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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

hatte sich Käthe ein kleines, gebücktes, wenn auch immer noch rasches Hausmütterchen mit küchengeschwärzten Händen gedacht, das, zwischen Pfannen und Töpfen und Einmachbüchsen grau geworden, nichts Lieberes that, als Pfannkuchen backen – das Bild war unvereinbar mit dieser Dame, deren kleines, allerdings ältliches Gesicht so zartbleich und edel, mit so milden, sprechenden Augen aus dem weißen Spitzentuche sah, welches sie über das noch sehr reiche, aschblonde Haar geknüpft hatte.

Käthe wurde immer befangener und stammelte, an den Fuß der Treppe tretend, eine herkömmliche Entschuldigung. „Ich habe als Kind hier gespielt, und bin vor einigen Tagen aus Dresden zurückgekehrt und – das ist meine Schwester,“ setzte sie, auf das Bild zeigend, hastig hinzu, und dann brach sie in ein frisches, helles Lachen aus und schüttelte den Kopf über sich selbst und die naive, ungeschickte Art der Einführung, zu der sie in ihrer Verlegenheit gegriffen.

Und die Dame lachte auch. Sie legte das Bild auf den Tisch, und die Stufen herabsteigend, streckte sie dem jungen Mädchen beide Hände entgegen. „Dann sind Sie Bruck’s jüngste Schwägerin.“ Ein leiser Schatten flog über ihr Gesicht. „Ich habe nicht gewußt, daß Besuch in der Villa Baumgarten eingekehrt ist,“ fügte sie mit einem kaum hörbaren Anfluge von Bitterkeit hinzu.

In diesem Augenblicke zog auch ein Wolkenschatten über Käthe’s Seele hin – war sie denn so ein gar Nichts, ein solch verschollenes, nicht mitgeltendes Glied der Familie Mangold, daß Doctor Bruck es nicht der Mühe werth gefunden hatte, seine Begegnung mit ihr zu erwähnen? … Sie biß sich auf die Lippen und folgte schweigend der einladenden Handbewegung der Dame, welche ihr vorausging und eine Thür in dem weiten Hausflure öffnete. Die schlanke Frau war noch so graziös in jeder Bewegung.

„Das ist mein Stübchen, meine Heimath bis an’s Ende,“ sagte sie mit einer so herzensfreudigen, gleichsam aufathmenden Betonung, als sei sie bis zu diesem Ruheporte mit müden Füßen in der Irre gewandert. „Ehe mein Mann als Diakonus in die Stadt versetzt wurde, lebten wir in einer kleinen Pfarre auf dem Lande. Es ging uns sehr knapp, und ich hatte mein ganzes haushälterisches Talent nöthig, um die Standeswürde nach außen hin zu wahren, aber es war doch die schönste Zeit meines Lebens. … Die staubige Luft und das Geräusch der Stadt haben meinem Nervenleben nicht gut gethan; meine stille Sehnsucht nach grüner Einsamkeit wurde nahezu krankhaft. Ich habe das nie ausgesprochen, und doch hat der Doctor heimlich gesorgt und gespart, und vor einigen Tagen führte er mich hierher in das Haus, das er wenige Stunden zuvor für mich erstanden hatte.“ Bei den letzten Worten klang ihre Stimme verschleiert und tiefbewegt. Sie war also doch die Tante, und ihren Neffen nannte sie stolz „den Doctor“. Und jetzt lächelte sie anmuthig. „Ein wahres Schlößchen ist’s, nicht wahr?“ fragte sie zutraulich. „Sehen Sie doch die Flügelthüren und die prächtige Stuckarbeit an der Decke! Und die alte Ledertapete da mit den geschwärzten Goldleisten ist jedenfalls sehr kostbar gewesen. Draußen im Garten finden sich auch noch Spuren von Taxushecken und Sandsteinfiguren. Ursprünglich ist das Haus der Wittwensitz einer Dame aus dem Hause Baumgarten gewesen – ich weiß es aus einer Chronik. … Wir haben nun tüchtig gescheuert, gelüftet und einige Oefen geheizt, um die alten Wände zu durchwärmen; sonst ist Nichts, nicht ein Nagel verändert worden; dazu reichten die Mittel nicht – und es wäre auch sehr überflüssig gewesen.“

Käthe hatte längst mit stillem Behagen die ganze Einrichtung überflogen. Die dunkelgewordenen Mahagonimöbel paßten just zu der gelben Ledertapete. An der Mittelwand, nicht weit von dem weißglasirten, weitbauchigen, auf verschnörkelten Füßen ruhenden Ofen, stand das kattunbezogene Sopha, und darüber hing in der That das Portrait des seligen Diakonus, ein schlichtgemaltes Pastellbild, das den alten Herrn in seiner Amtstracht vorstellte. Ein köstlicher Schmuck aber waren die Pflanzengruppen an den zwei hohen und breiten Fenstern, die Azaleen- und Palmenarten, die prachtvollen Gummibäume, warm und kräftig vergoldet von dem die klaren Filetgardinen durchbrechenden Sonnenlicht. Die Goldfische in der Glasschale und der Singvogel im Messingkäfig, diese Pfleglinge einsamer Frauen, fehlten auch hier nicht; auf den Fenstersimsen blühten Frühlingsblumen, buntfarbige Hyacinthen und die träumerisch gesenkten Häupter der weißen Narcisse – das Nähtischchen aber stand in einer förmlichen Nische von Lorbeerlaub.

„Meine Zöglinge – ich hab’ sie fast vom Samenkorn an erzogen,“ sagte die Tante, dem bewundernden Blick des jungen Mädchens folgend. „Die schönsten und liebsten habe ich selbstverständlich dem Doctor in’s Zimmer gestellt.“ Sie schob die angelehnte Thür des Nebenzimmers zurück und führte Käthe hinüber.

„Selbstverständlich!“ wie das klang! So weiblich demüthig, so mütterlich liebend und – verziehend. … Sie hatte ihm „selbstverständlich“ auch das schönste Zimmer im Hause ausgesucht, das Eckzimmer, an dessen östlich gelegenen Fenstern der Fluß vorbeirauschte. Ueber den breiten Wasserstreifen hinaus that sich eine der hübschesten Parkpartieen auf, und fern, hinter Lindenwipfeln, glänzte bläulich das Schieferdach der Villa. … Zwischen diesen Fenstern, an der sehr schmalen Spiegelwand stand der Schreibtisch; wenn der Doctor die Augen vom Papier hob, dann sah er dort die Fahnenstange in den Himmel hineinragen – in den Himmel! Käthe fühlte plötzlich ihre Wangen in heißer Scham brennen; hier bot zärtliche Fürsorge Alles auf, dem Mann verstohlen das Süßeste, das Geliebteste nahe zu rücken, und dort drüben sann ihre treulose Schwester Tag und Nacht darauf, ihn aus seinem Himmel zu stoßen. Mit dem frivolen: „Beglücke Du ihn doch!“ hatte sie vorhin ihre Anrechte verächtlich ausgeboten.

Ob die warmherzige, zartempfindende Frau, die da neben ihr stand, es wohl ahnte, oder vielleicht auch nur instinctmäßig fühlte, daß über kurz oder lang ein unabwendbares Leid, wie es ihn schwerer nicht treffen konnte, über ihren Liebling hereinbrechen werde? Sie hatte Käthe nicht aufgenommen, wie eine kaum in die Heimath Zurückgekehrte, den Familienverhältnissen Entfremdete, sondern als Bruck’s jüngste Schwägerin, die nothwendig mit allen Beziehungen so vertraut sein müsse, daß sie sich gar nicht erst als Tante vorzustellen brauche – demnach mußte ihr Verkehr in der Villa Baumgarten kein intimer sein, und es war in diesem Moment, als wolle sie die Annahme bestätigen, denn sie zeigte nach der leeren Spiegelwand über dem Schreibtisch und sagte unbefangen: „Ich bin noch nicht fertig mit der Einrichtung – da fehlt noch die Photographie der Braut und das Oelbild seiner Mutter, meiner lieben, verstorbenen Schwester.“

Sonst fehlte nichts mehr in dem unbeschreiblich anheimelnden Zimmer. Der Doctor, der heute mit dem Abendzug zurückkehren sollte, hatte keine Ahnung, daß er die Tante nicht mehr in der Stadt finden werde. Sie hatte ihm den Umzugstrubel ersparen wollen, und der Commerzienrath war, wie sie dankbar sagte, so sehr zuvorkommend gewesen, ihr zu dem Zweck das Haus sofort zu übergeben.


(Fortsetzung folgt.)




„Die erste Tragödin der ersten deutschen Schaubühne“.


Der große Frankfurter Pessimist Schopenhauer ist bekanntlich nicht sehr gut zu sprechen auf unsere Welt. Er warnt seine freundlichen Leser dringend vor den listigen Schlichen der Natur, die es auf gar nichts Anderes abgesehen hat, als die Menschheit an der Nase herumzuführen. Das ganze Leben ist nicht nur ein Geschäft, das die Kosten nicht deckt, es ist geradezu eine consequent durchgeführte unverschämte Prellerei, zu deren Opfer die gütige Mutter Natur den Menschen macht. Gar zu plump darf sie freilich das Geschäft des ewigen Foppens nicht betreiben, sonst würden die armen Betrogenen am Ende ihre vertrauensselige Gemüthlichkeit verlieren, sich kurz entschließen, ihr nicht länger aufsitzen zu wollen, und ihr so mit einem Male das Spiel für immer durchkreuzen. Um das zu verhindern, geht sie von Zeit zu Zeit von ihrer Regel ab und läßt ab und zu einige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_096.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)