Seite:Die Gartenlaube (1876) 008.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

oft die größten Wohlthäter der Menschheit hervorgegangen. Aeußere glückliche Lagen und Vorzüge kann man erben, aber innere persönliche Würdigkeit, worauf am Ende doch Alles ankommt, muß jeder für sich und seine eigene Person durch Selbstbeherrschung erwerben. Ich danke Ihnen, liebe Frau Majorin, daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, diese, wie ich glaube, für’s Leben nicht unwichtigen Gedanken unbefangen auszusprechen, und wünsche Ihnen in der Ehe viel Glück, dessen Quelle nur in unserem Herzen liegt.“

Durch solche humane Worte und rein menschliche Züge erwarb sich Louise die Liebe ihres Volkes, das in ihr den guten Genius des Königs verehrte. Um die hohe Frau schaarten sich alle guten und reinen Elemente der Gesellschaft; die Besten ihrer Zeit erblickten bereits in ihr das Ideal edelster Weiblichkeit und erkannten ihre Bedeutung für das durch ihren Einfluß wieder erstehende und aus tiefer Versunkenheit sich erhebende Familienleben.


(Fortsetzung folgt.)



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Um eines Knopfes Dicke.


Skizze aus dem Eisenbahnleben von M. M. von Weber.


„Nun, da kommt Ihr endlich, Ihr alten Pudel- und Bärenhäuter; der Punsch hat schon zwei Atmosphären Dampfdruck,“ rief der alte pensionirte Locomotivführer Zimmermann, in einer mächtigen Punschbowle rudernd, einigen dunkeln, vierschrötigen Gestalten entgegen, die tief in dicke, nur rothe Nasen und lustige Augen freilassende Pelze eingeknöpft, schneegepudert, pustend und stampfend in das Locomotivführerzimmer zu Bürglitz traten. –

Heute, am Sylvestertage, ist ausnahmsweise der Tisch in der Führerstube sauber weiß gedeckt, und oben auf dem Tische, zunächst am Ofen, steht die mächtige Bowle, in der der alte Zimmermann kräftig arbeitet. Und die Dämpfe, die daraus steigen, und die leeren Rumflaschen, die dabei stehen, lassen nicht im Zweifel, daß sein Gebräu eins „mit Hochdruck“ für Kehlen „wie Siederöhren“ bestimmtes, ein „fester Führerpunsch“ sei.

„Pest! Vater Zimmermann, böser Dienst heute zum Sylvester!“ rufen die Eintretenden, den Schnee abschüttelnd und sich aus Pelzen, Jacken, Mützen und Ueberstiefeln schälend.

„Was wißt Ihr Zuckerpuppen denn von bösem Dienst! In Euren Glaspalästen,[1] die Euch jetzt die Directionen über Eure Trittbretter bauen lassen, auf Euren Maschinen, die Euch mit ihren sanften Federn wiegen, wie Eure alte Kindermuhme auf ihren Armen! Ihr hättet mit uns Anno neununddreißig und vierzig auf den kleinen Maschinen stehen sollen, die so hart und bockig gingen, daß Ihr jeden Schienenstoß von der Sohle bis unter die Mütze fühltet, und die nicht weiter wollten, wenn der Schnee eine Hand hoch auf den Schienen lag. Und darauf standen wir ganz frei, Tag und Nacht, ohne Fach und Dach, im Decembernachtsturme, in der Julihitze und im Gewitterhagel – ohne weiteren Schutz als unseren Rock und unser wettergegerbtes Fell. Das war harter Dienst! Was wißt Ihr davon! Und wahrlich, was ist Euer schlimmster Dienst gegen das, was sie heute unsern Hennig zum Jahresschluß haben durchmachen lassen, der sein Führerexamen mit Glanz abgelegt hat! Unter freiem Himmel auf der Maschine, da ist Gott bei uns, in der Schulstube aber der Gottseibeiuns. Und da ist er ja der Geprüfte, Gemarterte – Hurrah!“

„Hurrah!“ rief der Alte dem Eintretenden entgegen, kräftig secundirt von sechs rauhen Kehlen; sechs harte, feste Rechte streckten sich dem jungen Manne zu, der in schwarzer Sonntagskleidung, gerötheten, offenen Gesichts, und mit jenem klaren Fernblick in den blauen Augen, der, außer dem Matrosen, nur dem Locomotivführer eigen ist, unter sie trat, etwas verlegen und linkisch die huldigende Begrüßung erwidernd.

„Nun, wie war’s? Wie ging’s? Hast Du beim Examen geschwitzt? Hat Dich der Maschinenmeister Knoll tüchtig gezwickt?“ – „Platz nehmen! Punsch!“ tönte es von den ihn umringenden rußigen Cameraden auf ihn ein.

„Ruhe da!“ dröhnte Zimmermann’s rostige Stimme dazwischen. „Platz nehmen, ja; Punsch, nein! Hörnig und Franz fehlen noch, die mit dem Güterzug hereinkommen. Er ist um zwanzig Minuten verspätet, wie mir der Telegraphenfritz vorhin sagte, und muß gleich da sein. Gleiches Recht und gleiches Getränk für Alle – sonst holt der Teufel alles reguläre Reglement.“

„Nun ja,“ hub der junge Gefeierte an und trocknete sich den bei der Erinnerung wieder ausbrechenden Angstschweiß von der Stirn, „sie haben mich weidlich gedrillt. Ich wurde schon nach dem neuen Regulativ examinirt. Es saß wohl eine fünf Meter lange Reihe von Herren um mich herum, von denen ich, außer unseren Maschinenmeistern, noch keinen auf einer Locomotive oder in einer Werkstatt gesehen habe.

Und unsere Meister waren nicht die Schlimmsten. Sie fragten mich scharf durch, das ist wahr, bis auf die Knochen, aber man verstand sie und man konnte ihnen vernünftig antworten. Aber das, was die anderen Examinatoren – hochgestellte und gelehrte Herren waren es – von mir verlangten, verstand ich nur halb. Sie sprachen kein Eisenbahndeutsch mit mir, und was sie wissen wollten – nun ja, ich wußte es – das hatte ich, nur um es beantworten zu können, aus den Büchern gelernt, die mir der Herr Werkführer Herzel geliehen hatte. Vorgekommen war mir’s nie im Dienst; gebraucht hatte ich’s nie und werd’s wohl auch nicht brauchen mein Lebelang.“

„Und was war’s denn etwa?“ begann Camerad Böhmig zu fragen, seine Cigarre anzündend, als die Thür der Führerstube plötzlich aufgestoßen wurde. Eine Wolke von Schneestaub quoll herein; aus derselben entwickelten sich die dunkeln Gestalten zweier neuer Ankömmlinge, die der erwarteten Führer der beiden Maschinen, welche „vor dem verspäteten Güterzuge gelegen hatten“. – „Bravo! daß Ihr kommt,“ jubelte es ihnen entgegen, „jetzt den Punsch ausgetheilt, und nach dem Festessen in die Restauration geschickt!“

„Hier ist ein Braten dazu,“ rief einer der Ankömmlinge, und hob einen halbverbrannten Hasen, den er bei den Hinterläufen gefaßt hatte, in die Höhe.

„Wo hast Du das Vieh her, was soll’s damit?“

„Herr Lampe hat sich die Ehre geben wollen, sich selbst für Hennig’s Festmahl aufzutischen, aber ist wohl etwas zu hitzig gewesen und hat sich mit Haut und Haar zu braun gebraten,“ lachte der Besitzer des Hasen. „Die rothen Signallichter meines ‚Pluto‘ jagten ihn aus der Schneegrube auf, in der er auf der Böschung ganz behaglich geduckt saß, und er fing an, mit unserem Zuge um die Wette zu laufen. Wohl zwei bis drei Minuten lang sah ich den kleinen, dummen, schwarzen Kerl beim Scheine meines Feuers im zweiten Gleise neben der Maschine über den Schnee hinfliegen. Ich that einen kurzen Pfiff, da bekam er einen Schreck, prallte vorwärts, gewann Vorsprung, kam in das rothe Licht der Signallaternen – das mochte ihn blenden – er schlug einen Haken vor der Maschine wie vor einem Hunde – quer über das Gleis. Ich schaute aus, wo er drüben wieder zum Vorscheine kommen würde, aber er kam nicht. Ich dachte, er sei todt gefahren oder unter dem Zuge zurück gelaufen, und vergaß das Thier. Als aber in Seestadt der Rost meiner Maschine schlackenfrei gemacht werden soll, schreit der unterirdische Geist mit der Feuerkrücke aus der Aschengrube herauf: ‚Herr Hörnig, Herr Hörnig! Sie haben sich ja einen Braten mitgebracht.‘ Ich denke, dem Kerl hat das Feuer des ‚Pluto‘ das Hirn versengt, steige ab und sehe nach. Seht, so wahr ich hier sitze, liegt mein Hase vom Bielitzer Gehölz unten in meinem

  1. Auf den Locomotiven befinden sich jetzt fast überall eine Art von Cabinen mit Glasfenstern über den Standplätzen des Maschinenpersonals, die diesem Schutz gegen Wind und Wetter gewähren. Vor dem Jahre 1860 war dies fast nirgends der Fall, und es haben die Erörterungen des Verfassers über Mortalität und Morbilität des Betriebspersonals der Eisenbahnen (publicirt unter dem Titel: „Gefährdung des Personals beim Maschinen- und Fahrdienst der Eisenbahnen“, Leipzig, Teubner 1862), denen die königlich preußische Regierung in den Jahren 1862 bis 1866 umfassende, in derselben Richtung gehende Ermittelungen folgen ließ, manches zur Verbreitung dieser in Amerika längst durchgeführten humanen Einrichtung beigetragen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_008.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)