Seite:Die Gartenlaube (1876) 099.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Nun erst wird sie von mehreren Capacitäten, worunter auch Dingelstedt, der Reihe nach entdeckt, sie aber lernt mit unerschüttertem Eifer unter der Leitung ihres wackern Regisseurs Hein und ihrer Lehrerin, der Frau Peroni-Glasbrenner, weiter und läßt sich endlich vom Director Maurice auf vier Jahre für das Hamburger Stadttheater engagiren. So hatte aber Laube, der Director des Wiener Hofburgtheaters, nicht gerechnet, kaum war sie gebunden, als er auch ihre Fesseln, beziehungsweise ihren Contract zu lösen trachtete. Das gelang durch ein ziemlich schweres Opfer, zu welchem sich die Künstlerin zu verstehen hatte: sie mußte sich verpflichten, durch drei Jahre jährlich sechs Wochen in Hamburg zu gastiren, ohne dafür ein Honorar zu beanspruchen.

So kam sie an’s Burgtheater, und so ward aus ihr die erste Tragödin der ersten deutschen Schaubühne. Da hatte sie nun endlich den lange und schmerzlich ersehnten Spielraum gewonnen, auf welchem ihr mächtiges Talent seine Schwingen regen und entfalten konnte, und diese Schwingen haben sich entfaltet und sich zu hehrem Fluge erhoben, der immer mit untrüglicher Sicherheit das begeisterte Publicum mit sich reißt, empor zu jenen Höhen, auf welchen im reinen Aether der reinen Kunst alle kleinen Sorgen des Alltagslebens vergessen werden. Ihr Talent läßt sich nicht zerlegen, wie ein mechanischer Apparat. Ihr Talent ist ihre Persönlichkeit – ihr Talent ist ihr Auge, ihre Stimme, ihre Bildhauer wie Maler gleich begeisternde Schönheit, und vor Allem ihre Seele, ihre tiefe Empfindung, die sie befähigt, die von den großen Dichtern empfundene Leidenschaft voll und ganz nachzuempfinden. Soweit kann man ihrer Begabung in die Karten blicken; wie sie es weiter anstellt, all’ der glühenden Leidenschaft den rechten Ton, die rechte Gestalt zu geben, das ist ihr Geheimniß, das ihre zahllosen Nachahmerinnen ihr vergeblich abzulauschen getrachtet haben, und das ihr wohl überhaupt nicht abzulauschen ist. Der „Wolter-Schrei“ ist in Wien zu einem geflügelten Worte geworden, allein es ist kein manierirter Kunstschrei darunter verstanden, den sie in immer gleicher Fassung zur Disposition hielte, sondern vielmehr der elementare Ausbruch einer erschütternden Leidenschaft, die gerade darum die Seelen immer wieder ergreift, weil nichts Gemachtes, nichts Manierirtes in ihr ist.

Auf ihre einzelnen Rollen kann ich an dieser Stelle nicht eingehen; um nur ihre „Medea“ zu würdigen, müßte man soviel Raum zur Verfügung haben, wie mir für diesen ganzen Artikel gestattet ist. Wer ihre „Medea“ oder ihre „Sappho“ einmal gesehen hat, wird sie nie wieder vergessen. Ihr Repertoire ist ein außerordentlich umfangreiches und umfaßt beinahe alle Heroinen der classischen wie der modernen Bühnenliteratur. Lady Macbeth, Gräfin Orsina, Phädra, Deborah, Hebbel’s Chriemhild und Maria Magdalena, Adrienne Lecouvreur und die Fürstin Udaschkin (Graf Waldemar) haben noch keine bessere Darstellerin gefunden. Unsere Abbildung zeigt die Künstlerin als Messalina in Wilbrandt’s „Arria und Messalina“. Dem Stücke hat die Kritik ziemlich hart zugesetzt, über die geniale Leistung der Wolter aber herrschte nur eine Stimme des Lobes.

Das Bild, das die „Gartenlaube“ heute ihren Lesern vorlegt, hat seine Geschichte, die zum Schlusse hier kurz erzählt sei. Wissen Sie, freundliche Leserin, was ein „Vielliebchen“ ist? O, nicht diesen Blick beleidigter Majestät! Sie wissen es – gut; allein nicht alle Menschen haben diese Wissenschaft, und ich könnte traurige Geschichten von einem Graveur erzählen, der auf ein verlorenes Vielliebchen, einen schönen Silberbecher, groß und breit „Philipp“ gravirte, weil er nicht wußte, was ein Vielliebchen sei. Doch Sie wissen es, und das genügt. Makart, der berühmte Maler, hatte an die Künstlerin ein Vielliebchen verloren, und Künstler vom Schlage Makart’s können so fürstlich zahlen, wie nur irgend ein Kaiser. Begeistert von der herrlichen Leistung der Künstlerin als Messalina malte er sie als solche und überraschte sie mit dem Gemälde. Das geniale, farbenglühende Bild hängt nun im Boudoir unserer Heroine, und sie sowohl wie der Maler des Bildes haben mit zuvorkommendster Liebenswürdigkeit der „Gartenlaube“ das Reproductionsrecht des interessanten Werkes überlassen, das hier zum ersten Male in die Oeffentlichkeit tritt.

Balduin Groller.




Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Das rothe Quartal.


(März–Mai 1871.)


Von Johannes Scherr.


3. Endlich haben wir die Kommune!


„Aux urnes!“ hieß die Losung der Pariser am 26. März und von allen Wänden herab predigten rothe Plakate die Tugenden einer ausgiebigen Anzahl von Kommune-Kandidaten.

Helles Sonntagswetter, und man macht seine Wählerpflicht im warmen Sonnenschein ab wie ein anderes Sonntagsvergnügen. Alles ist munter und wohlauf. Das Paris beherrschende Roth ist heute kein düsteres, sondern schillert rosenröthlich. Was kümmern uns die von den Wällen der Nord- und Ostforts verwundert nach der „Weltleuchte“ hereinschauenden „deutschen Barbaren“? Nichts. Was fragen wir nach dem in Versailles sich duckenden Nußknacker von Thiers? Weniger als nichts. Denn wir sind souverän, wir Söhne der Weltsonne Paris, souveränst, und wir wollen heute wieder einmal den Erdball in Erstaunen setzen, indem wir ihm zeigen, wie man eine Kommune comme il faut zuwege bringt. Es ist endlich an der Zeit, daß unsere dreimalheilige Dreieinigkeit „Liberté, Egalité Fraternité“ zur Wahrheit und Wirklichkeit werde auf Erden. Denn – also hat der Bürger Jules Allix in einer Klubbsitzung von Belleville prophetirt und dekretirt – „frei sein muß jeder, gehorchen keiner. Sogar das Kind muß frei sein von der Geburt an, maßen es niemand Gehorsam schuldet, auch seinen Eltern nicht.“

Dieses und andere ähnliche prächtige Principien in Thatsachen zu verwandeln, wählen wir also heute unsere hochgelobte Kommune. …

Es geht dabei ganz ordentlich her, das muß man sagen. Die Pariser scheinen durchaus zeigen zu wollen, daß sie in allem Anstand, ja so zu sagen mit Eleganz anarchisch zu sein vermögen. Aber was anarchisch? Regierung muß sein, und wir haben den einköpfigen „Tyrannen“ Thiers nur abgeschüttelt, um uns einen siebzig- oder gar neunzigköpfigen aufzuladen. Variatio delectat mulieres virosque.

Würdevoll marschiren die Bürgerwehrmänner in größeren und kleineren Gruppen nach den Abstimmungslokalen, während ihre besseren Hälften in die verschiedenen Kirchen zur Messe gehen, denn die Pariserin vom anständigen Mittelstand ist bis über die Ohren in Katholicismus getaucht. Die Herren Bürger vom Stadthause lassen ihre Boten durch die verschiedenen Quartiere rennen, und da es an Pferden für die Adjutanten fehlt, sieht und hört man Garibaldiner im vollen Seiltänzerwichs der Garibalderei auf Velocipedes durch die Straßen sausen. Wer nachmittags sich die Mühe nehmen will, die große Barrikade zu erklettern, welche man am 19. März aufgethürmt hat, um den Stadthausplatz gegen die Rue Rivoli hin abzusperren, kann von dort herab ein fröhliches Drängen und Treiben auf diesem Platz erschauen. An 20,000 Bürgerwehrleute sind da versammelt, und die Musikbanden verschiedener Bataillone spielen auf. Rothhemden und Blaublusen schäckern mit Damen, die mehr oder weniger „von jener Sorte“ sind. Zuaven und Turkos tanzen mit Marketenderinnen zwischen den Geschützen, welche, in Batterie gebracht, ihre Mündungen den Ausgängen des Platzes zukehren.

Der Mitglieder des „Conseil municipal“ – diese Benennung klebte man vorderhand noch der Kommune als ein Feigenblatt auf – sollten 90 sein, der eingeschriebenen Wähler waren 490,000. Aber von diesen hatte sich mehr als die Hälfte den Protest hinter die Ohren geschrieben, welchen am 19. März 35 pariser Journale einmüthig gegen die Giltigkeit dieser Wahl zum voraus erhoben hatten, zu nicht geringer Erbosung der Herren vom Centralkomité, welche darauf in ihrem „Journal

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_099.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)