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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

nicht über sich gewinnen konnte, den Racheplan, mit dem er gekommen, auszuführen und der Mutter den Zustand, in den durch sie ihr Kind gebracht worden, als recht bedrohlich und sorgenerregend vorzustellen. Bedrohlich fand er diesen Zustand ja in der That nicht; er wußte, daß während einiger Tage der Schonung das Gefühl inneren Glückes Adelheid so kräftigen und herstellen werde, daß er fast nur zur Beruhigung der Ihrigen etwas aus den Droguentöpfen Widmer’s verschrieb.

Doch sagte er, als er ging und Frau von Mansdorf ihn in’s Vorzimmer begleitete, um noch unter vier Augen seinen Ausspruch über Adelheid’s Zustand zu vernehmen, offenherzig zu der heute sehr kleinlaut gewordenen und bekümmert dreinschauenden Dame:

„Danken Sie Gott, gnädige Frau, daß es nicht schlimmer ist, und hüten Sie sich ja, wieder solche Experimente mit Fräulein Adelheid’s Herzen anzustellen! Dazu hat der Himmel ihm nicht die nöthige Härte gegeben – Gewalt dürfen Sie ihm nicht anthun wollen oder Sie verlieren Ihr Kind. Ich will Ihnen auch nicht verhehlen, daß Fräulein Adelheid’s Herz mir gehört, daß ich allein der Arzt bin, durch den sie gesunden kann, und daß Sie sich deshalb gefallen lassen müssen, daß dieser Arzt sie von nun an in ununterbrochene treue Pflege nimmt. Ich werde deshalb jetzt täglich wiederkehren, und Sie, nicht wahr, gnädige Frau? sind eine zu gute besorgte Mutter, um dies hindern zu wollen.“

„Es ist das zwar,“ versetzte trübe lächelnd Frau von Mansdorf, „eine merkwürdige Art von Ausbeutung der ärztlichen Autorität, wenn der Doctor seinen Kranken als Heilmittel sich selbst verschreibt – oder gar am Ende als sein Honorar für ärztliche Bemühungen den Patienten selber in Anspruch nimmt.“

„Es ist das allerdings,“ fiel der Doctor scherzend ein, „in der Medicinaltaxordnung nicht vorgesehen, aber doch auch nicht verboten. Und da, was Heilmittel betrifft, diese sich immer auf’s Genaueste nach dem speciellen Falle richten müssen, den Fall aber nur der Arzt beurtheilen kann, so werden Sie ihn, gnädige Frau“ – der Doctor setzte das mit einem bittenden Blicke und weicherer Stimme hinzu – „in seiner Curmethode nicht stören und hindern wollen.“

Frau von Mansdorf seufzte.

„Ich bin ja freilich selbst schuld, daß ich den Doctor habe die Krankheit hervorrufen lassen. So werd’ ich mich denn auch wohl nicht dawider auflehnen dürfen, daß er sie nun heilt.“

Sie reichte ihm langsam und ein wenig widerstrebend die Hand, die er nichtsdestoweniger lebhaft und glücklich an seine Lippen zog.


(Schluß folgt.)




Louise.


Zur hundertjährigen Geburtstagsfeier der Mutter unseres Kaisers.


(Fortsetzung.)


Dazu erkrankten noch ihre jüngeren Kinder auf der in der rauhen Jahreszeit doppelt beschwerlichen Reise; sie selbst erlag den auf sie einstürmenden Gemüthsbewegungen und verfiel in ein Nervenfieber, von dem sie jedoch in verhältnißmäßig kurzer Zeit genas. „In dieser Krankheit,“ bezeugt die bekannte Gräfin Voß, ihre Oberhofmeisterin, „habe ich den Muth und die Gelassenheit meiner theuren Königin wieder recht erkannt. Ihr Leben ist ihr selbst nur von Werth um ihres Mannes und ihrer Kinder willen, und die vollständige Ergebung in den Rathschluß des Allerhöchsten giebt ihr diese große Geduld und tiefen, inneren Frieden.“ – Kaum genesen, mußte sie mitten im Winter das vom Feinde bedrohte Königsberg verlassen und nach Memel flüchten. In Betten gehüllt, wurde sie auf elenden Wegen fortgebracht und, zu schwach zum Gehen und in Ermangelung eines Sessels, auf den Armen eines Dieners in ihre Wohnung getragen, aber keine Klage, kein unwilliges Wort entschlüpfte den bleichen Lippen der starken Dulderin, welche mit rührender Ergebung ihr hartes Geschick trug.

Unterdessen schlug sich der Rest des preußischen Heeres, in Verbindung mit der russischen Armee unter Bennigsen, mit anerkennungswerther Tapferkeit gegen den überlegenen Feind. Nach der zweifelhaften Schlacht bei Eylau, wo Napoleon große Verluste erlitten, schickte dieser einen seiner Generale mit vortheilhaften Friedensvorschlägen an den König, welche dieser jedoch, aus Rücksicht auf seine Bundesgenossen zurückwies. Die Königin, welche von Memel wieder nach Königsberg zurückgekehrt war, bestärkte ihn in seinen hochherzigen Entschlüssen, obgleich sie am meisten unter den Drangsalen des Krieges litt. Leider sollte ihr Vertrauen auf Alexander bitter getäuscht werden. Nach der unglücklichen Schlacht bei Friedland sah sie sich von Neuem gezwungen, die Flucht zu ergreifen. „Es ist,“ schrieb sie an ihren Vater, wieder ein ungeheures Ungemach über uns gekommen, und wir stehen auf dem Punkte, das Königreich zu verlassen. Bedenken Sie, wie mir dabei ist; doch bei Gott beschwöre ich Sie, verkennen Sie Ihre Tochter nicht! Glauben Sie ja nicht, daß Kleinmuth mein Haupt beugt! Zwei Hauptgründe habe ich, die mich über Alles erheben. Der erste ist der Gedanke: wir sind kein Spiel des bloßen Zufalls, sondern wir stehen in Gottes Hand, und die Vorsehung leitet uns – der zweite: wir gehen in Ehren unter. Der König hat es bewiesen. Der Welt hat er bewiesen, daß er nicht Schande, sondern Ehre will. Preußen wollte nicht freiwillig Sclavenketten tragen. Auch nicht einen Schritt hat der König anders handeln können, ohne seinem Charakter ungetreu und an seinem Volke zum Verräther zu werden. Wie dieses stärkt, kann nur der fühlen, den wahres Ehrgefühl durchströmt.“

Noch war der Kelch des bitteren Leids nicht bis zum Grunde geleert. Von der stockrussischen Partei gedrängt, welche sich nicht länger für die persönliche Freundschaft der Monarchen schlagen wollte, schloß Kaiser Alexander auf Kosten Preußens seinen Frieden mit Napoleon, so daß dem Könige nichts übrig blieb, als sich dem Sieger zu unterwerfen, der, in seiner Eitelkeit durch den edlen Stolz des unglücklichen, aber nicht gedemüthigten Fürsten beleidigt, diesen mit rücksichtsloser Brutalität behandelte und ihn die ganze Wucht seines Zornes fühlen ließ. Da die Umgebung Friedrich Wilhelm’s des Dritten und auch Alexander’s durch die Gegenwart der Königin die schwebenden Verhandlungen zu fördern und mildere Bedingungen zu erlangen hoffte, so wurde der Wunsch ausgesprochen, die hohe Frau möge den Verhandlungen in Tilsit beiwohnen. Louise entschloß sich, wenn auch mit Widerstreben, diesen Wunsch zu erfüllen.

Von dem Dorfe Piktupönen[WS 1] wo der König während der Verhandlungen in einem Bauernhause wohnte, fuhr die Königin mit einer Escorte von französischen Garden in Begleitung der Gräfinnen Voß und Tauenzien nach Tilsit, wo jene historische Zusammenkunft stattfand. Eine Stunde nach ihrer Ankunft erschien Napoleon mit seiner glänzenden Suite, um sie zu sehen. Er ritt einen kleinen arabischen Schimmel; Generale hielten ihm den Steigbügel, als er sich vom Pferde schwang. Er hatte die Reitpeitsche in der Hand und trug den bekannten kleinen Hut, mit dem er nach allen Seiten hin grüßte. Der König und die Prinzen kamen ihm bis zur Haustreppe entgegen. Ohne sich aufzuhalten, ging er sogleich hinauf zur Königin, welche er äußerst höflich anredete. Mit bewunderungswürdiger Feinheit empfing sie den Kaiser, indem sie bedauerte, daß er genöthigt worden sei, eine so unbequeme Treppe zu ihr hinaufzusteigen; dann erkundigte sie sich, wie seiner Gesundheit das nördliche Klima während des Winters bekommen, worauf sie erst den eigentlichen Beweggrund ihrer Reise berührte. In brüskem Tone unterbrach er sie mit der Frage: „Aber wie konnten Sie den Krieg mit mir anfangen?“

„Sire,“ erwiderte die Königin, „dem Ruhme Friedrich’s des Großen war es erlaubt, uns über unsere Kräfte zu täuschen, wenn anders wir uns getäuscht haben.“

Auch der König benahm sich mit Würde, und als Napoleon die im Verlaufe des Gespräches ihm zugemuthete Aufopferung der alten Provinzen als gewöhnliche Wechselfälle des Kriegsglückes bezeichnete, gab ihm dieser zu verstehen, daß Napoleon

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Pictügöhren; heute: Piktupėnai
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_054.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)