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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

nicht durch Leugnen noch zu erhöhen, sie aber blieb dabei. „Ich bin vollkommen unschuldig.“

„Wenn Sie gar nichts einräumen wollen, mein Fräulein, so ist es meine Pflicht, Sie untersuchen zu lassen, ob Sie das Geld irgendwo bei sich am Körper versteckt haben,“ sagte ich ihr darauf.

„Auch dazu bin ich bereit, überhaupt zu Allem, was diesen schrecklichen Verdacht von mir nehmen kann,“ erwiderte sie ruhig.

Ich ließ die Angeklagte in das Zimmer führen, wo eine Frau die des Diebstahls verdächtigen weiblichen Gefangenen vollständig entkleiden muß, um zu untersuchen, ob dieselben irgend etwas versteckt am Körper bei sich tragen. Nach einer Viertelstunde brachte der alte G. das Fräulein zurück mit der Meldung: „Nich det Jeringste nich jefunden.“

Trotzdem durfte ich die Angeklagte noch nicht entlassen und beauftragte den G., sie zur Isolirhaft nach der Hausvogtei hinüber zu führen, was auch seinerseits geschah.

Inzwischen war die Zeit schnell dahingegangen, und ich beschloß, die noch übrigen Nachtstunden auf meinem Ruhebette zu verbringen, doch ging mir die Sache fortwährend im Kopfe herum, und ich dachte hin und her, ob nicht doch ein Anderer diesen Diebstahl begangen haben könnte, da ja eine Menge Dienstboten etc. im Stifte wohnten. Endlich senkte sich ein kurzer Schlummer auf meine müden Lider, in dessen unruhige Träume mir das soeben Erlebte folgte; ich sah die großen dunklen Augensterne der unglücklichen Margot immerfort bittend auf mich gerichtet. –

Am nächsten Morgen meldete mir mein alter G. die Frau Majorin A. und führte gleich darauf eine höchst respectabel aussehende Dame in den fünfziger Jahren in mein Zimmer.

„Um Gottes willen, Herr Commissarius, was ist aus dem armen Mädchen geworden?“ rief die Dame nach den üblichen Begrüßungen in größter Aufregung aus. „Es ist ganz unmöglich, daß sie eine Diebin ist. Die Frau von S. hat mir die Sachlage brieflich noch gestern Abend mitgetheilt, und nur meine häuslichen Angelegenheiten und die einbrechende Nacht hielten mich ab, hierher zu eilen, um mich als Bürgin dafür zu stellen, daß das Fräulein B. vollständig unschuldig ist, und jedenfalls nur ein falscher Verdacht die Unglückliche belastet. Eine Diebin, sie, deren Angelegenheiten so wohl geordnet sind und die von den Eltern so reichlich mit Geld versehen wird!“

Schweigend zuckte ich die Achseln.

„Herr Commissarius, Sie glauben doch nicht, die arme Margot habe diesen Diebstahl wirklich begangen?“ rief die Dame entsetzt aus.

„Frau Majorin, wir Leute von der Polizei sind genöthigt, die mit einem Verdachte Belasteten so lange für schuldig zu halten, bis der wahre Thäter entdeckt ist,“ entgegnete ich.

„Das arme unglückliche Kind!“ flüsterte die Majorin, während sich ihre Augen mit Thränen füllten.

Ich verhielt mich allen diesem Exclamationen gegenüber als ruhiger Beobachter. Plötzlich fuhr die Dame von ihrem Sitze auf, trat zu mir heran und sagte mit Energie:

„Wissen Sie auch, mein Herr, daß sich mein Verdacht auf eine ganz andere Person richtet?“

„Welche Person wäre dies und welche Anhaltspunkte haben Sie für Ihren Verdacht?“

„Das französische Fräulein im Internat der Frau von S. ist stets mit ihren Geldverhältnissen in Unordnung, und auf sie richtet sich mein Argwohn. Ihre sehr elegante Toilette kostet ihr viel, auch weiß ich bestimmt, daß sie einem Vetter, der ein Verschwender ist, den sie aber liebt, häufig Unterstützungen nach Genf schickt. Ich selbst habe ihr auf ihre Bitten im October fünfzig Thaler geliehen, von denen sie mir in der vergangenen Woche plötzlich dreißig zurückbrachte, ohne daß sie irgend welche Einnahme hat haben können, da das Gehalt der Lehrerinnen im Stift nur vierteljährlich bezahlt wird. Das verschwundene Geld dürfte eher bei ihr zu suchen sein als bei Margot, und ich bitte Sie dringend, Herr Commissarius, thun Sie augenblicklich Schritte, dieses Verbrechen aufzuklären, die wahre Schuldige zu ergreifen, Margot zu befreien! Jeder Augenblick, den sie in der Haft schmachtet, erscheint mir als ein Verbrechen gegen die Unschuldige.“

Aufmerksam war ich der langen Rede gefolgt, und gestand der Frau Majorin jetzt ein, daß ich selbst bereits Verdacht geschöpft habe, die Französin sei die wirkliche Diebin. Die Inhaftirung Unschuldiger kommt leider ja so oft vor, und noch ist kein Mittel gefunden, diese wunde Stelle im Strafverfahren zu heilen. Sofort erließ ich eine Depesche an das 2. Revier, mir die Französin R. zur vierten Abtheilung zu sistiren. Das arme, vielleicht unschuldige Mädchen wurde sofort aus der Haft befreiet. Das Wiedersehen der Majorin und Margots war ein sehr bewegtes, ich sprach ihnen Trost zu und die Hoffnung aus, daß sich Alles bald aufklären werde. Binnen einer Stunde wurde die Französin in mein Zimmer geführt, während der sie begleitende Beamte mir noch einige Worte zuflüsterte. Es war eine kleine untersetzte Person von ungemeiner Lebendigkeit, mit unruhig blickenden, brennenden schwarzen Augen. Sie stürzte sich sofort mit offenen Armen auf die Gefangene und sagte in einem Gemisch von schlechtem Deutsch und ihrer Muttersprache: „O, Himmel, meine arme Kind, ma pauvre Margot!“ Fräulein B. wies sie indessen mit ernsten Blicken von sich und zog sich in den Hintergrund des Zimmers zurück.

Jetzt trat ich vor und ersuchte die Französin, mir den Hergang der gestrigen Affaire im Stift der Frau von S. ganz genau zu schildern was sie auch ziemlich übereinstimmend mit dem von der Angeklagten bereits Gesagten that.

Darauf fragte ich: „Sie leben in guten Geldverhältnissen, mein Fräulein?“

Oh, oui, monsieur, ick ’aben pour l’année fünfhundert Thaler.“

„Und können Sie alle Ihre Ausgaben davon bestreiten?“

Ah, sickerlich!“ rief sie lebhaft aus.

„Also fehlt Ihnen niemals Geld?“

Non, jamais.“

„Und dennoch behauptet die hier anwesende Frau Majorin A., Ihnen im October dieses Jahres fünfzig Thaler geliehen zu haben. Ist es so?“

„Madame A.? gewiß – ah, c’est vrai – gewiß, darauf ’aben ick ganz vergessen,“ sagte sie nach einigem Nachdenken mit erzwungenem Lachen.

„Sie brachten der Dame in der letzten Woche davon dreißig Thaler zurück?“

Oui – gewiß, trente écus,“ erwiderte sie etwas kleinlaut.

„Hatten Sie inzwischen denn besondere Einnahmen gehabt, so daß Sie im Stande waren, Ihre Schuld zu tilgen, noch bevor Sie das Vierteljahrs-Gehalt bekamen?“

Ah, sickerlich! Ick ’aben erhalten ein présent von hondert écus von eine Freundin.“

„Und wo befindet sich diese Freundin?“ forschte ich weiter.

„Meine Freundin? ah oui – gewiß, diese Dame ist – à Cassel;“ versetzte sie in einiger Verlegenheit.

„In Cassel also; nun, da sind Sie wohl so gut, die genaue Adresse Ihrer Freundin anzugeben?“ sagte ich, ein Blatt Papier zurechtlegend, mit der Feder in der Hand.

Mais à quoi? – aber warum, monsieur?“ forschte sie, ängstlich auf mich zu tretend.

„Nun, damit ich sogleich telegraphisch bei der Dame anfragen kann, ob sich die Sache auch so verhält,“ antwortete ich kühl.

Entsetzt starrte sie mich an und stotterte: „L’adresse – oh, mon dieu! Ick nicht weiß gewiß, ob diese Dame sich befinden noch à Cassel …“

„Wenn aber Ihre Freundin Ihnen ein so reiches Geldgeschenk sendet, so werden Sie ihr doch gewiß dafür brieflich Dank sagen und müssen die Adresse wissen,“ warf ich ein, sie scharf fixirend.

Oh, mon dieu – mon dieu, quel malheur!“ rief sie aus, die Hände vor’s Gesicht schlagend.

Ich trat hart an sie heran und sagte strenge: „Mein Fräulein, ich sehe kein so großes Unglück für Sie darin, mir die Adresse Ihrer Freundin zu sagen; wenn dieselbe irgendwo existirt, so würden Sie durch eine Anfrage bei derselben vielleicht bald dieses peinlichen Verhöres ledig; indessen,“ fügte ich mit erhobener Stimme hinzu, „fürchte ich, diese Freundin existirt überhaupt – nicht, und es regt sich der Verdacht in mir, als haben Sie das Geld von Niemand zum Geschenk erhalten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 870. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_870.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)