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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

den nöthigsten Utensilien stiegen wir in eines der nach chinesischem Geschmacke bunt bemalten Fahrzeuge, das uns an Land bringen sollte. Das Innere der Dschonke nahm sogleich unser Interesse in Anspruch, und zwar schien es ein charakteristisches Bild chinesischen Volkslebens zu repräsentiren. Während der vordere Raum des Fahrzeuges, mit bequemen Bänken versehen, zur Aufnahme der Passagiere bestimmt schien, bot die andere Hälfte den Anblick einer originellen chinesischen Behausung dar. Nothdürftig geschützt gegen die Einflüsse der tropischen Witterung durch ein aus Bambusrohr und Schilf geflochtenes Dach, befanden sich in dem engen Raume die jüngeren Glieder der Familie, ein bereits bezopfter Knabe und ein Mädchen im Alter von drei bis sieben Jahren, die, mit Muscheln und bunten Steinen spielend, hin und wider von dem über flackerndem Feuer kochenden Reis oder von den in großer Quantität vorhandenen Seefischen naschten, unbekümmert um das anhaltende Geschrei eines Säuglings, der, dürftig in ein Tuch gehüllt, hülflos in einer Ecke lag. Einige Kochgeschirre der primitivsten Art und mehrere Tabakspfeifchen bildeten das gesammte Inventar dieser seltsamen Behausung, deren Vorsteherin und Familienmutter, unbesorgt um die kleine Familie, am Ruder saß und gemächlich unser Fahrzeug dem nahen Hafen entgegen führte.

Endlich ertönte ein lautes „Stop“. Die einförmigen Ruderschläge verstummten; wir hatten das Land erreicht. Nachdem wir die dem Hafen zunächst gelegenen Stadttheile, die hauptsächlich größere europäische Handlungshäuser enthalten und leider noch manches Schreckensbild von den Verheerungen des letzten Typhoon aufzuweisen hatten, durchwandert, gelangten wir zu den Wohnungen der Eingeborenen. Der plötzliche Eintritt aus dem fast ausschließlich europäischen Stadttheile in das bunte Gewühl eines mit eisernem Conservatismus die eigenen Sitten und Gebräuche hegenden chinesischen Platzes mochte den gewaltigen Effect, den der erste Anblick einer Stadt dieses eigenthümlichsten aller Länder des weiten Orients auf den Fremdling nie verfehlt, noch bedeutend erhöhen. Unschlüssig zuerst, welchem der unzähligen wunderbaren Dinge wohl die größte Aufmerksamkeit zu schenken sei, waren es bald die bunt bemalten Häuschen in ihrer originellen Einrichtung, bald deren Bewohner selbst, die unser Interesse in Anspruch nahmen.

Die schmalen einstöckigen Wohnhäuser, welche dichtgedrängt die engen Straßen begrenzen, gewähren durch die meist fehlenden Thüren und Wände nach der Straßenfront dem Vorübergehenden einen freien Blick in das Innere der Behausung, eine Einrichtung, die wohl auf das tropische Klima zurückzuführen ist. Vollständig gleich gekleidet, alle bis auf den Schopf, wo der Zopf entspringt, das Haupt kahl geschoren, alle den gleichlangen schwarzen Zopf tragend, jeder eine kurze Tabakspfeife im Mund, gewähren die unzähligen Individuen kaum ein unterscheidendes Merkmal. Auch überall zeigt uns der Blick in das Innere der Behausung ein Bild emsiger Gewerbsthätigkeit; überall liest man Zufriedenheit auf den sonst kein bestimmtes Gepräge tragenden Gesichtern, aber auch überall macht man die Bemerkung, daß große Reinlichkeit nicht zu den Eigenschaften der Bürger des „himmlischen Reiches“ zählt. – So klein und eng aber auch die Wohnungen und Straßen in einer chinesischen Stadt sind, so überfüllt sind sie beide, und bald genug erfährt der Fremde, mit wie viel Schwierigkeiten er beim Durchwandern der letzteren zu kämpfen hat. Ist es schon ohnehin schwierig, sich durch die dichtgedrängte Menge, die in den engen Räumen wogt, hindurchzuarbeiten, so gehört noch eine besondere Umsicht dazu, nicht mit den fortwährend passirenden lasttragenden Kulis zu caramboliren, die, ihre Lasten an beiden Enden einer über die Schulter gelegten langen Bambusstange aufgehängt, mit dem ununterbrochenem Rufe: „ho ho!“ um Platz anrufen.

Eine nicht geringe Zahl der Passanten besteht ferner aus solchen Gewerbetreibenden, die ihre Thätigkeit an den öffentlichen Plätzen und Straßen entfalten und dadurch nicht wenig zur Hemmung des Verkehrs beitragen. Es sind dies die wandernden Friseure. Aehnlich den Kulis, tragen sie an einem Bambusrohr ein Kohlenbecken mit warmem Wasser und einen Geräthschaftskasten, womit sie durch die belebtesten Plätze ziehen indem sie sich durch das unangenehme Geräusch der „Gongs“ (das lebhaft an den Lärm vor den Schaubuden auf unseren heimathlichen Messen und Jahrmärkten erinnert) dem Publicum bemerklich machen. Der Chinese muß wohl großen Werth auf ein glattrasirtes Haupt legen, denn nur selten brauchen diese Friseure lange auf Kundschaft zu warten. Der Kunde setzt sich dann einfach auf den Geräthschaftskasten, und nun kann man die Thätigkeit des Haarkünstlers unter freiem Himmel und gerade an den belebtesten Plätzen bewundern. Nach Beendigung derselben packt er seine Geräthschaften zusammen und zieht mit dem betäubenden „Gongs“geräusch weiter.

Einen weniger primitiven Anblick gewähren die nett eingerichteten Verkaufslocale, die fast den ganzen Raum der Häuschen zu beiden Seiten der engen Straßen einnehmen. Ueber den Eingängen der Läden finden sich Bretter angebracht, auf denen in meist vergoldeten Schriftzeichen der Name des Ladenbesitzers nebst seinem Wahlspruche verzeichnet ist. Auch hier übersehen wir von der Straße aus das ganze Innere des Ladens, der, häufig der einzige größere Raum des Wohnhauses, zugleich als Wohnung der Familie dient. Sehen wir uns die ausgelegten Waaren an, so haben wir Gelegenheit, hier die kunstvollsten Elfenbeinschnitzereien, dort Geräthschaften aus reinstem Porcellan mit prächtigen Malereien, dann wieder die schwersten Seidenstoffe zu bewundern, kurz, wir finden hier Alles, was uns in Europa als chinesische Industrieproducte angepriesen wird.

Tritt man in eines dieser besseren Verkaufslocale ein, so wird man von allen Bewohnern desselben auf’s Freundlichste begrüßt, und während uns von verschiedenen Seiten ein zutrauliches „Tschin-tschin“ zugerufen wird, kommt ein intelligenter Chinese, der in verständlichem Englisch nach unseren Wünschen fragt. Er legt uns dann eine große Auswahl seiner besten Waaren vor und preist sie unermüdlich an, aber auch die übrigen Hausbewohner suchen uns durch Gesten von der Vorzüglichkeit der Waaren zu überzeugen. Ein Diener des Hauses bringt ein Theegefäß nebst einigen Täßchen vom reinsten chinesischen Porcellan, und gleich ist die kindliche Zutraulichkeit der Bewohner verschwunden, wenn man das angebotene Schälchen Thee ablehnt. Originell ist eine von uns wiederholt beobachtete Gewohnheit der Chinesen. Während wir mit der Besichtigung der Waaren beschäftigt sind, machen sich die Bewohner des Ladens daran, die Qualität unserer Kleiderstoffe zu prüfen und geben uns, wenn wir sie darum verwundert anschauen, naiv das Resultat ihrer Untersuchung zu verstehen. Soll man dies als kindliche Neugierde oder allzu eifrigen Gewerbesinn bezeichnen?

Ist der Laden zugleich der bessere oder einzige Wohnungsraum des Besitzers, so haben wir bei unserem Besuche Gelegenheit den Stolz seines Hauses kennen zu lernen. In einem besonders gepflegten Theile des Gemaches befindet sich ein Porcellanpostament, worauf, von einer immer brennend erhaltenen Lampe matt erleuchtet, der Hausgötze thront, eine aus Speckstein, Porcellan oder künstlichem Material gefertigte wunderliche Figur, zu welcher der Bewohner nur mit heiliger Scheu aufschaut. Mitten unter all’ den chinesischen Kunstartikeln passirt es wohl hier und da dem Fremden, daß er ahnungslos auch nach dem Preise dieser wunderlichen Figur fragt; wir überlassen es unseren Lesern, sich die Entrüstung des dadurch in seinen heiligsten Gefühlen gekränkten Chinesen vorzustellen.

So geräuschvoll und betäubend für den Fremdling das Leben und Treiben auf den Straßen und öffentlichen Plätzen einer chinesischen Stadt bei Tage ist, so still und ausgestorben finden wir diese Orte nach Sonnenuntergang. Streng verlangen die chinesischen Gesetze, daß der Bürger seine Wohnung bei Nacht nicht verläßt, es sei denn, daß es die Nothwendigkeit gebietet. Ist er zu einem nächtlichen Ausgange genöthigt, so trägt er vor sich her eine Laterne, auf deren papiernen Wänden sein Name in großen Schriftzeichen zu lesen ist. – –

Nur eine Nacht war uns vergönnt auf festem Grund und Boden zu verbringen. Der nächste Abend fand uns schon wieder an Bord des Dampfers. Mit Tagesanbruch wurden die Anker gelichtet, und bald war die reizende Landschaft, die im Glanze der aufgehenden Sonne einen malerischen Anblick bot, am Horizont verschwunden.

So selten man in anderen Gewässern ein chinesisches Fahrzeug findet, so überfüllt sind die nächst der Küste gelegenen Theile der ostchinesischen See von Handelsdschonken aller Gattungen, hier und da mit einem Geschwader chinesischer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_068.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)