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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Obgleich kein besonderer Freund solch einer romantischen Ueberschwänglichkeit, gab der König sogleich den Befehl, die Garnisonkirche in Potsdam, wo die Särge des großen Friedrich und seines strengen Vaters standen, zu erleuchten. Um Mitternacht führte er selbst seinen hohen Gast in Begleitung der Königin in die Gruft. Ueberwältigt von seinen Gefühlen, küßte Alexander den kalten Marmorsarg und die warmen Lippen der von ihm angebeteten Louise, indem er mit erhobener Hand den neuen Bund zwischen Rußland und Preußen feierlich beschwor und unerschütterliche Treue gelobte. Schweigend knieten die Anwesenden nieder und beteten leise um den Segen des Himmels, worauf sie unter nochmaliger Versicherung ewiger Freundschaft von einander Abschied nahmen.

Alexander eilte zu dem Heer nach Mähren, wo die vereinigte russisch-österreichische Macht bei Austerlitz von Napoleon auf das Haupt geschlagen wurde. Der stolze Sieger, empört über die vermeintliche Treulosigkeit der preußischen Regierung, brannte vor Begierde sich an dem heimlichen Gegner zu rächen, der jetzt ohne genügende Vorbereitung, ohne erprobte Führer und ohne Bundesgenossen ihm rath- und hülflos gegenüber stand. Während der König durch Unterhandlungen noch den drohenden Kampf zu vermeiden suchte, rüstete Napoleon mit der ihm eigenen Energie und traf alle Vorbereitungen, um den längst geplanten Todesschlag gegen die Monarchie des großen Friedrich zu führen. Plötzlich rückte er nach Thüringen vor, wo er mit bewunderungswürdiger Kraft und Schnelligkeit die wichtigsten Punkte besetzte. In dieser Zeit der allgemeinen Rathlosigkeit, Verzagtheit und Verwirrung war die Königin Louise nach dem Zeugniß des bekannten Staatsmannes Gentz die einzige tröstliche und bedeutende Erscheinung. Weit entfernt davon, im kriegerischen Getümmel, wie es in den lügenhaften Berichten der französischen Blätter und in den späteren Bulletins hieß, die Amazone zu spielen und das Feuer unweiblich zu schüren, bewahrte sie auch unter den traurigsten Verhältnissen ihren sanften, echt weiblich-deutschen Charakter.

„Donnerstag den 9. October,“ schreibt Gentz in seinen denkwürdigen Aufzeichnungen, „um 9 Uhr Vormittags erhielt ich in Erfurt Zutritt bei Ihrer Majestät der Königin. Schon seit einem Jahre hörte ich beständige Lobpreisungen dieser Fürstin; ich war daher ganz darauf vorbereitet, sie anders zu finden, als ich sie früher mir gedacht. Die feinen, erhabenen Eigenschaften aber, die sie während einer dreiviertelstündigen Unterhaltung jeden Augenblick entwickelte, hatte ich nicht erwartet. Sie berathschlagte mit Präcision, Selbstständigkeit und Energie, zu gleicher Zeit eine Klugheit offenbarend, die ich selbst bei einem Mann bewunderungswürdig gefunden hätte, und doch zeigte sie sich bei Allem, was sie sagte, so voll tiefen Gefühls, daß man keinen Augenblick vergessen konnte, es sei ein weibliches Gemüth, dem man Bewunderung zollte. Nicht ein Wort, das nicht zum Zweck gehörte, keine Reflexion, keine Gefühlsäußerung, die nicht in vollkommenster Harmonie gestanden mit dem allgemeinen Gegenstande der Besprechung, so daß eine Combination von Würde, Wohlwollen und Eleganz, wie ich nie etwas Aehnliches mich zuvor besinne, das Resultat war.

Ihre erste Frage war, was ich von diesem Kriege denke und welche Ansichten ich hege. Ich suchte Alles hervor, was sich mir selbst bei dieser Frage von der schönen Seite bot. Besondern Nachdruck legte ich auf den Zustand der öffentlichen Meinung, auf die günstige Stimmung von Seiten der Zeitgenossen und auf die eifrigen Wünsche, die von allen Parteien Deutschlands dahin getheilt würden, daß ein günstiger Erfolg Preußens Unternehmung krönen möge. Die Königin bemerkte, sie habe schon seit langer Zeit Betrachtungen darüber gehegt, in welchem Lichte die öffentliche Meinung und vor Allem die der fremden Länder diesen Feldzug betrachten möchte, da sie wohl wisse, daß die Gesinnungen gegen Preußen nicht die günstigsten seien; jedoch habe sie seit einigen Wochen in dieser Beziehung Erfahrungen gemacht, die ihr wieder großes Vertrauen eingeflößt hätten. Sie fuhr fort, sie kenne die Vergangenheit besser als ich; ‚aber ist jetzt nicht der Augenblick, wo sie vergessen sein sollte!‘

Sie lenkte das Gespräch auf den für Oesterreich so unglücklichen Krieg von 1805 – unauslöschlichen Eindruck machten auf mich die liebenswürdigen tiefen Gefühle, die sie offenbarte, als sie auf die Mißgeschicke des Hauses Oesterreich anspielte. Mehr als einmal sah ich dabei ihre Augen voll Thränen. Unter Anderm erzählte sie mit rührender Einfachheit, daß an dem Tage, wo sie die Nachricht von den ersten Unglücksfällen der österreichischen Armee erfahren, der Kronprinz, ihr Sohn, sich zum ersten Male in der Uniform gezeigt habe. Als sie dies gesehen, habe sie gesagt: ‚Ich hoffe, daß an dem Tage, wo Du Gebrauch machen wirst von diesem Rocke, Dein einziger Gedanke der sein wird, Deine unglücklichen deutschen Brüder zu rächen.‘ – Sie rechtfertigte sich gegen den in französischen Blättern ihr gemachten Vorwurf der Einmischung in die öffentlichen Angelegenheiten, erklärte jedoch freimüthig, sie würde, wenn sie darum befragt worden wäre, für den Krieg gestimmt haben. In Bezug auf die ihr angedichtete Parteilichkeit für Rußland sagte sie: ‚es sei dies von allen die ungerechteste und absurdeste Beschuldigung. Was den Eifer, die Hingebung und persönlichen Tugenden des Kaisers Alexander anbeträfe, so habe sie diesen stets alle Gerechtigkeit angedeihen lassen und werde dies auch immer thun, allein weit entfernt, Rußland als das Hauptwerkzeug der Befreiung Europas zu betrachten, habe sie dessen Beihülfe nur immer als letzte Hülfsquelle angesehen und sie sei fest überzeugt, daß die großen Rettungsmittel einzig und allein in der engsten Verbindung aller Derer zu finden wären, die sich des deutschen Namens rühmten.‘“

Unaufhaltsam jedoch brach das Verhängniß über Preußen herein, an dem die Sünden der Vergangenheit gerächt wurden. Eine einzige unglückliche Schlacht genügte, um die Monarchie Friedrich’s des Großen zu zertrümmern. Der Tag von Jena mit den darauf folgenden Ereignissen, jene Zeit der Schmach, des Abfalls und Verraths offenbarte die allgemeine Demoralisation, die von dem scharfblickenden Mirabeau bereits bezeichnete „Fäulniß vor der Reife“, die Erbärmlichkeit der höheren Stände, die Unfähigkeit und Feigheit der Beamtenwelt, die Gesinnungslosigkeit der Bürgerschaft in der entsetzlichsten Weise. Der König sah sich gezwungen, mit seiner Familie und den Resten seines zwar tapferen, aber schlecht geführten Heeres über die Oder zu fliehen. In jenen traurigen Tagen der Prüfung, als eine Schreckensnachricht die andere jagte, sprach die betrübte Königin in ihrem Schmerze die prophetischen Worte zu ihren Söhnen:

„Ihr seht mich in Thränen; ich beweine den Untergang meines Hauses und den Verlust des Reiches, mit dem Eure Ahnen und ihre Generale den Stamm der Hohenzollern gekrönt haben und dessen Glanz sich über alle Völker verbreitete, die ihrem Scepter gehorchten. Ach, wie verdunkelt ist jetzt dieser[WS 1] Glanz! Das Schicksal zerstörte an einem Tage ein Gebäude,[WS 1] an dessen Erhöhung große Männer zwei Jahrhunderte hindurch gearbeitet haben. Es giebt keinen preußischen Staat, keine preußische Armee, keinen Nationalruhm mehr; er ist verschwunden wie jener Nebel, welcher auf den Feldern von Jena und Auerstädt die Gefahren und Schrecken dieser unglücklichen Schlacht verbarg. Ach, meine Söhne, Ihr seid in dem Alter, wo der Verstand die großen Ereignisse, welche uns jetzt heimsuchen, fassen und fühlen kann; ruft künftig, wenn Eure Mutter und Königin nicht mehr lebt, diese unglückliche Stunde in Euer Gedächtniß zurück, weint meinem Andenken Thränen, wie ich sie jetzt in diesem Augenblicke dem Umsturze meines Vaterlandes weine! Aber begnügt Euch nicht mit Thränen allein! Handelt, entwickelt Eure Kräfte! Vielleicht läßt Preußens Schutzgeist auf Euch sich nieder; befreiet dann Euer Volk von der Schande, den Vorwürfen und der Erniedrigung, worin es schmachtet! Suchet den jetzt verdunkelten Ruhm Eurer Vorfahren von Frankreich zurück zu erobern, wie Euer Urgroßvater, der große Kurfürst, einst bei Fehrbellin die Niederlage, die Schmach seines Vaterlandes an den Schweden rächte! Lasset Euch, meine Prinzen, nicht von der Entartung des Zeitalters hinreißen! Werdet Männer und geizet nach dem Ruhme großer Feldherrn und Helden! Wenn Euch dieser Ehrgeiz fehlte, so würdet Ihr des Namens von Prinzen und Enkeln des große Friedrich’s unwürdig sein. Könnt Ihr aber mit aller Anstrengung den niedergebeugten Staat nicht wieder aufrichten, so suchet den Tod, wie ihn Louis Ferdinand gesucht hat!“

Auf der Flucht nach Preußen lernte die Königin das Elend und die Noth im vollsten Maße kennen. Die pflichtvergessenen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. a b in Vorlage nicht lesbar, von Google-USA* übernommen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_027.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)