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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

mit den Menschen hier ein so seltsames, verdecktes Spiel trieben, weshalb Sie nicht gleich als der auftraten, der Sie sind.“

Dabei schritt sie doch auf ihrem Rückwege vorwärts, und während er an ihrer Seite blieb, schritt ihre Begleiterin, die sich bei dieser Unterredung für überflüssig halten mochte, ihnen weit vorauf.

Er antwortete: „Wie hätt’ ich das sollen? Ich habe meinen Namen nicht verheimlicht. Habe ich Sie darüber getäuscht? Nein. Aber wer mir nicht glaubte, mit dem konnte ich mich in keine Debatte einlassen. Ich hatte nichts, ihn zu überzeugen. Einen Paß, den ich mir in der Hafenstadt, wo ich landete, auf fremden Namen verschaffen konnte, den allerdings. Sonst aber nicht das Mindeste. Durfte ich vor irgend eine Behörde treten und mein Anrecht auf das Mansdorf’sche Gut geltend machen wollen? Nein, ich mußte warten, bis es einem Anwalte in Stockheim, an den ich mich gewendet habe, gelungen war, aus meiner Heimath alle die Papiere neu zu beschaffen, deren ich bedurfte, um gegen den Mann auftreten zu können, der sich meines Erbes bemächtigt hatte. So hielt ich mich verborgen – um so mehr, als ich fürchten mußte, daß, wenn bei einer Behörde, einem Gerichte hier der Name Uffeln zu früh laut werde, mein spanisches Erlebniß mich in ominöse Beziehungen zu der Polizei verwickeln könne. Ich weiß ja nicht, ob mein damaliges Entkommen als eine indifferente Thatsache hingenommen und vergessen ist, oder Veranlassung geboten hat zu weiteren Verfolgungen und Meldungen der unter sich in Verbindung stehenden und halb Europa mit ihren Fäden überspinnenden kaiserlichen Polizei.“

„Es scheint,“ unterbrach ihn die Prinzessin, „das letztere nach einer Aeußerung des Präfecten in der That der Fall zu sein.“

„Sehen Sie, so hatte ich allen Grund, mich nicht vorzudrängen. Als ich in England beschloß, hierher zu reisen, um die Lehnsherrlichkeit, die mich hier erwartete, in Anspruch zu nehmen, hoffte ich eine weit raschere Entwickelung der Dinge auf dem Kriegsschauplatze; ich habe gesehen, wie mürbe und gebrochen die französische Macht in Spanien ist, und deshalb erwartete ich nicht, daß sie hier in Deutschland einen so zähen und langathmigen Widerstand gegen die sie bedrängende furchtbare Uebermacht leisten würde. So hoffte ich hier nicht viel früher einzutreffen als die Vortruppen der Alliirten. Das aber hat mich getäuscht, und deshalb nahm ich meine Zuflucht zu der stillen Kötterbehausung, die mich barg, vernahm dann mit großer Ueberraschung, daß sich bereits ein Mitbewerber um mein Erbe eingefunden habe, ließ mich aber dadurch nicht anfechten, sondern wartete zunächst des Anwalts Benachrichtigung ab, daß er neue Papiere zu meiner Legitimation beschafft. Nun wissen Sie Alles.“

„Alles bis auf das, was Sie bewog, so plötzlich vorgestern eine Katastrophe herbeizuführen.“

„Das fragen Sie? Und doch waren nur Sie es, die mich dazu bewog. Hatten Sie mir nicht das Liebesleid des Fräuleins von Mansdorf und ihres jungen Aesculap geschildert? Konnte ich unempfindlich dagegen bleiben? Ich wäre ein Barbar gewesen. Und so leicht war es, hier Hülfe und Rettung zu bringen. Ich brauchte nur mit offenem Visire unter diese Familie von Mansdorf zu treten und dem falschen Demetrius dort die Stirn zu bieten. Ich konnte nichts beweisen, aber ich konnte sprechen. Und das, was ich zu sagen hatte, das mußte wenigstens das junge Mädchen retten; man mußte wenigstens erschrecken und alles Weitere aufschieben bis zu dem Tage, an welchem ich versprach, meine Beweise vorbringen zu können. Daher das, was Sie eine Katastrophe nennen; sie nahm für mich eine unerwartet gute Wendung. Man glaubte mir und erkannte die Wahrheit dessen, was ich sagte, um so eher, weil sie keinen Widerspruch fand; mein Doppelgänger nämlich löste sich wie ein richtiger Doppelgänger in Luft auf – er war verschwunden, ehe man sich’s versah.“

„Ja,“ fiel hier die Prinzessin ein, „und über die Motive bei diesem Verschwinden kann ich Ihnen Aufklärung geben.“ Und sie erzählte jetzt, was Alles Falstner ihr gestern eingestanden hatte.

„Wer hätte einen so starken Drang, ein begangenes Unrecht wieder gut zu machen, in einem so schwachen Menschen erwartet!“ sagte Uffeln. „Ich bedauere ihn jetzt von Herzen. Und weil er durch seine Angaben vor der Behörde mich nur so lange schützen will, bis ich Zeit, das Weite zu suchen, gewonnen, soll ich jetzt die Flucht ergreifen?“

„Sie müssen das augenblicklich.“

„Nehmen wir einen Augenblick hier Platz!“ versetzte er, sich den Bänken unter der Margarethenlinde, neben der sie angekommen, zuwendend. Prinzeß Elisabeth folgte ihm, und Beide setzten sich auf eine dieser Bänke.

„Ich kann nicht von hier gehen, ohne Ihnen den Grund meines Herzens auszuschütten,“ fuhr Uffeln hier mit einem offenen Blick in ihre Züge und einem merkwürdig festen Tone fort. „Ich bin ein einfacher Edelmann, aber ich habe Vermögen genug, um Herrn von Mansdorf, dessen Familie sich ja von hier fortsehnt, auszukaufen und der alleinige Besitzer von Wilstorp zu sein. Die kleine Burg ist ein Juwel von Romantik. Genügt sie Ihnen, um als Hausfrau darin zu schalten, kann sie Ihnen Ihr stolzes Fürstenschloß ersetzen, wenn Sie darin an der Seite eines Mannes leben, der Sie liebt, wahrhaft und aus voller Seele liebt – dann nehmen Sie meine Werbung um Ihre Hand an, Fürstin!“

Prinzeß Elisabeth wechselte die Farbe. So klar ihr auch ihre eigene Neigung für diesen Mann geworden, so empörte sich doch ihr jungfräulicher Stolz gegen diese Sprache. Durfte man so um sie werben? Durfte man voraussetzen, daß sie so von einem fremden Manne durch ein paar Worte einer kühnen Erklärung gewonnen werden könne? Erst[WS 1] erbleichend antwortete sie mit hochgeröthetem Gesichte:

„Ihre Werbung um meine Hand ist sehr kühn, Herr von Uffeln. Ich möchte wissen, was Ihnen zu einer solchen – leichtfertigen Werbung den Muth giebt?“

„Eine Werbung um Ihre Hand ist immer kühn, Prinzessin,“ antwortete er ruhig, „denn ich glaube nicht, daß ein Bewerber mit dem Bewußtsein, Ihrer würdig zu sein, sich für Sie finden kann. Den Muth giebt mir die Ueberzeugung, daß niemals ein Anderer Sie so lieben kann, wie ich es thue. Wären Sie ein junges Mädchen wie ein anderes, so hätte ich mit einer leidenschaftlichen und feurigen Schilderung dieser Liebe begonnen und Sie dadurch zu rühren, zu erobern, im Sturme zu nehmen gesucht. Sie stehen mir zu hoch zu solch einem Werben à la Papua-Indianer, die ihre Frauen als Jagdbeute gewinnen und betrachten. Vor Sie trete ich als vor die Göttin meines Lebensschicksals und will bescheiden mein Loos aus Ihrer Hand empfangen. Ich bin auch voll Zuversicht, daß dieses Loos ein gnädiges sein wird. Denn sehen Sie, Fürstin Elisabeth, Sie fühlen selbst, daß für Sie kein anderer Mann taugt, als einer, der ein träumerischer Mensch ist und dessen Vorsehung Ihr kluger wacher Geist sein wird, bei dem Sie in jedem Augenblicke die Ueberzeugung haben, daß Sie ihm nöthig sind, daß er Ihrer bedarf, ohne Sie zu Grunde ginge. Und das wäre bei mir der Fall. Ich versiechte ohne Sie in diesen Wäldern hier, wie eine Pflanze ohne Licht und Sonne. Daß Sie mir wohlwollen, weiß ich; darum reichen Sie mir groß und hochherzig die Hand!“

„Mein Gott, ich kenne Sie ja gar nicht,“ versetzte Prinzeß Elisabeth, die trotz allem, was er sagte, ihren Zorn nur zunehmen und doch ein Gefühl von Angst und Hülflosigkeit sich hineinmischen fühlte.

„Das ist wahr. Seit ich Sie kenne, kenne ich mich selbst nicht mehr. Wie sollten Sie es?“

„Und deshalb,“ fuhr sie mit Thränen in den Augen fort, „ist es doch eine unerhörte Vermessenheit, der beleidigendste Hochmuth von Ihnen, mir zuzumuthen, ich solle mein Schicksal ohne weiteres Besinnen an den ersten Mann weggeben, der die Kühnheit hat, es zu verlangen.“

„Wir Menschen ringen alle um unser Glück. Ich sehe das meine vor mir und – vermessener Hochmuth oder nicht – ich suche es zu erfassen.“

Elisabeth schwieg. Sie war in diesem Augenblicke noch viel zu empört, um ihm ein gütiges Wort sagen zu können. Sie hätte es trotz des heften Kampfes, den sie in sich fühlte, nicht über die Lippen gebracht, und doch – auch ein für immer abweisendes konnte sie nicht sprechen, und so blieb sie stumm und antwortete nur durch die Thränen, die in ihre Wimpern traten.

„Ich habe Ihnen Schmerz gebracht,“ sagte er leise. „Das wollte ich nicht. Soll ich gehen – gehen für ewig?“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Fast, Berichtigung nach Heft 7, S. 123
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_074.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)