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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

und Vorleserin und ihren intimsten Umgang dem Ungarvolke entnommen und die Zeit herbeigewünscht, wo der endliche Friede mit Ungarn ihr gestatten würde, ihrer romantischen Sehnsucht nach Land und Leuten jenseits der Leitha Genüge zu thun. Einer solchen Königin gegenüber schien bloße ceremonielle Huldigung den Großen des Landes zu wenig, und der alte Brauch der Verabreichung eines „Krönungsgutes“ kam ihnen wieder in den Sinn.

Solch schöne und der Nation gewogene Königin mußte beschenkt werden – das sahen die Herren, die alle dazumal nach langer Zeit wieder in ihren diamantenstrotzenden Kalpaks, Dolmans und reich geschmückten Waffen durch die Straßen Pests schritten und es wieder in ihren prächtigen Palästen lebendig werden ließen nach so vielen Jahren der Zurückgezogenheit und politischen Trauer, sehr wohl ein. Und sie gingen hin und griffen in den Säckel des Landes, den sie ja von jeher als den ihren zu betrachten gewohnt waren, und suchten der schönen Königin ein Krönungsgut aus. Schloß Gödöllö war dazu ausersehen, das Krönungsgut der Königin Elisabeth zu werden. Mit drei Millionen Silbergulden ward es angekauft – ob es heute schon ganz bezahlt sein mag? –, vom Grunde auf restaurirt, hergestellt, eingerichtet und der Königin verehrt, die es dann so rasch lieb gewann, daß sie beinahe den größeren Theil des Jahres aus den Salons und Gefilden von Gödöllö gar nicht hinwegkommt.

„Dann muß dieses Gödöllö wohl ein herrlicher Fürstensitz sein?“ höre ich die Leser fragen. Wenige Menschen, die das Krönungsgut kennen gelernt, werden dies so ganz behaupten können. Man muß vielmehr ein hartgesottener Stock-Magyar, was man so einen „Magyar ember“ nennt, sein, um Gödöllö herrlich zu finden – man muß von der in den Theißebenen freilich viel verbreiteten, aber deshalb noch immer nicht durch die Erfahrung bestätigten Ansicht erfüllt sein, daß „magyarisch“ und „herrlich“ synonyme Begriffe seien, um sich frei und ungenirt der Bewunderung jenes Fürstensitzes an der Pest–Losonzer Bahn widmen zu können. Leuten, welche die Welt gesehen, welche sich in Compiègne und Fontainebleau herumgetrieben, die preußischen Königsschlösser kennen gelernt, in den lieblichen Winkeln von Windsor geträumt, die stylvoll schönen Besitzungen italienischer Nobili angestaunt, werden Gödöllö kaum zu den schönsten Landsitzen der europäischen Welt zu zählen vermögen. Schönbrunn, Laxenburg und sogar Hetzendorf – was seid ihr für Paradiese gegen das Königsschloß von Gödöllö!

Und doch – Kaiserin Elisabeth mag nicht mehr viel von euch wissen, seitdem ihr die „ritterliche“ Nation das Haus am Rakosch-Felde als Morgengabe zur Krone des heiligen Stephan dargebracht. Sie meidet euch, soviel sie nur kann, wandelt nicht gern in euren lauschigen Alleen, auf euren Blumenparterren und Glorietthöhen, welche die Lieblingsplätze so vieler ihrer hohen Vorgängerinnen auf dem Throne gewesen; sie kommt selten, und kommt sie, so kommt sie nur, um rasch wieder nach Gödöllö von dannen zu ziehen – die Laune einer Königin! Wer will ihr mit Gründen beikommen, ihr nachgehen bis zum Ursprungsquell? Gödöllö ist schön; Gödöllö ist herrlich – „la reine l’a dit; die Königin hat’s gesagt.“

Sehen wir es uns einmal an! Von Pest aus erreichen wir es mit der Hatvaner Bahn in kaum einer halben Stunde. Ein hübscher Herbsthimmel liegt über der weithingestreckten Ebene, die das Rakosch-Feld genannt wird, aber er vermag nichts mit seinen leicht schimmernden Lichtern für die Landschaft zu thun.

Es giebt Landstriche, aus denen der echteste italienische Himmel nichts zu gestalten vermöchte, über welche die Schönheit keine zaubervolle Gewalt hat. Ein solcher ist der „Rakosch“ bei Pest; was landschaftliche Langeweile zu bieten vermag, er bietet es, ja er überbietet es. Da giebt es keine sanftgeschwungenen Linien, weit und breit kein Hügelchen, keinen waldbekränzten Berg; das reine Husarenterrain könnte man den Rakosch nennen. Und wirklich hat es schon mehr Schlachten- als Landschaftsmaler gereizt. Die Schrecken des Krieges sind über den Rakosch zu wiederholten Malen dahingezogen, und so manche „wilde Jagd“ hat er, von Rakozy’s bis auf Kossuth’s Zeiten herab, über sein ödes Gefilde dahinjagen sehen.

Kriegerische Naturen, deren Phantasien gern die Gewaltpfade der Geschichte rückwandeln, mögen sich auf Gödöllö, das so oft den Schauplatz blutiger Thaten abgegeben, wohlbefinden und auf all die „Husarenstückchen“ horchen, deren um das Königsschloß herum jedes Fleckchen Erde zu erzählen hat, denn von alten und modernen Helden der Nation weiß die Umgegend Gödöllös viel zu erzählen, von Helden der Kriegssage und Helden der Geschichte, von tapferen Männern des Volkes und ihren streitlustigen Feinden, von Görgey und Kossuth, von Windischgrätz und Haynau. Gödöllö hat sie bei sich gesehen, wenn die Würfel der Schlacht bald für diesen, bald für jenen Theil gefallen waren und viele, viele Söhne dieses Landes, vereint mit vielen, vielen Söhnen deutscher und slavischer Erde, den Rakosch mit ihren entseelten Leibern weithin gedeckt hatten.

„C’est la guerre“ – das ist der Krieg!“ ruft vielleicht die schöne Königin, während sie durch den Park dahinwandelt oder mit verhängten Zügeln über die weite Ebene jagt, wenn die bleichen Schatten der Vergangenheit zudringlich sich ihr in den Weg stellen, und dann wandelt die schöne Frauengestalt, ein kleines, zierliches Geschöpfchen an der Hand führend, weiter, oder die kühne Reiterin sucht nach ein paar Hindernissen, die zu „nehmen“ sind; sie thut es mit derselben Lust, mit der an derselben Stelle früher einmal der Husar lebendigen Hindernissen an den Leib gegangen.

Die reitende Königin mag es auch sein, die Schloß Gödöllö so lieb gewonnen hat. Königin Elisabeth ist eine Passionsreiterin, eine der kühnsten, die der Sport unter den Frauen hat. Stundenlange Ritte auf weiter, menschenleerer Ebene sind ihre Lieblingsbeschäftigung.

Meilenweit umher hat der Häusler und Gutsbesitzer des Rakosch seine Königin immer nur zu Pferde gesehen. Und sie ist ein prächtiger Anblick, wie sie, den schlanken Oberkörper in graziösen Linien wiegend, fest und sicher, wie über dem Sattel schwebend, von ihren Lieblingshunden, zwei prächtigen Thieren, gefolgt, dahin jagt, die Oede, die vielleicht für sie keine ist, weil sie dieselbe mit ihrer Sportphantasie zu bevölkern weiß, so recht genießend. Und nicht nur ein prächtiger Anblick, auch ein seltener ist sie, da man unter den Großmüttern des Landes wohl kaum noch eine zweite finden dürfte, die der Reitpassion mit solcher Leidenschaft und solcher Kraft obzuliegen vermag. Für ein Reitervolk, wie die Magyaren doch sind, bedeutet eine solche Virtuosität nicht wenig, und sie wissen dieselbe an der Königin nicht hoch genug zu schätzen. Ein gewisser Grad von Tapferkeit ist ja immerhin mit dieser Passion eng verbunden, und Naturvölker missen auch im Weibe die Tapferkeit nicht gern. Der Reiterstolz ist also das Erste, was aus dem Magyaren spricht, wenn er auf diese seine Königin zu reden kommt.

Die Aristokratie des Landes, die bekanntlich auf allen Sportfeldern Europas sich hervorzuthun weiß und aus der ein Graf Sandor (Vater der Fürstin Melanie Metternich) hervorgegangen, um den sich ein ganzer Reitermythenkreis gebildet, hat erst recht an Königin Elisabeth ihre Freude und schafft Gelegenheiten, um sich der hohen Sportgenossin im allem Sportglanze zeigen zu können. Auf dem Felde des nahen Dorfes B. arrangirt sie alljährlich Herbst- und Frühlingsrennen und entwickelt da ihren alten gediegenen Reiterglanz, das Auge der Königin nicht wenig erfreuend. Ist der Kaiser und König im Schlosse, zumeist dann, wenn Regierungsgeschäfte ihn auf die Residenz in Ofen durch Wochen hindurch anweisen, so sind die langen Ritte erst recht das Hauptvergnügen des Hofes von Gödöllö, da Franz Joseph der Erste doch selbst ein kühner Reiter vor dem Herrn ist.

Es ist noch ein Glück für die gekrönten Insassen von Gödöllö, daß ihre Passion sie so oft hinausführt aus den Räumen des Schlosses, denn drinnen in seinen Mauern wachsen die Reize nicht üppig. Es ist ein ziemlich weitläufiger, aber auch ziemlich langweiliger Bau, der sich weder durch Styl, noch durch Eleganz auszeichnet. Wie bereits einmal gesagt, darf man mit Gedanken an andere bekannte Fürstensitze Europas nicht in Gödöllö eintreten. „Königliche Hallen“ sind sie schon deshalb nicht zu nennen, all die Räume, die sich da in langer Flucht hindehnen, weil sie überhaupt keine „Hallen“ sind. Sie entsprechen – und da darf man nicht allzu streng sein – höchstens dem Begriffe der größeren Salons. Alle Pracht der inneren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_082.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)