Seite:Die Gartenlaube (1876) 034.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

de’ Termini fuhren und dann durch gar so enge stille Straßen und zwischen gar so alten baufälligen Mauern hin durch die finstere Nacht bergab rollten.

Endlich hielten wir im großen Hofe des Hôtel Costanzi. Und wir waren in Rom! Denn rings herum an den Wänden standen und lagen in gefälliger Ordnung antike Marmorreste, Büsten, Säulenstümpfe, zerbrochene Capitäle, und von den Treppenabsätzen des Hauses leuchteten mir aus Lorbeerbüschen die wohlbekannten Gypsabgüsse berühmter Antiken grüßend entgegen. Sie, denen ich in Deutschland bisher nur in Museen begegnet war, sie riefen mir, hier in ihrer hesperischen Heimath, das erste freudige Willkommen zu, welches in meiner Brust einen begeisterten Widerhall fand, und mitten durch die Schaaren der verwünschten schwarzfrackigen Kellner und der gaffenden, lorgnettirenden Engländer und der schnatternden, langhüftigen Engländerinnen, die sich hier in den Vorsälen und auf den Treppen des Hôtels offenbar wie zu Hause fanden, eilten wir in unsere Zimmer, uns in der Stille zu freuen, daß wir wirklich in Rom seien und daß schon morgen das Größte, das die Erde kennt, leibhaftig vor unseren Augen stehen werde. Auf’s Neue spannten sich unsere begeisterungsvollen Erwartungen, spannten sich auf’s Höchste, und sie wurden erfüllt, wenn auch nur langsam und nach und nach. Denn gerade das, daß der lebhafteste und ehrlichste Enthusiasmus, den wir über die Alpen mit herüber in die Siebenhügelstadt bringen, im Anfange aus mehrfachen Gründen stark abgedämpft wird und nur allmählich wieder eine Steigerung erfährt, die aber dann um so höher geht und um so unauslöschlicher wirkt, gerade das ist charakteristisch für Rom. Und wer anders sagt, ist ein Phantast oder Heuchler.

Schon in den ersten Stunden des nächsten Tages war ich auf den Füßen, ohne Führer, ohne Plan, nur meinem Stern vertrauend, und er führte mich glücklich. Ich betrat die nahe Piazza Barberini, an der, wie ich erst später erfuhr, sich Georg Scherer für den ganzen Winter eingemiethet hatte, schritt an der rauschenden Fontaine mit ihrem muschelblasenden Tritonen vorüber, der „zu dem Platze gehört, als wäre er mit Naturnothwendigkeit auf demselben emporgewachsen“, that einen raschen Blick in die Via delle quattro fontane, ohne damals zu ahnen und um es erst einige Tage später zu erfahren, daß in einem der ersten Häuser sich hier Levin Schücking gleichfalls für den ganzen Winter niedergelassen habe, und schlug mich dann hastig wieder nach rechts, wo mir von der Höhe ein stattlicher Obelisk entgegenwinkte. Römisches Straßenleben habe ich den Lesern der „Gartenlaube“ schon früher geschildert, und ich übergehe also den lebendigen Eindruck, den ich auf diesem Wege von allen Seiten zum ersten Male empfing.

Die sanft ansteigende und zur Höhe führende Via Sistina ist zu beiden Seiten mit Ateliers, Läden und Kunstwerkstätten aller Art gefüllt: Steinschneider, Mosaikarbeiter, Bronzenhändler, Gypsgießer, Marmorschleifer, Antiquitätenverkäufer haben hier die Parterregeschosse der beiden Häuserreihen in Beschlag genommen und dazwischen hausen deutsche Künstler in ihren Ateliers, unter welchen mir später dasjenige des Schwaben Dausch mit seiner großartigen Siegfried-Figur mit das interessanteste werden sollte.

Heute eilte ich an allem Diesem vorüber, hatte kaum einen Blick für die Bronzen, Gypsabgüsse, Marmorschalen und Gemmen, die aus allen Schaufenstern schimmerten, mich lockte nur der Obelisk, und dennoch eilte ich, als ich ihn erreicht, auch an ihm achtlos vorbei über den kleinen Platz, trat in freudigem Schreck vor an die steinerne Rampe, und dem Staunenden tief zu Füßen lag im strahlenden Sonnenglanz weit gedehnt die lang ersehnte, alte, ewige Stadt. Gerade vor mir hatte ich den Spanischen Platz, und die breite, gewaltige Treppe, die von ihm zur Höhe führte, auf der ich stand, war die berühmte Spanische Treppe.

Mein Stern hatte mich wirklich gut geführt, und vielleicht war es nur die Dankbarkeit gegen ihn, wenn ich selbst später noch neben der Aussicht vom Monte Pincio, die uns außer dem volleren Blick auf die riesenhafte, majestätische Kuppel des Michel Angelo, noch den andern auf die in ihrer Art ganz einzige Piazza del Popolo bietet, oder gar neben der Aussicht vom Janiculus, die mit dem modernen Rom zugleich das antike umfaßt, auch an dem Blicke von der Spanischen Treppe mich stets auf’s Neue ergötzte und auf der Piazza della Trinita auch am häufigste verweilte.

Wenn nun Rom diejenige Stadt ist, in welcher behagliches, stillfrohes, weltvergessenes Hinschlendern eine der erfreulichsten und ausbildungsfähigsten Beschäftigungen ist, denen man sich ergeben kann, so gewährt es ein ebenso einfaches und harmloses, wie genuß- und abwechselungsreiches Vergnügen, den Obelisken und die Kirche St. Trinita de’ Monti im Rücken, auf der Steinbalustrade der Piazza della Trinita gelehnt, über die Spanische Treppe hinweg auf das ausgedehnte Häusermeer Roms zu sehen, von der Villa Melini auf Monte Mario bis hinüber zu den Höhen des Janiculus mit seinen Prachtgärten, die aus der Tiefe der Stadt bis hinauf zu seinen Höhen, bis zur herrlichen Aqua Paola und bis zum Kloster San Onofrio reichen, in welchem Tasso starb. Dazwischen hochragend über alles von Menschenhand Gebaute die Kuppel von St. Peter, links dahinter die Piniengruppen der unvergleichlichen Villa Pamfili, während aus dem Häusermeer und Dächerwirrwarr vor uns sich Säulen um Säulen, Obelisken um Obelisken heben, bis endlich links hinter dem gewölbten Bleidach des Pantheons der Thurm des Capitols den weitschweifenden Blick begrenzt.

Aber was sind Namen! Man muß das Alles sehen und zwar zur rechten Zeit, im rechten Licht. Die rechte Zeit aber war für mich immer die des Sonnenunterganges, und oft habe ich mich aus heiterer Gesellschaft weggeschlichen, um von der Spanischen Treppe aus die Sonne königlich hinter den Hügeln von Rom untergehen zu sehen. Ein violetter Duft von wunderbarem Zauber schwebt über der Riesenstadt mit ihren Giebeln und Thürmen; jener nur dem italischen Himmel eigenthümliche zarte blaugrüne Ton über dem Horizont geht rasch in ein tiefkräftiges Purpur über, in dem die Peterskuppel selbst zu erglühen scheint; die breiten Wipfel der einsamen Pinien auf Monte Mario heben sich schwarz und riesenhaft von der flammenden Abendgluth, und mir allzurasch versinkt in die aus den Tiefen aufsteigende Nacht ein Schauspiel, das an Pracht und Farbenschönheit seines Gleichen nicht hat.

Und wie oft bin ich wieder um Mitternacht auf der Spanischen Treppe gestanden, wenn das große Rom da unten nachtbedeckt still, still im tiefen Schlafe lag, nur der Brunnen auf der Piazza di Spagna rauschte und die freundlichen Sterne so zauberhaft strahlend wie immer am blauen Himmel dahinzogen, die stummen Zeugen so vieler verrauschten Jahrtausende. Sie allein sind lebendig geblieben, und wie viele Götter der Erde und des Himmels haben sie stürzen, wie viele Herrlichkeit und Macht haben sie in Blut und Jammer und Schande enden sehen! Von den Nächten, da sie Numa und Egeria im Haine belauschten, bis heute. Und für den, der die Todten zu beschwören versteht, wenn der Mond sein volles Licht auf die Dächer und Häusermassen wirft, daß sie leuchten wie von frisch gefallenem Schnee, für den ist auch die Spanische Treppe ein guter Platz, aber das Meiste, was die Todten in Rom aus dem Grabe mit sich bringen, ist grauenhaft. Denn hier auf dem Monte Pincio, der unmittelbar an die Spanische Treppe stößt, lagen die prachtvollen Lucullischen Gärten, in denen die blutgierige Buhlerin Messalina ihre Villa zum Schauplatze wilder Orgien machte, und da drüben, wo heute St. Peter aus der Erde steigt, hatte Nero seine Gärten, in denen er, die Nacht zu erhellen, die Christen bei lebendigem Leibe wie Fackeln verbrannte. …

Aber warum die Todten beschwören! Das frische Leben rauscht voll und kräftig um uns und am Meisten hier auf der Spanischen Treppe, die zugleich mit dem Spanischen Platze der Mittelpunkt des Fremdenverkehrs genannt werden kann. Vom frühen Morgen bis zum späten Abende ist die vielstufige Treppe belebt, meist von Fremden, die aus ihren Quartieren in der Via Sistina hier hinunter zur Stadt oder vom Spanischen Platze herauf steigen, die vielbewunderte Aussicht zu genießen oder auf der Passegiata des Monte Pincio sich zu ergehen oder ihre Quartiere in den luftigen Straßen da oben aufzusuchen. Unter den Passanten dieser Treppe ist im Laufe eines Winters jede civilisirte Nation der Erde, jedes Alter und Geschlecht vertreten, und ich habe nur immer die Körnigkeit des Materials bewundert, aus dem die Treppe hergestellt ist, und die große Geschicklichkeit, mit welcher die einzelnen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_034.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)