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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Aber nicht genug an der Dividendenjauche – die edeln Fabrikanten beschlossen auch den Preis für dieses köstliche Naß noch zu erhöhen. Ihnen vorauf gingen freilich die Weißbierbrauer. In Berlin wird noch immer viel Weißbier getrunken; auch bei der jüngeren Generation hat das „Bairisch“ die „kühle Blonde“ nicht verdrängen können. Weißbier ist ein moussirendes, in heißen Sommertagen ganz probates, nur in Cholerazeiten etwas gefährliches Getränk. Um es überhaupt trinken zu können, muß man mindestens zehn Jahre in Berlin gelebt haben. Um es mit Geschmack zu trinken, muß man in Berlin geboren sein. Dem Fremden, dem Anfänger erscheint es wie Lehmwasser, und es schmeckt ihm auch nicht besser. Dem geborenen Berliner dagegen dünkt es Champagner; als gewitzter und vorsichtiger Mann vergißt er aber doch nicht, auf die „kühle Blonde“ stets eine „Strippe“, das ist den landesüblichen Gilka oder Kümmel, zu setzen.

October 1871 traten die Weißbierbrauer zusammen und erklärten, die übliche „Rabatt-Tonne“ nicht mehr gewähren zu wollen. Alsbald versammelten sich im großen Saale des Handwerkervereins die Weißbier-Schänker und Weißbier-Verleger[1], sprachen ihre moralische Entrüstung aus und verpflichteten sich auf Ehrenwort zu einem gemeinsamen Strike. Nach einigen schwachen Versuchen mußten die Brauer sich wieder zu der hergebrachter „Rabatt-Tonne“ verstehen.

Durch diesen Ausgang nicht belehrt, verbündeten sich jetzt die Actienbrauereien und verlangten für die Tonne „Bairisch“, statt 7 Thaler, von Neujahr ab 7½ Thaler. Auch hier gaben den Anstoß die fragwürdigsten Gründungen, wie Moabit, Schöneberg, Adler, und bald schlossen sich ihnen die anderen Gesellschaften an. Alle verschworen sich, nicht billiger zu liefern, und erließen an die Schankwirthe einen drohenden Ukas. Aber diese handelten ebenso geschlossen und noch energischer. Sie wiesen das „menschenentwürdigende“ Circular, wie sie den Ukas nannten, weit von sich, verpflichteten sich zu Conventionalstrafen, gründeten eine Strike-Casse und bezogen ihr Bier aus Privatbrauereien oder von auswärts. Beide Theile legten den Casus dem Publicum vor; denn beide Theile versicherten, nur die Interessen des Publicums zu vertreten, dem die Brauer nur vorzügliches Bier liefern, das die Wirthe vor Uebertheuerung schützen wollten. Die Brauer behaupteten, daß die Wirthe an jeder Tonne 100 Procent profitiren – was die Wirthe sonder Zögern zugaben. Dagegen erklärten diese, daß die Brauer ihrerseits an jeder Tonne gleichfalls 100 Procent verdienen – was die Brauer nicht leugnen konnten. Das Publicum schien von beiden „Enthüllungen“ nicht überrascht zu sein und sah dem Kampfe gleichmüthig zu. Die Brauer waren die Klügsten, denn sie gaben nach. Einer nach dem andern vergaß seinen Schwur und lieferte zum alten Preise, während sie sich gegenseitig des Wortbruchs und des Meineids anklagten.

Die Wirthe hatten gewonnen, aber nun gingen sie gegen das Publicum vor. Dank unseren Manchesterleuten und der alleinseligmachenden Manchester-Doctrin von der „freien Concurrenz“, existiren in den Restaurationen keine geaichten Gläser und Flaschen, kümmert sich um Quantität und Qualität der verschänkten Getränke kein Gesetz, keine Aufsichtsbehörde. Ursprünglich hatten die sogenannten Bierseidel den Inhalt eines halben Quarts und wurden bis zum Rande ohne Spritzschaum gefüllt. Allmählich verkleinerten sich die Gläser; die Fabriken legten sich förmlich darauf, Vexirseidel zu machen, mit zolldickem Boden, fingerdicken Wänden und nach oben spitz zulaufend. Das war schon vor der Gründerzeit, aber nun wurde es noch weit ärger. Die Wirthe ließen die Gläser immer winziger werden, bis sie in vielen Localen zu einem halben Seidel zusammenschrumpften, das man dem Gaste präsentirt, zu zwei Dritteln Bier und zu einem Drittel Spritzschaum.

Die Tonne Bier kostet dem Wirthe 7 Thaler und bringt ihm, in ordentlichen Seideln verschänkt, 14 bis 16 Thaler. Bei solchen Miniaturgläsern aber schlägt er 18 bis 20 Thaler heraus. Und auch damit begnügten sich die Herren noch nicht, viele von ihnen erhöhten die Preise jetzt um 33 bis 66 Procent. Während man früher für ein normales Seidel guten Bieres 1½ Groschen zahlte, mußte man jetzt für ein Zwergseidelchen „Dividendenjauche“, das der Brauerei höchstens 3 Pfennige, dem Wirth vielleicht 6 Pfennige kostete – 2 und auch 2½ Silbergroschen zahlen.

Dazu kommt noch das Trinkgeld an den Kellner. Die Kellner erhalten vom Wirthe gar keinen oder doch einen erbärmlichen Lohn und sind daher auf den Wohlthätigkeitssinn der Gäste angewiesen. Vor dem Schwindel waren die Trinkgelder facultativ, wie die allgemeine Wehrpflicht; jetzt wurden sie obligatorisch, wie die Civilehe. Ehemals dankten die Kellner schon für einen halben Silbergroschen; nun thaten sie es auch für einen ganzen noch nicht. – Nebenbei bemerkt, übernahmen von den Kellnern die Gründer und Gründergehülfen die Lehre von den Trinkgeldern und bildeten sie zu einem System aus, das statt der Groschen Tausende und Hunderttausende von Gulden und Thalern einbringt.

Um neuen Ausschreitungen der Actienbrauereien vorzubeugen, um dem Publicum etwas Besseres zu bieten, als die ekle „Dividendenjauche“, trat eine Anzahl von Restaurateuren zusammen, lauter politisch und oratorisch ausgebildete Männer, die sich offenbar zu etwas Höherem berufen fühlten, und gründeten unter Führung des Bankhauses Bercht u. Swoboda eine eigene Brauerei, die „Vereinsbrauerei Berliner Gastwirthe“. Das war auf diesem Gebiete die einzige wirkliche Neuschöpfung der Gründer, aber dafür ist sie auch darnach.

Am 15. April 1872 legte man den Grundstein der „Vereinsbrauerei“, und Abends gab’s einen großen Ball, wo gemüthlich mit einander Gründer und Actionäre tanzten. So verlustirt sich die Katze mit den Mäusen, eh’ sie dieselben frißt; so spielen mit einander Wölfe und Lämmer. Hätten die Actionäre ahnen können, was ihnen bevorstand – das Tanzen und Jubiliren würde ihnen vergangen sein.

„Der rühmlichst bekannte Ingenieur Herr Nehrlich, Chef des großen Ingenieurbureaus von Nehrlich und Ellissen in Frankfurt am Main“, wurde „für das Unternehmen gewonnen“, und derselbe Herr Nehrlich fungirte auch zeitweise als „Vorsitzender des Aufsichtsraths“. Herr Hugo Nehrlich baute „mustergültig“, aber überraschend theuer und reichte auch noch hinterher eine „Nachrechnung“ über „Extralieferungen“ ein, die den Actionären fast Thränen erpreßte. Die „Vereinsbrauerei“ ist mit 1¾ Millionen Thaler belastet; daraus erklärt sich der Cours der Actien mit circa 10. Die „Vereinsbrauerei“ producirte noch dünneres und schwächeres Bier als ihre Colleginnen, und sie ist in jeder Hinsicht ein würdiges Seitenstück zu der „Societätsbrauerei“ des Herrn Heinrich Reh. Die Geschichte dieser beiden Gründungen studirt jetzt der Staatsanwalt; aber wir fürchten, es wird dabei wieder nichts herauskommen.

Die 14 Bairisch-Bierbrauereien auf Actien tragen einschließlich der Hypotheken eine Capitalslast von 17 Millionen Thaler – gewiß eine gefährliche Ueberbürdung. Die Gesammtproduction betrug 1874 circa 800,000 Tonnen, welche Leistung gegenüber jener Summe nur mäßig genannt werden kann. Die Durchschnittsrente war in demselben Jahre nur 4½ Procent; 6 Brauereien zahlten über 5 Procent, 8 unter 5 Procent Dividende, Hasenhaide, Societäts- und Vereinsbrauerei – 0. Wenn Friedrichshain 9, Schultheiß 10 und Böhmisches Brauhaus gleichfalls 10 Procent Dividende gaben trotz der großen Belastung und trotz der kostspieligen Wirthschaft, so sieht man, wie hocheinträglich das Braugeschäft ist.

Neben „Bairisch“ machten die Gründer auch in der „kühlen Blonden“. Sie „gründeten“ die drei Weißbierbrauereien von Karl Landré, Emil Gericke und W. A. Bolle. – Landré ist noch verzeihlich, aber bösartig sind wieder Gericke und Bolle, denn sie entstanden beide unter den Händen des Herrn – Jean Fränkel.

Nachdem die Gründer von Bairisch- und Weißbierbrauereien „gegründet“ hatten, was sich irgend gründen ließ, schauten sie scharf aus und entdeckten in einer abgelegenen Straße eine Wittwe Fischer, die in stiller Zurückgezogenheit von der Welt und unbekümmert um die Fortschritte der Cultur in patriarchalischer Weise ein patriarchalisches Getränk braute – das heute nur noch in unterirdischen Gemächern credenzte und nur noch von Kindern und alten Weibern begehrte „Braun- und Bitterbier“. Ueber diese unschuldige Wittwe stürzten her: Benno Beer, Hermann Leubuscher, Max Gerschel, Gustav Loth, Julius

  1. Wer in Berlin mit Bier in Flaschen oder Kruken handelt, heißt „Bier-Verleger“; es giebt hier auch „Milch- und Sahne-Verleger“ oder „Milch- und Sahne-Bureaux“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 859. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_859.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)