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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Sie blieb noch immer stumm. Dann sprang sie auf. „Ich will gehen,“ sagte sie stolz.

Und rasch schritt sie davon, während er, mit dem Ausdrucke der Bestürzung in jeder Miene ihr nachstarrend, auf seiner Bank zurückblieb.

Als sie von der die Linde umgebenden Lichtung auf den Fußpfad trat, der weiter durch den Wald führte, hielt sie erschrocken inne; sie sah mit seiner ganzen derben Gestalt, die Arme untergeschlagen, den Meyer Jochmaring zwischen den ersten Bäumen dastehen. Er heftete seine Blicke mit düsteren Zornrunzeln auf sie.

Der Meyer mußte auf dem Wege nach Idar sein und schien bereits eine Weile beobachtend, so dagestanden zu haben.

Prinzessin Elisabeth blieb vor ihm stehen, trotz der inneren Erregung und Erschütterung doch betroffen durch die Erscheinung des alten Mannes, der, ohne sich zu regen, so starr und zornig auf sie niederblickte.

„Ihr, Meyer Jochmaring?“ sagte sie, als er nicht die geringste Miene machte, ihr den Pfad frei zu lassen. „Habt Ihr mit mir zu reden?“

„Ja, Prinzessin,“ versetzte er, „ich denke, zu reden hätt’ ich mit Euch. Denn es ist nicht lange her, daß Ihr selber mir gesagt habt, daß Euer fürstliches Haus – von den Tagen Wittekind’s her, mein’ ich, sagtet Ihr – zusammengehalten hätte mit dem Meyer, der auf dem Jochmaring-Hofe sitzt, und daß Einer zum Andern gestanden hätte in guten und in bösen Tagen. Und darum, denk’ ich, wäre heute der Meyer kein aufrichtiger und getreulicher Mann, wenn er nicht zum Fürsten ging und ihn wahrschaute, wenn er ihm nicht sagte: ‚Herr Fürst, unter der Margarethen-Linde im einsamen Walde, in der Morgenstunde, da hat hinter Eurem Rücken Eure Tochter eine Zusammenkunft mit dem fremden Manne, und sie sprechen heimlich da von Liebessachen. Kein Mensch hätt’s geglaubt von Eurer Tochter, der Prinzeß Elisabeth, daß sie sich so wegwürfe und einem fremden Manne ein Stelldichein im Walde gäbe.‘“

Prinzessin Elisabeth war bei dieser überraschenden Anrede des Meyer’s in einen ganz merkwürdigen Anfall von Fassungslosigkeit gerathen. Sie starrte ihn bei seinen ersten Worten wie versteinert an; dann hatte sie, dunkelroth werdend vor Zorn, mit ihrem Fuße den Boden gestampft, und jetzt, mit zitternden Händen an ihrem Taschentuche zupfend, als ob sie es in lauter kleine Stücke zerreißen wolle, rief sie:

„O mein Gott, was denkt Ihr, Meyer – was denkt Ihr? Ihr habt kein Recht, so zu mir zu reden – Ihr habt kein Recht, denn das mögt Ihr wissen, daß –“ sie stockte einen kurzen Augenblick und fuhr dann, wie mit einer heroischen Anstrengung der Selbstbeherrschung gefaßt und stolz sich aufrichtend, fort: „Elisabeth von Idar giebt keinem Manne ein Stelldichein, wenn dieser Mann nicht ihr Mann ist, wenn sie ihm nicht gehört für immer. Wißt Ihr, Meyer Jochmaring, dieser fremde Mann hat ehrlich um mich geworben, und ich bin seine Braut. Nun geht und sagt es, wem Ihr wollt!“

„Ah,“ sagte der Meyer, „wenn es so steht, so nehmt’s nicht für ungut. Ich sagte Euch, was ich glaubte Euch sagen zu müssen, damit Ihr später nicht reden könntet, Meyer Jochmaring habe hinter Euerm Rücken den heimlichen Angeber gemacht. Aber wenn es so steht, so wünsche ich Euch Glück von ganzem Herzen, und weiter lästig will ich Euch auch nicht sein; denn bei Dem, was Ihr alsdann hier auszumachen habt, ist ein Dritter nicht vonnöthen. Ich wünsche Euch Glück, Prinzessin – und dem Herrn da ebenfalls.“

Und damit faßte der Meyer an seinen Hut, nickte ernsthaft mit dem Kopfe und ging schweren Schrittes weiter in den Wald hinein.

Uffeln war währenddessen rasch herangekommen und stand neben Elisabeth. Als sie das Wort „Ich bin seine Braut“ laut und entschlossen ausgesprochen, hatte er, elektrisch auffahrend, ihre Hand ergriffen und festgehalten – jetzt ließ er sie wieder sinken und sagte mit einem ängstlichen Blicke in ihre Züge:

„Meine Braut – um Ihres Stolzes willen, damit Niemand der Fürstin nachsage …“

Elisabeth wandte sich heftig, leidenschaftlich, tief aufathmend zu ihm.

„Ja, ja, deshalb!“ rief sie aus, „und auch weil dieser Mann mir wies, was das Rechte, das allein Würdige für ein Weib sei, das liebt. Sie haben nun einmal mein Herz, meine Seele – nehmen Sie denn auch mich!“

Sie umschlang mit beiden Armen seinen Nacken, um ihre furchtbare Erschütterung an seiner Brust auszuweinen.




„Nehmen Sie denn auch mich!“ hatte sie im Sturme ihres Gefühls ausgerufen. Sie hatte dabei vergessen, daß eine Prinzessin doch nicht so ohne Weiteres ihre Hand verschenken kann. Der Fürst von Idar hatte für seine Lieblingstochter ein glänzenderes Lebensloos in Aussicht genommen, und seinen anfänglichen Widerstand gegen eine Verbindung dieser Tochter mit einem einfachen Edelmanne zu besiegen, war nichts Leichtes. Elisabeth war zu stolz, ihrem Vater die Einwilligung abzuschmeicheln. Während Uffeln seiner Sicherheit willen sich entfernt hatte und in einer andern Gegend in Verborgenheit lebte, suchte sie durch ruhige Erörterungen auf ihren Vater zu wirken. Anfangs ohne Erfolg – bis endlich mit den vordringenden Alliirten Uffeln zurückkam und der Fürst sich erweichen ließ, gewonnen von der Persönlichkeit Uffeln’s und dem den Ausschlag gebenden Gedanken, daß er Elisabeth so ganz in seiner Nähe behalten werde. Und so kam es, daß im folgenden Lenze, nachdem die Familie von Mansdorf ihren Wunsch, der sie gen Süden trieb, hatte erfüllt sehen können – Herr von Uffeln hatte die Mansdorf’sche Gutshälfte von dem Letztern unter günstigen Bedingungen übernommen –, in das neu eingerichtete Haus Wilstorp zwei glückliche junge Gatten ihren Einzug hielten.

Auf Adelheid Mansdorf’s Gesundheit hatte der Aufenthalt am Genfer See und das Gefühl des Glücks bald den heilsamsten Einfluß geübt. Im nächsten Sommer brach der Doctor Günther, der ein weiteres und lohnenderes Feld für seine Thätigkeit ersehnte, als eine kleine Landstadt es ihm gewähren konnte, von Idar auf, um in der Stadt am Rhein, wo Mansdorf sich bleibend zu fixiren gedachte, Adelheid heimzuführen und dort für immer zu bleiben. –

Was Herrn Fäustelmann angeht, so schied er nicht ohne einen chicanösen Proceß wegen allerlei Entschädigungsforderungen und Ansprüchen an die Herrschaft auf Wilstorp anzufangen. In diesem Proceß bekam er Dank der energischen Abwehr des Justitiars Plümer gründlich Unrecht; worin er aber Recht bekam, das war in seiner Prophezeiung, daß preußische Bataillone durch Idar rücken würden. Das war Gottlob wirklich und wahrhaftig schon nach weniger Wochen Verlauf, bald schon nach der Schlacht vom 18. October 1813, geschehen. Herrn Fäustelmann selber konnte das nun freilich nicht viel verschlagen – er hatte sich in seiner Angst vor den Verfolgungen des patriotischen Apothekers Widmer längst in eine andere Gegend verzogen.

Von dem armen Falstner ist nie wieder gehört worden. Man hatte ihn von der Festung entlassen, weil sich im Lauf der Untersuchung allerdings durchaus keine Beweise gegen ihn herausgestellt hatten. Wohin er sich dann jedoch gewendet, und wie seine Lebensschicksale sich gestaltet – darüber hat sich bis heute auch nicht die leiseste Tradition oder nur Vermuthung erhalten. –




Blätter und Blüthen.


Von Weimars Friedhof. (Mit Abbildung, S. 73.) Es war der Tag der Todtenfeier. Arm und Reich, Groß und Klein zog hinaus, die Gräber der todten Lieben zu schmücken. Keiner von all den Festtagen des Jahres hat für mich eine so tief ergreifende, so rein menschlich-schöne Bedeutung wie diese Feier. So wanderte auch ich hinaus auf Weimars „classischste“ Stätte, auf den Friedhof. Manche jener Gräber, in denen die großen Männer, die schönen geistreichen Frauen der Glanzzeit Weimars ruhen, waren von liebender Hand bekränzt, andere von Gestrüpp überwuchert. Ueberall war die Liebe thätig, den Dahingeschiedenen, den in heißem Schmerze Verlorenen, die der Tod hier außen so still und tief gebettet hat, in Kränzen und Guirlanden einen wehmüthigen Gruß der Treue und des Andenkens zu bringen, und manche heiße Thräne fiel auf die Blumen herab. Der Tod ist fleißig; er ist es auch in unserer kleinen Stadt an der Ilm: mit Goethe können wir sagen:

Unter schon verlosch’nen Siegeln
Tausend Väter hingestreckt,
Ach, von neuen, frischen Hügeln
Freund an Freunden überdeckt!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_075.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)