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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Seelenhirten es als ihre Mission betrachten, ihre Lehre mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verbreiten. Freilich sind die Gläubigen, welche von diesen Hirten geleitet werden, recht leicht zu führen, denn ihre Spiritistenseelen sind etwas Sichtbares, etwas Greifbares, Materielles.

Der Geist im Menschen besteht nach der betreffenden Lehre aus einem doppelten Wesen und ist als eine von flüssiger Masse bekleidete Doppelseele aufzufassen. Das Seelen-Fluidum führt den Namen „Perisprit“, zu deutsch „Umgeist“. Während des Erdenlebens bildet der „Perisprit“ das flüssige Medium, welches die Seele mit dem Körper verbindet und in allen Theilen des Körpers lebt und webt. Während des Schlafs läßt die Seele den Perisprit im Körper zurück und begiebt sich in der Nacht in den Aether zu ihren himmlischen Colleginnen. Im Tod nimmt die Seele Besitz von ihrem Perisprit, den sie dem Körper nur geliehen hatte, geht mit ihm wieder in’s Jenseits und hängt ihn daselbst in den Sonntagsschrein, um ihn bei gelegentlichen Besuchen auf der Erde wieder anzuziehen und unter den Menschen zu lustwandeln.

Die Schwindel-Photographie im Dienste des Spiritismus.
 Natürliche Aufnahme. Aufnahme mit einem „Geist“.

Durch Vermittelung des Perisprit ist es der Seele ermöglicht, sich als „Geist“, wenn es ihr beliebt, auf die Erde zurückzutelegraphiren und da und dort sogar sichtbar zu werden. Sie nimmt dann gewöhnlich die Gestalt und die Kleidung des Menschen an, in welchem sie zu ihren Erdenzeiten gewohnt hatte. Bei allen Offenbarungen der Geister, bei allen Erscheinungen des Spiritismus spielt dieser Perisprit die Hauptrolle. Er ist der Schlüssel zu allen außergewöhnlichen, berühmt gewordenen Thatsachen, welche die Geschichte des Spiritismus aufzuweisen hat, und wir werden bei Beleuchtung der sonderbaren Erfahrungen, die Schreiber dieser Zeilen unter den Spiritisten gemacht, noch weiter mit diesem Perisprit zu thun haben.

Der modernen Spiritistenlehre ist eine Art von christlich-freireligiöser Schwärmerei beigemischt, welche der absoluten Verehrung der durch den Perisprit sich materialisirenden Geisterwelt eine gewisse Weihe geben soll. Die Anhänger glauben, daß die Seelen der Abgeschiedenen, in materieller Erscheinung uns fortwährend umschwebend, den einzelnen Menschen in christlicher Liebe beschützen. Es giebt unter den Anhängern des Spiritismus drei Classen von Begabten: Die Geisterseher oder sogenannte sehende Medien verfügen durch Vermittelung einer höheren Macht angeblich über die Gabe, fortwährend diejenigen Seelen zu sehen, von welchen Andere umschwebt sind und welche den sogenannten schreibenden Medien durch Leitung der Hand ihren Willen in die Feder dictiren. Eine dritte Art, die physischen Medien, in welchen nur eine Beziehung zur Geisterwelt schlummert, die aber noch nicht in der Erkenntniß soweit fortgeschritten sind, wie die genannten beglückten Personen, bilden die andere Schaar der Adepten. Die Medien sind demnach eine Art Priesterkaste, die Adepten das blindgläubige Volk. In neuester Zeit versteigt sich die Lehre sogar zu der Annahme, daß die Geister, die uns umschweben, sich incarniren, d. h. zeitweise wieder Fleisch und Blut werden, uns umarmen, küssen, necken, stoßen und sogar mißhandeln. Der berühmte englische Chemiker, der neuerdings dem Geisterglauben ergebene Mr. William Crookes, hat sogar mit dem berühmten Geist Katie King, von welchem die „Gartenlaube“ in Nummer 42 vor. J. so interessante Enthüllungen gebracht hat, nach mir von glaubwürdigster Spiritistenseite zugekommener Mittheilung ein neuplatonisches Liebesabenteuer bestanden. Eine Geisterphotographie, die mir zu Gebote stand, zeigt Herrn W. Crookes am Arme eines reizenden Frauenzimmers, recht reell und greifbar, das der große Engländer thatsächlich für einen materialisirten Geist hält. Es ist eben die „enthüllte“ Katie. Das Bild ist bei Nacht mit Magnesiumlicht in Gegenwart des berühmten Darwinisten R. Wallace photographisch aufgenommen worden. Beide, Crookes und das Frauenzimmer, zwicken die Augen zu; das Magnesiumlicht war zu hell, sodaß selbst der sonst in den Höhen so lichtgewohnte weibliche Geist die Blendung nicht vertragen konnte. – Daß Crookes und Wallace in der That an alle diese Geschichten und Firlefanzereien glauben und den „Geist“ auch recht lieb gewonnen haben, ist mir von einem berühmten Leipziger Professor, der Crookes im vorigen Herbste besucht hat, persönlich bestätigt worden.

In der Dämmerstunde des 25. September geleitete mich der obenerwähnte Freund in die Rue de la Regence Nr. 59 vor ein halbverfallenes, von rauchschwarzen Mauern umstarrtes Gebäude, in dessen Nachbarschaft verschiedene Neubauten aufgeführt werden und welches selbst dem Untergange bestimmt zu sein schien. Wir schlüpften hinter eine Mauer, stiegen daselbst eine dunkle Treppe hinan und gelangten in eine halbverfallene

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_017.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)