause, das nicht mehr fern sein konnte, gehen und dort die Vorspannspferde, welche die uns vorausgegangenen Frachtwagen den Berg heraufgebracht hatten, requiriren sollten, mit deren Hülfe wir sodann endlich zum Tauernhause gelangen wollten.

Der Conducteur, der kärntnerische Bauer und einer der Schneeschaufler unternahmen die Expedition, während die anderen zwei Schneeschaufler, der Postillon und ich bei den Pferden und dem Wagen zurückblieben. Dadurch hatte wir Gelegenheit, uns unserer Reisegefährtin, welche dem Erfrieren nahe war, zu widmen. Durch Frottiren der Füße und Hände, sowie durch Einreiben der Schläfe mit Schnee, gelang es uns endlich nach einer langen bangen halben Stunde, sie wieder zum Bewußtsein zu bringen, aber noch war weder für sie noch für uns alle Gefahr vorüber, denn wenn die drei wackeren Männer, welche die Expedition nach dem Tauernhause unternahmen, verunglückten, so entgingen auch wir nicht dem Schicksale, zu erfrieren, denn ein Weiterkommen war bei dem abgehetzten Zustande der Pferde nicht möglich.

In schrecklicher Spannung harrten wir nahe an zwei Stunden, während welcher Zeit wir uns durch allerlei Hand- und Fußbewegungen vor dem Erstarren bewahrten, der Rückkehr der Ausgesandten. Dabei hatten wir mit unserer Reisegefährtin unsere schwere Noth, da ihr Zustand wieder sehr bedenklich zu werden anfing. Sie wurde mehrere Male ohnmächtig und nur mit starken Schneeeinreibungen gelang es, sie wieder zum Bewußtsein zu bringen. Endlich, nachdem wir schon jede Hoffnung aufgegeben hatten und entschlossen waren, aller Gefahr zum Trotze doch vorwärts zu dringen, gewahrten wir durch die dichten Schneeflocken das Licht einer Laterne, welches uns Erlösung aus unserer bis zum Wahnsinn peinlichen Lage verhieß. Aber es dauerte immerhin noch lange, bis uns diese ward, denn die mit den Pferden Rückkehrenden hatten schwere Arbeit, durch den oft mannshohen Schnee zu dringen.

Als sie nun endlich bei uns angelangt waren, wurden die mitgebrachten vier Pferde vor unser Fünfgespann gelegt, und nun ging es vorwärts; es waren noch einige Männer mit Schaufeln mitgekommen, welche im Verein mit unseren Schauflern die Bahn so gut wie möglich fahrbar machten.

Dennoch brauchten wir noch eine ganze Stunde, bis wir endlich die erleuchteten Fenster des Tauernhauses zu Gesicht bekamen. Nachdem der Wagen Halt gemacht, hoben wir unsere

Reisegefährtin, welche abermals ohnmächtig geworden war, aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_850.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)