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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

aus Sangerhausen in seinem grimmigen Zorn mit den liebenswürdigsten Schimpfnamen belegt, kennen mich hoffentlich viel zu gut, als daß sie nicht annehmen sollten, ich würde ihnen die Großvaterschaft eines Gorilla, Schimpanse oder Orang-Utan rückhaltslos klarlegen, wenn ich von derselben überzeugt wäre. Dies bin ich aber nicht, obgleich ich mich als Anhänger der Lehren Darwin’s bekenne und nicht daran denke, die innige Verwandtschaft, wohlverstanden: Verwandtschaft im thierkundlichen Sinne, welche zwischen Menschen und Affen thatsächlich besteht, wegleugnen zu wollen. Hiervon bin ich im Gegentheil so durchdrungen, daß alle bisher vorgebrachten Gegengründe mir bedeutungslos erscheinen müssen. Menschen und Affen gehören in eine und dieselbe Ordnung des Thierreichs: in die der Primaten, welche ich „Hochthiere“ genannt habe, mag sich der erstere gegen diese Verwandtschaft sträuben, wie er will. Mensch und Affe sind jedoch keineswegs gleichartig, und die Kluft, welche zwischen dem am höchsten entwickelten Affen und dem auf der niedrigsten Stufe stehenden Menschen besteht, wird nicht überbrückt, mag man auch das beiderseitige Verhältniß ansehen und deuten, von welcher Seite und wie man wolle. Dies beweisen am allerdeutlichsten unsere nächsten Verwandten, die „Menschenaffen“, über welche neuerdings ein reicher Stoff zusammengetragen worden ist, weil seit dem Erscheinen der die alten Anschauungen vollständig umwälzenden Werke Darwin’s jeder irgendwie Befähigte sich bemüßigt gesehen hat, für oder wider die aus der neuzeitlichen Entwickelungslehre gezogenen Folgerungen zu schreiben, zu reden und zu lehren.

Ein im Dresdener Thiergarten vor wenigen Wochen gestorbener Menschenaffe veranlaßt mich, die in jeder Beziehung der allgemeinsten Theilnahme würdige Gruppe der Ordnung vor dem weitesten Kreise, welchen ich finden kann, zu besprechen. Besagter Affe hat neuerdings, wie ich höre, viel Staub aufgewirbelt, weil sich die Gelehrten wie die Ungelehrten noch nicht darüber einigen konnten, zu welcher der seit geraumer Zeit bekannten, mehr oder minder ausführlich beschriebenen und mit größerer oder geringerer Berechtigung unterschiedenen Arten sie ihn zählen sollten. „Hie Welf, hie Waiblingen“ – „hie Gorilla, hie Schimpanse“, schreit man sich wüthend entgegen und ficht mit Waffen, wie sie gelehrter oder gelehrtseinwollender Männer in jedem Falle unwürdig sind, indem man sich gegenseitig Unwissenheit und andere Schwächen vorwirft. So wenigstens ist mir berichtet worden; denn ich selbst habe den Streit, welcher sich, meines Wissens, bisher nur in den Tagesblättern abgespielt hat, nicht verfolgt, weil ich schon seit Jahren ausschließlich Arbeiten von Fachmännern, nicht aber bedeutungslose Auslassungen der neuerdings wie Pilze aufschießenden Thierkundigen von gestern und heute zu lesen pflege. Der so heftig geführte Streit beweist aber, daß die Frage doch eine allgemeinere Bedeutung gewonnen hat, und daß deshalb der Versuch, die Hauptzüge unserer heutigen Kunde der Menschenaffen auch dem weitesten Kreise zugänglich zu machen, eine gewisse Berechtigung hat.

Im Allgemeinen wird angenommen daß man, abgesehen von den Langarmaffen oder Gibbons, drei sogenannte Menschenaffen unterscheiden darf: den Gorilla, den Schimpanse und den Orang-Utan, fälschlich auch Orang-Utang genannt. Ueber den erstgenannten kann, dank den eingehenden Arbeiten französischer und englischer Forscher, insbesondere Isidor Geoffroy’s und Owen’s kein Zweifel herrschen; anders dagegen verhält es sich mit dem Schimpanse und dem Orang-Utan, beziehentlich den Sippen oder Untersippen, als deren Vertreter beide gelten. Man hat nämlich mehrere, ebensowohl dem Schimpanse wie dem Orang-Utan ähnelnde Menschenaffen unterschieden, benamset und beschrieben und dadurch eine Verwirrung hervorgerufen, welche, wegen des uns gegenwärtig noch mangelnden Stoffes, geradezu als unlöslich erscheinen will. Hinsichtlich der Orangaffen ist man neuerdings mehr oder weniger zu der Ueberzeugung gekommen, daß es sich in diesem Falle nur um eine einzige Art, den Orang-Utan, handeln kann, beziehentlich der nächsten Verwandten des Schimpanse aber sind die Meinungen noch getheilt; denn während Einzelne sich nicht überzeugen lassen wollen, daß Afrika mehr als zwei Menschenaffen, Gorilla und Schimpanse, beherbergt, verfechten Andere die Ansicht, daß mindestens drei dieser Thiere in diesem noch immer sehr wenig bekannten Erdtheile leben. Der Menschenaffe des Dresdener Thiergartens hat mir den Beweis geliefert, daß letztere Anschauung die richtigere ist, und ich denke mir auch, daß alle, welche die von Mützel für die „Gartenlaube“ nach dem Leben gezeichneten beiden in Frage kommenden Menschenaffen mit vergleichendem Auge betrachten, derselben Ansicht sein werden, wie ich.

Um mich allgemein verständlich zu machen, muß ich, wohl oder übel, eine leibliche Beschreibung der betreffenden Menschenaffen geben, verspreche aber im voraus, dieselbe so kurz wie möglich fassen und später um so eingehender über die Lebensverhältnisse derselben berichten zu wollen.

Unter allen stellen wir den seit dem Jahre 1847 uns bekannten Gorilla (Anthropopithecus Gorilla) obenan, den riesigsten aller Affen überhaupt, ein ebenso gewaltiges wie entsetzliches, um mit dem alten Thierkundigen Geßner zu reden, „scheußliches“ Thier. Seinen Namen erhielt derselbe in Berücksichtigung eines uralten Berichtes des Karthagers Hanno, welcher erzählt, daß eine von seiner Vaterstadt ausziehende zahlreiche Auswanderergesellschaft mit wilden haarigen, von den Dolmetschern „Gorillas“ benamseten Menschen zusammengetroffen sei. Der Gorilla erreicht, vollkommen ausgewachsen, zwar nicht die Höhe eines großwüchsigen Mannes, übertrifft ihn aber sicherlich an Stärke und Gewicht. Die Höhe von der Sohle bis zum Scheitel beträgt 1,65 bis 1,70 Meter, die Breite von einer Schulter bis zur anderen 95 Centimeter, die Länge des Kopfes und auffallend gestreckten Rumpfes zusammengenommen 1,08 Meter, die Länge der Vorderglieder ebenso viel, die der Hinterglieder dagegen nur 75 Centimeter. Bezeichnend für den Gorilla sind: der lange Kopf mit stark hervortretenden Augenbrauenwülsten, eingesenkter Stirne und lang nach hinten gezogenem Hinterhauptstheile, der ziemlich weit vorgestreckte Kinntheil des Gesichts, das sehr kleine, dem des Menschen bis auf das stets entwickelte Läppchen ähnelnde Ohr, das überaus starke Gebiß, dessen Eckzähne eine ungeheuerliche Entwickelung erlangen und dessen hinterster unterer Backenzahn mit drei äußeren und zwei inneren Höckern nebst hinterem Anhange versehen ist, die ebenso starken wie langen, fast gleichmäßig dicken Vorderarme, die gewaltigen, breiten, wegen der bis zum zweiten Gliede verschmolzenen Mittelfinger im Handteller zwar lang, im Fingertheile aber kurz erscheinenden Hände mit zwar verhältnißmäßig starken, im Vergleiche zum Menschen aber doch immer sehr schwachen und kurzen Daumen, die kurzen Ober- und wadenlosen Unterschenkel und die ungemein breiten, klumpigen Füße, deren große Daumenzehe unter einem Winkel von 60 Grad von den übrigen, unter sich größtentheils ebenfalls verbundenen absteht. Das Gesicht bis zu den Brauenbogen und der Mitte der Jochbogen, die Ohrgegend seitlich und unten, die riesig dicken Finger von der Mitte des zweiten Gliedes an, die Sohlen und Seiten der Füße und die Obertheile der Zehen sind nackt, alle übrigen Theile behaart.

Der Strich der Haare verläuft auf dem Unterarme von unten nach oben, und auf den inneren Schenkeln von vorn und oben schief nach unten und hinten, im Uebrigen gleichmäßig von vorn nach hinten und unten. Die Haare verlängern sich auf dem Oberkopfe, an den Armen und Beinen, sind verkürzt oder abgerieben auf dem Rücken und stehen spärlich auf den Bauchseiten. Die Färbung der Haare ist bei dem Männchen wie bei dem Weibchen, beim Alten wie beim Jungen dieselbe: ein düsteres Dunkelgrau mit bräunlichem Schimmer, welcher auf dem Kopfe, in Folge der hier röthlichbraun zugespitzten Haare, in deutlicheres Grauroth übergeht, wogegen auf dem Rücken und an den Oberschenkeln, deren Fell in der Regel abgerieben wird, mehr die grobe Farbe zur Geltung kommt.

So viel man bis jetzt weiß, bewohnt der Gorilla die zwischen dem Gleicher und dem fünften Grade südlicher Breite gelegenen, von den Flüssen Gabun, Muni und Fernando Vaz durchströmten Länder West-Afrikas, jedoch weniger die an der Küste, als die weiter im Innern liegenden Striche. Wie weit sein Verbreitungskreis in das Innere von Afrika sich erstreckt, weiß man nicht.

Theilweise in denselben Gegenden, jedoch viel weiter nach Norden hin, bis zur Sierra Leona sich verbreitend, lebt diejenige Art von Menschenaffen, welche man allgemein Schimpanse (Anthropopithecus troglodytes) nennt, im Alterszustande aber noch immer nicht genügend kennt. Dieses Thier, ist jetzt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_046.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)