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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

sich leichter über einen solchen Fall hinwegsetzen könne, da er nicht wisse, was es heiße, angestammte Länder zu verlieren, in denen die theuersten Erinnerungen wurzelten und die man so wenig vergessen könnte, wie seine – Wiege.

„Was Wiege!“ spottete Napoleon. „Wenn das Kind ein Mann geworden, hat es keine Zeit mehr, an seine Wiege zu denken.“

„Doch, doch,“ entgegnete der König mit rücksichtsloser Aufrichtigkeit. „Seine Jugend kann man so wenig vergessen, wie verleugnen, und ein Mann von Herz wird sich dankbar der Wiege erinnern, in der er als Kind lag.“

Bei der gemeinschaftlichen Tafel, wozu Napoleon die Königin geladen, war oder schien er sehr guter Laune und sprach eifrig und fast ausschließlich mit ihr; auch nach Tisch setzte er die Unterhaltung noch lebhaft fort, deren Resultat sie befriedigte. Sein ganzes freundliches Benehmen rechtfertigte den Glauben, daß der stolze Sieger, gerührt durch das Schicksal des unglücklichen Monarchen und durch die Schönheit und Liebenswürdigkeit der hohen Frau, geneigt sein werde, Großmuth zu üben und seine harten Forderungen zu ermäßigen. Um so größer war daher die Enttäuschung, als Graf Golz von einer Audienz bei Napoleon zurückkam, worin der Kaiser mit dürren Worten erklärt hatte, daß Alles, was er der Königin gesagt, nur höfliche Phrasen gewesen wären, die ihn zu nichts verpflichteten. Trotzdem versuchte sie noch einmal, sein Herz zu rühren, um von ihm billigere Bedingungen zu erlangen. Im Fortgehen sagte sie ihm: sie würde abreisen und empfinde es tief, daß er sie getäuscht habe. Wie man erzählt, soll Napoleon ihr zum Abschiede eine Rose von seltener Schönheit überreicht haben. Sie schien jedoch geneigt, diese Gabe abzulehnen, besann sich aber und nahm die Rose mit den Worten: „Zum Mindesten mit Magdeburg,“ worauf er kurz erwiderte: „Belieben Eure Majestät zu bedenken, daß ich es bin, der darbietet, und daß Eure Majestät nur anzunehmen haben.“

Unter solch traurigen Verhältnissen wurde der Friede unterzeichnet, welcher dem Könige fast die Hälfte seiner Länder kostete und dem Staate unerschwingliche Lasten auferlegte. „Der Friede,“ schrieb die Königin „ist geschlossen, aber um einen schmerzlichen Preis; unsere Grenzen werden künftig nur bis zur Elbe gehen – dennoch ist der König größer als sein Widersacher. Nach Eylau hätte er einen vortheilhaften Frieden machen können, aber er hätte freiwillig mit dem bösen Princip unterhandeln und sich mit ihm verbinden müssen – jetzt hat er unterhandelt, gezwungen durch die Noth, und wird sich nicht mit ihm verbinden. Das wird Preußen einst Segen bringen. Auch hätte er nach Eylau einen treuen Alliirten verlassen müssen; das wollte er nicht. Noch einmal: die Handlungsweise des Königs wird ihm Glück bringen; das ist mein fester Glaube.“

In dieser Zeit der größten Noth erkannte Friedrich Wilhelm der Dritte die begangenen Fehler und zugleich die Nothwendigkeit, dem dahinsiechenden Staatsleben einen neuen Geist einzuhauchen und die in seinem Volke schlummernden oder durch eine schlechte Verwaltung gefesselten und unterdrückten Kräfte zu wecken. Damals erinnerte er sich des einzigen großen Staatsmannes, dessen Warnungen und Rathschläge er in seiner Verblendung zurückgewiesen, den er aus seinen Diensten, verführt von seiner beschränkten oder böswilligen Umgebung, ungnädig entlassen hatte. Hauptsächlich durch die Vorstellungen der Königin ward der König bewogen, den von ihm verabschiedeten Freiherrn von Stein zurückzurufen und wieder an die Spitze der Regierung zu stellen. Dieser rechtfertigte durch eine Reihe durchgreifender Reformen und segensreicher Maßregeln das in ihn gesetzte Vertrauen. Bald stieß er jedoch auf Hindernisse und Intriguen von Seiten seiner alten Gegner, der feudalen Junker, der Schwächlinge und der französisch gesinnten Friedenspartei am Hofe, so daß er mehr als einmal im Begriffe stand, sein mühevolles Amt niederzulegen.

Nur die Königin, welche den vollen Werth eines solchen Mannes mit dem ihr eigenen Scharfblicke erfaßte und zu schätzen wußte, hielt ihn zurück und vermittelte mit echt weiblicher Milde und Klugheit zwischen dem unentschlossenen, vor jedem entscheidenden Schritte zurückschreckenden, peinlich ängstlichen Könige und dem schroffen, stolzen, energischen Freiherrn. Sie bat und beschwor den Minister, auszuharren, indem sie ihm unter Anderem den folgenden Brief schrieb:

„Ich beschwöre Sie, haben Sie nur Geduld in den ersten Monaten! Der König hält gewiß sein Wort; Beyme kommt weg, aber erst in Berlin. So lange geben Sie nach, daß um Gottes willen das Gute nicht um drei Monate Geduld und Zeit über den Haufen falle. Ich beschwöre Sie um König, Vaterland, meiner Kinder, meiner selbst willen. Darum – Geduld!

Louise.“

Sie selbst nahm in dieser Zeit, wo sie in Königsberg lebte, den innigsten Antheil an der Wiedergeburt des Staates und an der Erweckung des Volkes. Besonders beschäftigte sie sich mit der Erziehung und dem Unterrichte der Jugend, die sie mit Recht für die Hauptquellen und Stützen eines gesunden Lebens hielt. Lebhaft interessirte sie sich für die damals aufblühende Lehrmethode des berühmten Pädagogen Pestalozzi in der Schweiz, über den sie sich nicht nur Bericht erstatten ließ, sondern dessen Schriften sie mit großem Eifer durchforschte. „Ich lese jetzt,“ schrieb sie, „‚Lienhard und Gertrud, ein Buch für’s Volk von Pestalozzi‘. Es ist mir wohl mitten in diesem Schweizerdorfe. Wäre ich mein eigener Herr, so setzte ich mich in meinen Wagen und rollte zu Pestalozzi in die Schweiz, um dem edeln Manne mit Thränen in den Augen und mit einem Händedrucke zu danken. Wie gut meint er es mit der Menschheit! Im Namen der Menschheit danke ich ihm. – Eine Stelle in dem Buche gefiel mir besonders, weil sie so wahr ist: ‚Leiden und Elend sind Gottes Segen, wenn sie überstanden sind.‘ – Ja, inmitten meines Elends sage ich schon: Es ist Gottes Segen. Wie viel näher bin ich bei Gott! Wie deutlich sind meine Gefühle zu Begriffen geworden über die Unsterblichkeit der Seele! Nicht ohne Thränen schmilzt das schöne Siegel – nicht wahr?“

Schon in Memel trieb sie geschichtliche Studien mit Benutzung der historischen Vorlesungen des später zum Staatsrath ernannten Professor Süvern, welche sie sich durch den ihr ergebenen originellen Kriegsrath Scheffner zu verschaffen wußte. Mit diesem hatte sie öfters auch lange Unterredungen über die Erziehung des talentvollen, hoch begabten Kronprinzen. Aus den Lehren der Geschichte und dem Verkehr mit bedeutenden Männern, zu denen auch der bekannte Bischof Borewski zählte, schöpfte sie Trost für die traurige Gegenwart und Hoffnung für die dunkle Zukunft, indem sie zwar für ihre Person auf das Glück verzichtete, aber von dem Sieg des Guten und von dem Walten einer weisen und gerechten Vorsehung durchdrungen war. Diese Gesinnung sprach sie in einem ihrer[WS 1] herrlichsten Briefe an ihren Vater aus, welcher ihr Glaubensbekenntniß enthält und das schönste Zeugniß für Herz und Geist der hohen Frau ablegt:

„Bester Vater! Mit uns ist es aus, wenn auch nicht für immer, doch für jetzt. Für mein Leben hoffe ich nichts mehr. Ich habe mich ergeben, und in dieser Ergebung, in dieser Fügung des Himmels bin ich jetzt ruhig und in solcher Ruhe, wenn auch nicht irdisch glücklich, doch, was mehr sagen will, geistig glückselig. – Es wird mir immer klarer, daß Alles so kommen mußte, wie es gekommen ist. Die göttliche Vorsehung leitet unverkennbar neue Weltzustände ein, und es soll eine andere Ordnung der Dinge werden, da die alte sich überlebt hat und in sich selbst als abgestorben zusammenstürzt. Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrich’s des Großen, welcher, der Herr seines Jahrhunderts, eine neue Zeit schuf. Wir sind mit derselben nicht fortgeschritten; deshalb überflügelte sie uns. – Das sieht Niemand klarer ein, als der König. Noch eben hatte ich mit ihm darüber eine lange Unterredung, und er sagte in sich gekehrt wiederholentlich: das muß auch bei uns anders werden. –

Gewiß wird es besser werden: das verbürgt der Glaube an das vollkommenste Wesen. Aber es kann nur gut werden in der Welt durch die Guten. Deshalb glaube ich auch nicht, daß der Kaiser Napoleon Bonaparte fest und sicher auf seinem, jetzt freilich glänzenden Thron ist. Fest und ruhig ist nur allein Wahrheit und Gerechtigkeit, und er ist nur politisch, das heißt klug, und er richtet sich nicht nach ewigen Gesetzen, sondern nach Umständen, wie sie eben sind. Dabei befleckt er seine Regierung mit vielen Ungerechtigkeiten. Er meint es nicht redlich mit der guten Sache und den Menschen. Er und sein ungemessener Ehrgeiz kennt nur sich selbst und sein persönliches Interesse. Man muß ihn mehr bewundern, als man ihn lieben kann. Er ist von seinem Glück geblendet, und er meint Alles zu vermögen. Dabei ist er ohne Mäßigung, und wer nicht

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ihren
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_055.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)