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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Damit ging sie hinaus, und Käthe sah ihr mit großoffenen Augen nach. Was für eine seltsame, unbräutliche Braut war doch die schöne Schwester! –




6.


Nahe der westlichen Grenze des Parkes lagen die Ueberreste des ehemaligen alten Herrenhauses Baumgarten. Von dem ganzen einst wohlbefestigten und mit Wassergräben umgebenen Ritterschlosse stand nur noch ein Zimmerthurm von bedeutenden Dimensionen, an den sich der geschwärzte Mauerrest eines Seitenflügels festklammerte. Vor sechszig Jahren war der Bau niedergerissen worden. Der damalige Besitzer, meist im Auslande lebend, hatte das Herrenhaus im modernen Styl, als Villa Baumgarten, an das entgegengesetzte Ende des Grundstückes, an die Promenade, verlegt, um bei seinem zeitweiligen Aufenthalt in der Heimath „unter Menschen zu sein“, und die schönbehauenen Granitblöcke des alten Schlosses beim Neubau verwenden lassen. Den Thurm mit seinem Ruinenanhängsel hatte man als Schmuck der Parkanlagen respectirt. Er erhob sich auf einem grünberasten künstlichen Hügel; um seine Basis drängte sich verwildertes Buschwerk; auf dem anstoßenden Mauerstück mit seinem mächtigen Fensterbogen hatten sich Stachelbeersträucher und Heckenrosen eingenistet, und der wilde Hopfen kletterte ihnen nach und streute grüne Ornamente über das dunkle Gestein.

Diese Ruine inmitten eines Wasserringes hatte jedenfalls ihren Zweck als Decoration erfüllt, aber nach dem damaligen Besitzer war eine praktische nutzenheischende Generation gekommen – sie hatte das Wasser aus dem Graben abgeleitet und in den vortrefflichen Schlammboden Gemüse gepflanzt. Das war nach dem Ausspruche des Schloßmüllers das einzige Vernünftige gewesen, das er bei seinem Ankauf im Parke vorgefunden, und als solches hatte er auch das einträgliche Stückchen Boden sofort zur eigenen Benutzung reclamirt. Käthe war als Kind sehr gern in dem kleinen Thale, wie sie den Graben nannte, umhergewandert. Das himmelschreiende Attentat auf die Romantik und den historischen Nimbus des ehemaligen Wasserschlosses war ihr selbstverständlich damals nicht zum Bewußtsein gekommen; sie war mit Suse stundenlang pflückend durch die Wildniß der Stangenbohnen und jungen Erbsen geschlüpft, ahnungslos, daß bei einem plötzlichen Durchbruche vom Flusse her die Fluthen hereinströmen und sie und Suse und die ganze grüne Herrlichkeit verschlingen könnten.

Heute nun, am fünften Tage nach ihrer Ankunft, betrat sie zum ersten Mal wieder diese entlegene Parkpartie und stand wie geblendet. Noch hingen die Hopfenranken blätterlos wie ein fahles Netz um die Mauern, und der Hügelrasen, winterdürr und zerwühlt, zeigte noch keine grüne Halmspitze, aber die Aprilsonne lag breit und glänzend auf dem ruinengekrönten Hügel und hob ihn malerisch von dem Tannenwalde, der im Hintergrunde sich über eine lange Bergwand hindehnte. Nicht eine Spur von frischem Mörtel zeigte die aufbessernde Menschenhand an den Mauern; kein neuer Stein war eingefügt worden, aber es schien auch keiner zu fehlen; nur die mächtigen Fensterhöhlen des Thurmes, vor denen früher vermorschte Holzläden gelegen, gähnten weit offen, und es glitzerte so seltsam aus dem Steinrahmen, als webe ein abgesperrter Sonnenstrahl drin im tiefen Dunkel ein geheimnißvolles Goldgespinnst. Und neues liebliches Leben regte sich um den verfallenen Stammsitz Derer von Baumgarten; über der Mauerkrone des Thurmes kreisten in graziösem Fluge weiße und bunte Tauben, und aus dem Dickicht, unter der uralten Nußbaumgruppe hervor, die den Thurm nach Süden hin flankirte, kamen lautlos zwei Rehe und wandelten langsam über den Rasenhang. Das kleine Thal aber war verschwunden. Ein breiter funkelnder Wassergürtel umfluthete wieder, wie vor Zeiten, den Hügel, Alles, was drunten gegrünt und geblüht und emporgestrebt, nivellirend, als habe die regsame Menschenkraft nie seinen stillen Grund usurpirt gehabt.

Eine Brücke, in Ketten hängend, schwang sich über den Graben, und drüben, vor ihren schmalen Ausgang quer hingestreckt, lag eine riesige Bulldogge; den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt, beobachtete sie mit wachsamem Auge das jenseitige Ufer.

„Da siehst Du nun Moritzens Tusculum, Käthe,“ sagte Henriette, die an Käthe’s Arm hing. Einst Burgverließ mit den üblichen Marterwerkzeugen und Todesseufzern, vor noch vier Monaten unbestrittener Wohnsitz verschiedener Eulen und Fledermäuse und meiner Tauben, und jetzt Salon, Schlafgemach und sogar Schatzkammer des Herrn Commerzienrath von Römer. … Gelt, schwarz genug sieht das Ding noch aus, und man meint, der nächste Sturmwind müsse das Mauerstück über den Haufen blasen, aber das Alles ist niet- und nagelfest, und gerade dort unter den überhängenden Steinen haust Moritzens Diener – der Mensch wohnt beneidenswerth.“

Flora war auch mitgekommen. „Wem’s gefällt!“ sagte sie trocken und achselzuckend. „Uebrigens eine merkwürdig originelle Idee für einen Krämerkopf – meinst Du nicht, Käthe?“ Sie schritt an den Schwestern vorbei über die Brücke. Ein Stoß ihres schönen Fußes scheuchte den Hund aus dem Wege, dann stieg sie den Rasenhang hinauf. Schüchtern flohen die Rehe vor der seidenrauschenden Erscheinung; die Tauben flatterten geängstigt von den unteren Fenstersimsen, und der Hund knurrte widerwillig und ging der herrischen Dame um einige Schritte langsam nach. … Wie sie droben stand, die schlanken Hände auf das Schloß der eisenbeschlagenen Thurmpforte gelegt und den Kopf mit dem metallisch funkelnden Blondhaar über die Schulter zurückwendend, im hellgrauen, silberflüssig schimmernden Seidenkleid mit Puffärmeln und seitwärts aufgenommener Schleppe, da war sie das leibhaftige Sagenbild der schönen Kaisertochter im Kyffhäuser.

Unwillkürlich glitt Käthe’s Blick von ihr weg auf Henriette, die sich dicht an ihre Seite schmiegte, und das Herz that ihr weh. Die hinfällige Gestalt mit ihren eckigen Linien in dem knappanliegenden Ueberkleid von glänzenden Farben balancirte förmlich auf übermäßig hohen Absätzen. Sie athmete so kurz und hastig und sah so grellbunt, so kokett und dadurch fast lächerlich aus. Aber sie hatte in den letzten zwei Tagen an häufig wiederkehrenden Erstickungsanfällen gelitten, und sie wollte doch nicht krank sein – die Welt sollte nun einmal nicht wissen, daß sie leide. Sie konnte mitleidigen Blicken oder theilnehmenden Bemerkungen gegenüber so zornig und beißend werden. Und doch hatte sie schwerer als sonst gelitten; denn Doctor Bruck, der sie behandelte und ihr stets Linderung zu verschaffen wußte, war verreist, und zwar wenige Stunden nach seinem neulichen Weggange aus der Villa; er sei von einem Freunde telegraphisch nach L.....g berufen worden und werde mehrere Tage ausbleiben, hatte er seiner Braut in einem kurzen Billet mitgetheilt. Der ärztliche Beistand des Medicinalrath von Bär aber war von der Kranken energisch zurückgewiesen worden – „lieber sterben!“ hatte sie, mit ihrer Erstickungsangst kämpfend, geflüstert. Käthe hatte die Schwester fast allein gepflegt und hütete sie seitdem mit zärtlicher Sorgfalt. Jetzt legte sie sanft ihren Arm um die gebrechliche Gestalt und führte sie über die Brücke, nach der Ruine.

Wie oft war sie als Kind den Rasenabhang hinabgelaufen und durch das Gestrüpp gekrochen! Wie oft hatte sie durch das weite Schlüsselloch der Thurmpforte gelugt! In den Kellern des Thurmes sollte noch Pulver aus dem dreißigjährigen Kriege liegen, und an den Wänden herum hänge „lauter grausiges Zeug“, hatten die Dienstleute gesagt. Aber es war immer rabenschwarze Finsterniß drin gewesen, und eine dicke, schwere Luft hatte das lauschende Kindergesicht erschreckend angehaucht; hatten nun gar ein Paar Eulenflügel sich von droben geregt, dann war sie, wie von Furien gejagt, den Hügel hinabgesprungen und hatte sich mit beiden Händen, von Grauen geschüttelt, an Suse’s Schürze angeklammert. … Jetzt stand sie drin, am Fuße einer teppichbelegten schmalen Wendeltreppe, und bestaunte mit großen Augen die Wunder, die das Geld des reichen Kaufmanns bewirkt. Draußen scheinbar zusammensinkendes Trümmerwerk, und innen ein vollkommenes Ritterheimwesen. Der einst mit den Augen nicht zu durchdringende Raum war ein weites Gewölbe, das mit seinen starken Steinbögen die ganze Last der oberen Stockwerke trug. An den Wänden hing noch „das grausige Zeug“, Helme und Waffen, aber es war geschmackvoll geordnet, und die blanken Flächen sprühten den Sonnenschein zurück, der blendend und ungehindert durch die Fenster fiel. Man hatte, um dem Thurme von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_079.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)