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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

doch waren ihre Gedanken weit ab von diesem mechanischen Spiele. In einem eigenthümlichen Kampfe waren diese Gedanken mit sich selber, in einem Streit des Herzens mit dem Kopfe, der, weil bei dem klugen Fürstenkinde beide, das Herz wie der Kopf, von seltener Stärke waren, das eine warm, der andere klar, mit einer ganz besonderen dialektischen Schärfe durchgefochten wurde.

Denn mit ihrem hellen Verstande und starken Bewußtsein hatte Elisabeth sich nicht mehr verbergen können, daß sie diesen wunderlichen, träumerischen, in einer Atmosphäre von ganz absonderlichen Vorstellungen und Gedanken lebenden Menschen liebte, diese räthselhafte Gestalt des einsamen Mannes, den nirgendwo feste Verbindungen an eine bestimmte reale Welt anzuknüpfen schienen und der durch die grünen Wälder des Jochmaringhofes schritt, so losgelöst von allen menschlichen Banden, wie nur der Stoßfalke war, der über ihren Wipfeln kreiste. Von solch einem Manne, der ja noch obendrein Dinge und Erlebnisse von sich erzählte, die man gar nicht glauben konnte, alle Gedanken und alle Empfindungen des Herzens gefangen nehmen lassen, das war ja – Prinzeß Elisabeth stand nicht an, sich selber das sehr derb und rund heraus vor den Kopf zu sagen – es war ja eine ganz entsetzliche und wahnsinnige Thorheit; es war ja von einem vernünftigen, an Selbstbeherrschung und Gefühl ihrer Würde gewöhnten Mädchen etwas Aberwitziges und Monströses, aber was half das – ihr Herz lag und blieb nun einmal wie im Banne der Erscheinung dieses Mannes.

Das einzige Gute bei der Sache war, daß sie ihm hatte klar machen können, daß er gehen müsse – daß er jetzt aus ihrem Lebenskreise verschwunden sei und dann sicherlich nie wieder in demselben auftauchen werde. Darin lag die beste Gewähr ihrer Genesung von der Wunde, die sie in sich trug, die dann, wenn sie nichts mehr von ihm hörte noch sah, doch bald sich schließen mußte, die aber heute in der Vorstellung, daß er vielleicht in diesem Augenblicke gerade sein stilles Asyl verlasse, um nie zurückzukehren, ganz schmerzlich blutete. –

Wenn sie sich noch darüber hätte täuschen können, daß Er ihr gegenüber nichts von dem tiefbestrickenden Einflusse empfunden, den seine Erscheinung für sie gehabt, aber er hatte ihr ja so offen und unbefangen und rundheraus gestanden, daß er sie liebe … und das war mit einer so unumwundenen Natürlichkeit, einem solchen arglosen, freien, großartig einfachen Wesen geschehen, daß sie an der innersten Wahrheit und Aufrichtigkeit seiner Worte gar nicht zweifeln konnte. Und diese Gegenseitigkeit der Gefühle bildete nur eine Verdoppelung des Bandes, an dem sie sich gefangen fühlte, daß sie laut hätte weinen mögen bei dem Gedanken an die furchtbare Schwere der Aufgabe, vor die sie gestellt war und die das Schicksal mit unerbittlicher Grausamkeit von ihr forderte – der Aufgabe, diesen Mann zu vergessen.

Sie ging auf und ab unter der Platanengruppe und vergaß alle die kleinen Obliegenheiten, die der Morgen ihr brachte: sie vergaß den Geflügelhof, wo sie am Vormittage zu erscheinen pflegte, um sich Bericht über die neuesten Vorkommnisse geben zu lassen, und vergaß die kranke Dogge zu besuchen, die sie sonst auf ihren Gängen begleitete und jetzt alterssiech in ihrem Häuschen lag. Mehrere Male blieb sie stehen und schaute gedankenverloren in die Parkgründe ringsumher, auf die Gehölzpartieen, die Rasenstücke, die Blumenbeete; das Alles war für sie heute so anders als sonst, so wie von Farblosigkeit überschleiert, so todt und öde; es war als ob diese ganze Welt sie nichts mehr anginge, als ob es eine richtige lebendige Welt gar nicht mehr wäre, sondern ein Spiegelbild, ein Nebelgebilde, ein gleichgültiger Traum, den sie schauen mußte und der hätte verschwinden können, ohne daß sie ihm nachgeblickt hätte.

Wie lange sie so zwecklos die Zeit an sich hatte vorüberrinnen lassen – sie wußte es nicht, als sie nicht fern von sich ihren Vater, den Fürsten, von seinem Morgenspaziergange im Parke zurückkehrend, erblickte. Wie schuldbewußt wandte sie sich. Er sollte nicht gewahren, daß sie aus dem gewohnten Gleichmaße ihrer Tagesordnung gerathen, und so ging sie dem Schlosse zu, um durch eine kleine Bogenthür in einen der Eckthürme hineinzukommen, da sie annahm, daß ihr Vater über die große Terrasse in’s Schloß treten würde. Aber sie hatte sich geirrt. Er hatte sie gesehen und war ihr gefolgt, und nach kurzer Zeit hörte sie seinen Ruf hinter sich:

„Elisabeth!“

Sie wandte sich und ging ihm entgegen.

„Schon zurück, lieber Vater? Du pflegst sonst Deine Spaziergänge länger auszudehnen.“

„Länger? Ich denke, es ist spät. Du siehst bleich aus, Elisabeth – hast Du eine schlechte Nacht gehabt? Denk’ Dir, wir haben ein kleines Ereigniß in der Gegend gehabt.“

„Ah – und was ist das?“

„Du erräthst es nicht – ein politisches Ereigniß. Du sagtest mir, daß Du wüßtest, in der alten Kropp habe man Waffen geborgen.“

„Nun ja … und daß im Stillen gearbeitet werde, um – aber was ist mit den Waffen?“

„Sie sind den Franzosen verrathen.“

„Verrathen?“

„So ist es – das Depôt ist gefunden. Ich stieß vorhin auf den Gensd’armerie-Sergeant Duplessis, der an der Parkecke an mir vorüberritt; er war sehr in Anspruch genommen durch die Sache und rief mir über die Verzäunung herüber die Nachricht zu. Es ist gestern Abend dem Brigadier die Anzeige zugekommen; in der Nacht ist die Erhebung vorgenommen worden, und dann ist auch bereits der Emissär in ihren Händen, der –“

„Der Emissär?“ fiel ihm Prinzessin Elisabeth mit einem Aufschrei des Schreckens in’s Wort.

„Ja, der Emissär – ein ehemaliger französischer Officier, der in Spanien gedient hat, ein Mensch, der sich hier frecher Weise den Namen ‚von Uffeln‘ beigelegt hat, aber gar nicht so heißt; er heißt – wenn ich den Gensd’armen recht verstanden habe – Falstner oder Falsner; man hat ihn nach M. transportirt, den armen Teufel, und wird da wahrscheinlich – aber ich bitte Dich, Elisabeth, was ist Dir? was hast Du?“

Elisabeth stand todesbleich, am ganzen Körper zitternd – so starrte sie ihren Vater an, dann wankte sie und griff mit einer Heftigkeit mit beiden Händen nach seinem Arm, daß der Fürst sie rasch umschlang, weil sie offenbar im Begriff war, zusammenzusinken.

„Elisabeth!“ rief er tief erschrocken noch einmal aus.

„O mein Gott, Vater – Vater – das überleb’ ich nicht – sie werden ihn erschießen, und das überleb’ ich nicht.“

„Du kennst ihn? Es ist der Fremde, von dem Du mir gesprochen hast? Dacht’ ich’s doch!“

„Derselbe, Vater, derselbe,“, rief sie aus, ihr Gesicht mit den Händen bedeckend, „und wenn sie ihn jetzt tödten, ihn erschießen, so sterb’ ich.“

Der Fürst, ein hochgewachsener starker Mann mit ein wenig ausdrucklosen, aber äußerst gutmüthigen Zügen, sah höchst betroffen auf seine Tochter nieder, die, auf seinen Arm gestützt, die furchtbarste Erschütterung durch das krampfhafte Ringen ihres Busens nach Athem verrieth.

„O Vater, Vater,“ rief sie dann aus, „warum hast Du mir das gethan, warum hast Du mir das gesagt – das ist mein Tod, mein Tod!“

„Dein Tod? – Aber, Elisabeth, was – –“

„O, Du magst Alles wissen, Alles hören – ich kenn’ ihn ja nicht allein, ich lieb’ ihn ja auch, diesen Mann, und wenn sie ihm das Schrecklichste anthun …“

„Du liebst ihn? – Elisabeth!“

Der Fürst rief das wie vom Donner gerührt. „Elisabeth! Du redest irre.“

Sie erhob sich aus seinem Arm. Sie stand gesenkten Kopfes, die Hände zusammenfaltend und nach Athem, nach Fassung ringend.

„Vater,“ sagte sie dann ruhiger und ohne aufzublicken, „ich weiß sehr wohl, was ich Dir, was ich unserem Namen schuldig bin. – Ich liebe ihn, ja, ja, ja,“ brach sie heftig aus, „ich liebe ihn und wie sehr, das fühle ich jetzt und daran ist nichts, gar nichts zu ändern. „Aber,“ fügte sie wieder gefaßter hinzu, „daß es eine Thorheit ist, eine Raserei, das seh’ ich ja ein, das weiß ich ja; ich verbinde auch keine Wünsche, keine Auflehnung gegen die Vernunft, keinen Ungehorsam gegen Dich mit dieser Liebe. Ich will ihn vergessen, vergessen für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 863. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_863.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)