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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

daß man um ihretwillen sterben möchte? Und hatte sie diese tragische Gewalt auch über einen Mann wie Bruck?

Er verließ eben mit festen Schritten Flora’s Zimmer; auch die Präsidentin rauschte eilig vorüber; es hatten sich noch zwei ältere Damen im Salon eingefunden, welche sie begrüßen mußte. Die Thür nach dem Arbeitszimmer blieb nach wie vor offen; jedenfalls wurde der fragliche Artikel consequentermaßen beendet, denn nachdem auch Fräulein von Giese wieder herübergekommen war und sich abermals präludirend an den Flügel gesetzt hatte, wurde es ganz still drüben.

Käthe verfolgte mit einem Seitenblick den Doctor, wie er den Salon durchschritt. Er trat an den Theetisch, um mit Henriette zu sprechen; allein eine der neuangekommenen Damen hielt ihn fest und verwickelte ihn in ein Gespräch. Er war ritterlich verbindlich und sehr ruhig in seinen Geberden, aber Käthe hatte vorhin bei Flora’s malitiöser Antwort eine Flamme in seinen Augen lodern sehen; er hatte jäh die Farbe gewechselt, und auch jetzt noch brannte ein erhöhtes Roth auf seinen Wangen – er war nicht so ruhig heiter, wie er zu sein schien. Und seine schöne Widersacherin drüben im rothen Arbeitszimmer war es ebenso wenig; schon nach fünf Minuten stieß sie hörbar ungeduldig den Stuhl zurück und kam herüber.

„Nun, Flora, schon fertig?“ fragte das Hoffräulein und ließ die unermüdlichen Finger in Terzen über die Tasten laufen.

„Bah, glaubst Du, man schüttelt einen wirksamen Schluß nur so aus dem Aermel? Ich bin eben nicht mehr aufgelegt, und ohne Inspiration schreibe ich nun einmal nicht; dazu ist mir der Schriftstellerberuf zu heilig.“

Fräulein von Giese zwinkerte eigenthümlich boshaft mit den Augen; sie hatte einen falschen Blick. „Ich bin sehr gespannt, wie die Kritik Dein großes Werk ‚Die Frauen‘ aufnehmen wird. Du hast uns so viel davon erzählt. Hat der Verleger es angenommen?“

Flora hatte das Augenspiel wohl bemerkt. „Es wäre Euch schon recht, Ihr treuen Seelen, wenn es Fiasco machte – nicht wahr, Margarethe?“ sagte sie beißend. „Aber das Gaudium erlebt Ihr nicht; das sagt mir mein – nun, mein kleiner Finger.“ Sie lachte leise und übermüthig, schüttelte die duftigen Löckchen aus der Stirn und schickte sich an, den Salon mit jener vornehmen Nachlässigkeit zu betreten, welche sie wie eine stolze Fürstin anzunehmen wußte.

„Kind, Du stehst ja da, mit dem Notenhefte in der Hand, als wolltest Du auch unsere Ohren in Anspruch nehmen,“ sagte sie im Vorübergehen zu Käthe mit spöttischem Tone und einem sprechenden Seitenblicke nach der emsigen Clavierspielerin. „Singst Du denn?“ Käthe schüttelte den Kopf. „Das müßte ein Sommer’s-Erbtheil sein; unsere Familie hat keine Singstimmen.“

„Ja, Flora, Käthe treibt Musik,“ rief der Commerzienrath herüber. Er sprach mit einem Herrn in der Nähe der Thür und trat jetzt näher. „Ich weiß es aus den Rechnungsbelegen der Doctorin. Viel Geld, Käthe! Ich habe es Dir schon sagen wollen: Du hast sehr theure Lehrer.“

Das junge Mädchen lachte. „Die besten, Moritz. Wir in Dresden sind praktische Leute; das Beste ist das Billigste.“

„Nun, mir ist’s schon recht. Hast Du denn aber auch Talent?“ fragte er in zweifelhaftem Tone; „die musikalische Begabung lag allerdings nicht in der Familie Mangold.“

„Den Trieb wenigstens,“ versetzte sie einfach, „und die Neigung, Melodien zu ersinnen.“

Flora, die eben auf die Schwelle des Salons trat, wandte sich überrascht um. „Geh’ doch, Käthe!“ sagte sie hastig. „Melodien ersinnen! Du siehst mir danach aus mit Deinen rothen Backen und Deiner Hausfrauenerziehung. Eine Polka oder ein Walzer läuft wohl Jedem, der gerne tanzt, einmal durch den Kopf –“

„Und ich tanze leidenschaftlich gern, Flora,“ unterbrach Käthe sie heiter und aufrichtig bekennend.

„Siehst Du? Wer wird sich da gleich den Anschein tiefsinniger Productivität geben! Und darauf hin nimmst Du wohl gar Unterricht in der Composition?“

„Ja, seit drei Jahren.“

Flora schlug die Hände zusammen und kam ganz erregt in das Musikzimmer zurück. „Ist denn Deine Lukas,“ – sie nannte die ehemalige Gouvernante immer noch bei ihrem Mädchennamen – „von Sinnen, daß sie das Geld so zum Fenster hinauswirft?“

Es war ziemlich still im anstoßenden Salon. Die drei alten Herren am Kamine und die Dame, welche mit dem Doctor gesprochen, hatten eben auch einen Spieltisch besetzt; Doctor Bruck saß in leisegeführter Unterhaltung neben Henriette, und Fräulein von Giese pausirte aufhorchend für einen Moment; so konnte man jedes Wort dieses ziemlich lauten Gespräches drüben hören.

Henriette sprang auf und kam herüber. „Du bist musikalisch, Käthe,“ fragte sie erstaunt, „und hast, so lange Du da bist, nicht eine Taste berührt?“

„Der Flügel steht neben Flora’s Zimmer; wie konnte ich denn so anmaßend sein, sie mit meinem Clavierspiele im Arbeiten zu stören?“ antwortete das junge Mädchen unbefangen und natürlich. „Ich habe freilich schon den lebhaften Wunsch gehabt, und es hat mir in den Fingern gezuckt, auch einmal auf dem Instrumente hier zu spielen, denn es ist herrlich, und mein Pianino daheim taugt nicht viel. Wir haben es vor fünf Jahren alt gekauft. Die Doctorin will schon seit lange ein besseres von Dir fordern, aber ich war immer dagegen. Es war mir fatal, daß Du von dieser Forderung auf meine Leistungen schließen könntest. Nun aber, nachdem ich heute den bewußten Schrank gesehen habe, bin ich durchaus nicht mehr so blöde; ich wünsche mir ein Instrument wie dieses.“

„Es kostet tausend Thaler; tausend Thaler für eine kleine Mädchenpassion! Das will überlegt sein, Käthe.“

„Und wer im Hause spielt denn auf Eurem Instrumente?“ fragte sie jetzt mit fast harter Stimme und aufglühenden Augen; man sah, sie war im Innersten verletzt. „Wem verschafft es einen Genuß in stillen Stunden? Es steht nur für Gäste da. Muß denn das Capital immer so angelegt sein, daß es nur brillirt?“

Der Commerzienrath trat ihr ganz betroffen näher und erfaßte ihre Hand; er hatte diesen Ausdruck voll Energie und eigener fester Urtheilskraft noch nicht in dem blühenden Mädchenantlitze gesehen. „Ereifere Dich nicht, liebes Kind!“ begütigte er. „Bin ich denn je ein harter und knickeriger Vormund gewesen? Geh’, spiele eine Pièce und beweise uns, daß Dir die Beschäftigung mit der Musik wirklich Herzenssache ist! Mehr verlange ich gar nicht, und Du sollst ein Instrument haben, wie Du es Dir wünschest.“

„Nun, nach dem Vorhergegangenen thue ich’s nicht gern,“ sagte sie aufrichtig und unumwunden und entzog ihm ihre Hand. „‚Erspielen‘ will ich mir den Flügel keinenfalls, wer weiß denn, was für eine Leistung Du unter der ‚Herzenssache‘ verstehst! Aber ich werde meine Noten holen, weil mir das ‚Sichnöthigenlassen‘ verhaßt ist.“

Sie wollte sich entfernen.

„Wozu denn Musikalien? Spiele doch eine Deiner ‚Compositionen‘!“ sagte Flora, ein sardonisches Lächeln halb verbeißend.

„Ich kann auch meine eigenen Arbeiten nicht auswendig,“ antwortete Käthe hinausgehend.

Sie kam sehr rasch mit einem Notenhefte in der Hand zurück. Während sie sich auf den Clavierstuhl setzte, den ihr Fräulein von Giese bereitwillig einräumte, nahm Flora das Heft vom Notenpulte. „Von wem?“ fragte sie, das Titelblatt aufschlagend.

„Nun, hast Du nicht eine Composition von mir zu hören gewünscht?“

„Allerdings, aber Du hast Dich vergriffen – das Tonstück da ist ja gedruckt –“

„Ganz recht. Es ist gedruckt.“

„Mein Gott, wie kommt denn das?“ fuhr Flora so rasch, so naiv erstaunt und betreten heraus, daß sie auf einen Augenblick ihre selbstbewußte Haltung einbüßte.

„Ja, Flörchen, wie kommt es denn, daß Deine Sachen gedruckt werden?“ fragte Käthe scherzend, mit Humor zurück und legte ihre schönen, schlankgebauten Hände auf die Tasten. „Ich will Dir sagen, wie ich zu der Ehre gekommen bin,“ setzte sie schnell und begütigend hinzu – Flora hatte offenbar ihre Antwort sehr übel genommen; sie richtete sich beleidigt empor und sah mit hochmüthigem Blicke auf die junge Schwester herab. „Meine Lehrer haben die ‚Phantasie‘ heimlich drucken lassen, um mir eine Geburtstagsfreude zu machen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_127.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)