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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

faul. Wer kennte nicht den Maurerschwamm, „der da gar nicht, gar nicht brennen thut“? „Die Zimmerleut’ und Maurer sind die ärgsten Laurer,“ meint ein Reimspruch, „während sie essen, messen und sich besinnen, ist der halbe Tag von hinnen.“ Von den Schuhmachern sagt ein alter Spottvers mit Bezug auf den blauen Montag:

„Montag ist des Sonntags Bruder,
Dienstags liegen sie auch noch im Luder,
Mittwoch gehen sie nach Leder,
Donnerstag kommen sie weder,
Freitag schneiden sie zu,
Samstags machen sie Pantoffel und Schuh.“

Ganz übermäßig reichlich hat endlich der Geist des Schabernacks dasjenige ehrsame Handwerk gezaust und mit der Lauge seines Spottes begossen, welches unser sterbliches Theil mit Kleidern versorgt, was um so mehr verwundern muß, als nach dieses selben neckischen Kobolds Behauptung Niemand geringeres der erste Meister dieser Innung gewesen ist, als Gott der Schöpfer, wie er Adam und Eva nach dem Sündenfalle Schürzen aus Feigenblättern machte. Factum für den Volksglauben ist, daß die Schneider – mit Gunst, Meister und Gesellen, und nichts für ungut, wegen dieser Narrenfreiheit! – von den ihrer Scheere anvertrauten Rock- und Hosenstoffen mehr in die „Hölle“ werfen, als nothwendig und mit einem reinen Gewissen verträglich ist. Behauptet wird ferner, doch ist’s nicht erwiesen, daß ihrer einst neunundneunzig auf einem Kartenblatt Ball gehalten, nachdem sie sich insgesammt aus einem Fingerhute betrunken hätten, und daß sie, beim Tanze durch einen Ziegenbock überrascht und erschreckt, zum Schlüsselloch hinausgesprungen wären. „Was ein echter Schneider ist, muß wiegen sieben Pfund.“ Allbekannt ist endlich, daß der alte Volkswitz geradezu von einer Verwandtschaft der Schneider mit dem Thiere wissen wollte, das den ersten Bart auf Erden trug. Schon um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts verlautet davon etwas in einem Spottliede, das 1469 zu Regensburg verboten wurde. Hans Sachs dichtete einen Schwank von der Feindschaft der Schneider und der Gaiß, aber Anspielungen auf die Vetterschaft zwischen beiden blieben beliebter, obwohl man sich vergeblich den Kopf zerbrechen wird, wenn man nach dem Grunde sucht. Das Sprüchwort, daß neun Schneider an einem Ei genug haben, war schon zu Luther’s Zeit im Umlaufe. Für dumm aber haben sie niemals gegolten. Im Gegentheile, im Märchen überlistet ein schlauer Kleiderkünstler sogar den Gottseibeiuns, und ein Reimspruch sagt: „Mutterlist und Schneidertrug dem Teufel selber sind zu klug.“

Daß ungastliche Wirthshäuser mit prellsüchtigen Wirthen, von denen es früher mehr gab als jetzt, vom Volkshumor nicht ohne Denkzettel gelassen wurden, versteht sich von selbst, und nach den Spottnamen, welche diese Schenken oder Gasthöfe von ihm erhielten, haben hin und wieder ganze Orte, die sich um sie bildeten, ihre jetzige Benennung bekommen. Von letzteren führe ich Fegebeutel, Zehrbeutel und Leerbeutel in Schlesien und Vegesack an der Unterweser an. Ein Wirthshaus in Holstein hieß Luerup (Lauere auf), ein anderes „biem Dredüwel“ (dreifachen Teufel), wieder ein anderes Nobiskrug (ein Name der Hölle). Sowohl bei Dresden wie bei Hildesheim giebt es eine Schenke, die den Namen „Der letzte Heller“ führt.

Wir begegnen dann ganzen Stämmen, denen die Necksucht der Nachbarn einen oder mehrere Mängel, Schwachheiten oder Narrheiten angedichtet hat. Die Sachsen, richtiger die Meißner, sollen knausernde Hungerleider sein, deren Lieblingsgericht Kalbsbraten mit Backpflaumen, und deren Leibgetränk der „Blümchenkaffee“ wäre, zu dessen Bereitung alljährlich in der Sylvesternacht eine Bohne Mokka auf den Boden des Kaffeetopfes genagelt würde, die mit viel Wasser und noch mehr Genügsamkeit die nächsten zwölf Monate der Familie zur Herstellung ihres Morgenlabsals zu dienen hätte. Ein Stück Zuckerkand hinge die Zeit über zur Versüßung des letzteren an einem Faden von der Decke herab. „Ei Herrjeses!“ und „nu eben!“ sind Ausrufe, mit denen jeder, der einen Sachsen sprechen läßt, dessen Rede verzieren zu müssen meint. Die Pommern und die Altbaiern gelten für grob und ungelenk. Die Hessen sind blind, was irrthümlich als von ihrem blinden Draufgehen im Kriege herrührend gedeutet worden ist, da andere Leute das, wo es noththut, ebenfalls verstehen. Vor Allen aber sind die Schwaben Stichblatt und Zielscheibe des Witzes und der Spottlust der übrigen Deutschen gewesen. Sehr alt sind die Behauptungen, daß die Schwaben erst mit vierzig Jahren klug werden, daß sie bis dahin allerlei „Schwabenstreiche“ begehen, daß sie nur vier Sinne haben (weil sie schmecken für riechen sagen), daß sie kein Herz, aber zwei Magen besitzen, daß sie, wenn ihnen die Braut am Charfreitag stirbt, noch vor Ostern heirathen, und dergleichen Possen mehr. Ebenfalls alt ist die Mähr von den sieben Schwaben, dem Gelbfüßler, dem Nestelschwab, dem Knöpfleschwab, dem Spiegelschwab, Blitzschwab, Seehaas und Allgäuer oder, wie sie anderswo heißen, dem Herrn Schulz, dem Jackli, dem Marli, dem Jergli, dem Michel, dem Hans und dem Veitli, die gegen den Hasen ausrückten und dabei in ihrer Einfalt allerhand Abenteuer, unter anderen das von Paulus Diaconus schon von den Herulern erzählte, erlebten, daß sie ein blühendes Flachsfeld für Wasser hielten und darin zu schwimmen versuchten.

Endlich sehen wir den Humor sich aus dem Stamm oder der Landschaft auf eine bestimmten Ort oder mehrere concentriren und hier Bilder aus der verkehrten Welt zu Stande bringen. Es sind die deutschen Narrenstädte, die ihr Gesammtbild in Schilda (nicht zwischen Torgau und Dahlen, sondern in Narragonien gelegen) und im utopischen Lalenburg haben, und mit denen wir im Folgenden genauere Bekanntschaft machen wollen. Die Schild- oder Lalenbürger stammen nach dem humoristischen Historiker, der 1598 die Geschichte ihrer Thaten herausgab, von einem der sieben weisen Meister ab und sind in Folge dessen so klug, daß man sie an alle Höfe als Kanzler und Räthe beruft. Bei ihrer langen Abwesenheit von der Heimath geräth das in dieser Zeit den Weibern überlassene Gemeinwesen in argen Verfall. Endlich nach Hause entboten, finden sie Alles in Zerrüttung, und da sie die Ursache davon in ihrer großen Weisheit suchen, beschließen sie, einmal zu sehen, ob es nicht mit der Thorheit besser gehe. Die Verwandelung der Weisen in Narren gelingt, nicht so aber die hiervon erhoffte Verbesserung der städtischen Zustände. Sie unternehmen verschiedene gemeinnützige Werke, greifen Alles auf das Verkehrteste an, gewinnen aber nichts dabei, als daß jedes Mal auf Kosten des Stadtsäckels wacker getrunken und ein Loch in das öffentliche Gut gegessen wird.

Das Buch, in welchem dies berichtet wird, war nur eine Sammlung und Verschmelzung von Witzen und Schwänken, die in den einzelnen Landschaften von gewissen Orten erzählt wurden und zum Theil schon in älteren Anekdotenbüchern zu lesen waren. Es hat aber unzweifelhaft beigetragen, daß sich die vermuthlich zuerst in Schwaben oder sonstwo im südwestlichen Deutschland entstandenen Anekdoten von angeblichen Pinselstreichen und Gimpeleien dortiger Städtchen und Dörfer auch in der norddeutschen Luft verbreiteten und sich aus dieser auf nieder- und obersächsische, schlesische und pommerische, schleswig-holsteinische und hessische sowie mecklenburgische Orte niederließen. Es war das Magazin, aus dem man in Ermangelung eigenen Witzes und eigener Phantasie das Material nahm, wenn man den Nachbarn etwas am Zeuge flicken oder ihnen eine Narrenschelle anhängen wollte. Der Fall, wo die Necklust stärker war als die humoristische Erfindungsgabe, ist offenbar der häufigere gewesen; denn eine Menge von den im Buche von den Schildbürgern und in den älteren Facetiae Bebel’s erzählten Anekdoten finden sich mit geringen Abweichungen in den Einzelnheiten in der späteren Zeit norddeutschen wie süddeutschen, schwäbischen wie schleswig-holsteinischen Orten angeheftet.

Die beliebtesten und deshalb von mehr als einem Städtchen erzählten Stückchen sind die folgenden. Der Feldhüter des Ortes soll die Störche von einer Wiese vertreiben, aber das Gras dabei nicht zertreten, und man hilft sich damit, daß man den Mann auf eine Bahre setzt und von vier Männern nach allen Richtungen hin über die Wiese tragen läßt.

Man begegnet einem Krebs, bei dessen Anblick man erschreckt Sturm läutet, da man nicht weiß, was man aus dem schrecklichen Thiere machen soll. Ein vielgewanderter Schneider, den man herbeiruft und um Auskunft befragt, kennt es auch nicht, meint indeß, wenn es nicht ein Hirsch sei, so müsse es eine Turteltaube sein. Das Ungethüm wird zuletzt mit Büchsen erschossen.

Die Bürger der Stadt bauen ein neues Rathhaus, vergessen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_085.jpg&oldid=- (Version vom 2.5.2021)