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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Ursache der Ekstase, der Katalepsie, der Schmerzlosigkeit, der Hallucinationen, der Spiritisterei und aller betreffenden Verirrungen des menschlichen Geistes.

Derselbe Anlaß galt schon im vierten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung bei den Mönchen, die auf dem Berge Athos ihr Wesen trieben. Diese Mönche versetzten sich in einen eigenthümlichen ekstatischen Schlaf, der mit Gefühllosigkeit verbunden war, indem sie, entkleidet, längere Zeit gegenseitig den Mittelpunkt ihres Leibes fixirten. In Folge der langwährenden Ermüdung der Augen entstand jene Ekstase, welche historisch überliefert ist.

Ganz dasselbe findet bei den Fakiren von Indien statt, welche das Ende ihrer Nasen zum Gegenstande ihrer liebenden Blicke auswählen. Nach einiger Zeit glauben sie eine bläuliche Flamme zu sehen. Ihre Augen schließen sich; sie verlieren das Bewußtsein, werden unempfindlich, und es zeigen sich an ihnen alle jene mehr oder weniger charakteristischen ekstatischen Phänomene. Die kataleptischen Erscheinungen bei hysterischen Nonnen und exaltirten Mönchen haben überall denselben Grund. Sie beginnen mit scharfer Fixirung eines Objectes, eines Heiligenbildes oder eines Phantoms, welches ihre Gedanken beherrscht; es handelt sich um einen sensitiven Reiz, eine Art geistiger Wollust, welcher die Ekstase folgt, und deren Anfangspunkt immer als ein vorübergehender Reizzustand des Sehnerven nachzuweisen ist.

Die Anhänger des Spiritismus und modernen Geisterthums zählen in England, Amerika, Frankreich und Belgien schon nach Tausenden. Einundzwanzig periodische Zeitungen in allen modernen Sprachen, eine Anzahl von Flugblättern und Gelegenheitsschriften vermitteln den geistverwirrenden Verkehr zwischen den Anhängern der neuen Lehre, welche Letztere sich jetzt sogar auf die Thierseelen erstreckt.

Bei der Kenntnißnahme und der Beurtheilung wissenschaftlicher Fragen liebt eben der große Haufen weniger die Ergründung wahrer Thatsachen als den Autoritätsausspruch berühmter Personen. Der Werth einer geistigen Errungenschaft liegt ja im Allgemeinen für das sogenannte „gebildete“ Publicum leider weniger in der Bedeutung des Erzählten, als in der Stellung, die der Gelehrte einnimmt, der eine angeblich neue Entdeckung oder Beobachtung mittheilt.

So verhält es sich auch mit den Autoritäten des Spiritismus. Ihre reellen Errungenschaften auf dem Gebiete der Naturforschung werden von dem großen Haufen vergessen, nur die Schlacken ihres Geistes werden an’s Tageslicht gezogen und passend verwerthet. Wenn Männer wie William Crookes, der Entdecker des Thalliums, wenn R. Wallace, der Rival Darwin’s, wenn Varley, der berühmte Physiker der transatlantischen Kabelgesellschaft, „wissenschaftlich“ Gesetze aufstellen konnten, wie: das Gesetz der Schwere ist aufgehoben; die Körper können sich, von Geistern gehoben, in die Luft begeben; Töne jeglicher Art und Tonwellen können ohne nachweisbare Ursachen entstehen; Gegenstände können von einer Stelle eines Zimmers zur anderen, ohne Anwendung bekannter Kräfte befördert werden; menschliche Körper können in die Höhe steigen; Geistererscheinungen können sich verkörpern und berührbar werden; Geister können ohne Mitwirkung eines Menschen bleibende Schrift auf Papier hinterlassen, und dergleichen mehr: so können wir in der Beurtheilung der genannten Forscher nur entschuldigend annehmen, daß dieselben einer geistig krankhaften Erregung, einer sogenannten monomania spiritistica, zum Opfer gefallen sind.

Darf solchen Verirrungen gegenüber die ehrliche wissenschaftliche Forschung schweigen? Ist es da nicht Pflicht, mit allen zu Gebote stehenden aufklärenden Mitteln gegen jene Verirrungen des Geistes vorzugehen? – In der Physik werden alle bekannten Gesetze umgestoßen; in der Physiologie und Heilkunde werden die wahnsinnigsten Theorien zu Tage gefördert und die Heilung der Krankheiten den Eingebungen der Geisterwelt überlassen. Im socialen Leben werden die Geister in den wichtigsten Dingen befragt. Der Wahnsinn wird gleichsam mit Macht heraufbeschworen und verbreitet. Ist es da nicht die unumstößliche Pflicht der Sanitätsbehörden, jener Wächter der öffentlichen Gesundheitspflege, diese über die ganze civilisirte Welt sich erstreckende epidemische Geisteskrankheit einzuschränken und die durch Irrthum, Täuschung und Lüge erzeugten verkehrten Begriffe mit der leuchtenden Fackel der Vernunft zu beseitigen?

Der Ehrenrath der britischen Nationalgesellschaft der Spiritisten allein weist gegen neunzig Personen aus den besten Kreisen der englischen Gesellschaft auf; die Mitglieder selbst zählen nach Tausenden. Auch nach Deutschland greift in den jüngsten Jahren der Spuk herüber, und besonders die Stadt Leipzig bietet ein nennenswerthes Contingent von Geistergläubigen; man versucht von hier aus das Unheil in Deutschland einzubürgern. Wir werden trotzdem, bei dem gesunden naturwüchsigen Sinne unseres Bürgerthums und der guten Schulbildung, der man im Allgemeinen bei uns doch immer begegnet, kaum Gefahr laufen, die besten Errungenschaften unseres Jahrhunderts durch das Auftauchen mittelalterlicher Zauberei und Magie wieder einzubüßen. Wenn aber an der Verbreitung solcher Hirngespinnste anerkannte, bewährte Naturforscher sich betheiligen, dann dürfen Presse und exacte Wissenschaft nicht schweigen. Beide vereint müssen mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln und Kräften den modernen Aberglauben durch prüfendes Eingehen auf jene Verirrungen zu bekämpfen und zu vernichten suchen.

Aus den mitgetheilten Thatsachen geht mit unanfechtbarer Klarheit hervor, daß Erscheinungen, welche Jahrhunderte hindurch einem geheimnißvollen Einflusse zugeschrieben wurden, auf die einfachste Weise in den Errungenschaften der neueren Medicin ihre eingehende Erklärung finden. Schwärmerei, Phantasie und Irrthum müssen von nun an der Forschung, dem Studium und der Wissenschaft das Feld räumen. Lüge und Aberglauben werden ihr keckes Haupt nicht mehr zu heben wagen, nachdem die Physiologie des Nervensystems gezeigt hat, daß es in ihrer Gewalt stehe, jene natürlichen Phänomene willkürlich hervorzurufen.




Der Doppelgänger.

Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

„Sie haben Recht,“ entgegnete Falstner der Prinzessin, „es war ein abscheulicher Betrug – das habe ich, als ich furchtbar unter seiner Ausführung litt, mit jedem Tage mehr eingesehen. In jener Stunde aber – mein Gott, ich war so arm, so verlassen in der Welt, und eine Heimath zu finden hatte etwas so unwiderstehlich Verführerisches für mich – und dann, war ich nicht gewohnt, immer Werkzeug zu sein, mich Anderer Willen zu beugen, fremdem Einfluß als dem mein Leben bestimmenden Schicksal mich zu unterwerfen? Ich bin nicht schlecht, glauben Sie mir das, Durchlaucht –“

„Aber schwach, sehr schwach,“ antwortete, ihm streng und fest in’s Auge sehend, Prinzessin Elisabeth.

„Ja. Verdammt es mich oder entschuldigt es mich?“

„Erzählen Sie weiter! Eilen Sie! der Präfect wirft ungeduldige Blicke zu uns herüber.“

„Ich will deshalb,“ fuhr er fort, „nichts sagen von den Tagen, die nun folgten. Nichts von der Qual, in die ich gerieth, als ich Adelheid’s Erscheinung einen immer stärkeren Zauber auf mich ausüben fühlte und dann gewahrte, daß ihr Herz nicht mehr frei sei, daß es längst in leidenschaftlicher Liebe einem Anderen gehörte, während ich doch in der Sorge um eine mögliche Entdeckung meines Betrugs, um der Sicherheit meiner Zukunft willen auf ihre Hand nicht verzichten konnte. Durch diese Lage habe ich bitter gebüßt. Und dann kam der fürchterliche Augenblick, wo ich, im Begriffe zu Ihnen zu gehen, Durchlaucht, einen Mann vor mir auftauchen sah, der sich Uffeln nannte. Ich war wie vom Blitze gerührt. War das der Mann, den ich einmal in Spanien gesehen, der Mann, dessen Namen ich usurpirt hatte, oder war er es nicht, war es ein Fremder, der sich ebenfalls diesen Namen beigelegt hatte …“

„Erkannten Sie ihn denn nicht wieder?“

„Nein, nicht sicher, nicht gewiß; ich hatte[WS 1] ihn in Spanien

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: hätte
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_050.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)