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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

„Ein sehr empfindliches sogar, mein Schatz; es sagt mir eben, daß es ein unverantwortlicher Leichtsinn gewesen ist, mich selbst so hinzuwerfen. Du wirst bibelfest genug sein, um zu wissen, daß Jeder dafür verantwortlich gemacht wird, wie er sein Pfund verwerthet. Sieh mich an, kannst Du Dir wirklich denken, ich würde zeitlebens als simple Frau Doctorin am Herde stehen und Gemüse kochen? Und für wen?“ Sie neigte den Kopf bezeichnend nach dem Salon, aus welchem jetzt lebhaftes Stimmengeräusch herüberscholl; mit dem Eintritte des alten Obersten von Giese war Leben und Bewegung in die Gesellschaft gekommen, nur Doctor Bruck saß allein am Theetische und las in einer Zeitung; er war scheinbar sehr vertieft und hatte kaum aufgesehen, als Henriette an seine Seite zurückgekehrt war.

„Siehst Du, daß auch nur einer der Herren mit ihm verkehrt?“ fragte Flora mit unterdrückter Stimme. „Er ist geächtet, und mit allem Recht. Er hat mich und die Welt betrogen; sein ihm vorausgegangener brillanter Ruf ist eitel Reclame gewesen.“

Sie brach ab und zog sich rasch in ihr Zimmer zurück, jedenfalls, um dem alten redseligen Obersten aus dem Wege zu gehen, der jetzt in Begleitung seiner Tochter und des Commerzienrathes in das Musikzimmer trat und sich Käthe vorstellen ließ. Auf seine Bitte setzte sich das junge Mädchen noch einmal an das Instrument und spielte. Wunderlich! Mit was für Augen ihr Schwager und Vormund nach ihr hinsah, sobald sie den Blick vom Notenblatte hob, so feurig, so unerklärlich, durchaus nicht so brüderlich vertraut, wie er ihr als Kind die Bonbondüten und gestern noch ein schönes Bouquet aus der Stadt mitgebracht hatte. Sie ließ ihm stets willig die Hand, wenn er sie im Gespräche erfaßte, und litt es, daß er ihr liebkosend die Locken aus der Stirn strich; er that das so harmlos, wie es ihr Vater einst gethan, und jetzt, als sie die Hände von den Tasten sinken ließ, trat er unter dem rauschenden Beifall der Anderen rasch auf sie zu und legte seinen Arm um ihre Schultern.

„Käthe, was ist aus Dir geworden!“ flüsterte er, sich über sie herabbeugend. „Wie erinnerst Du mich an Clotilde, Deine selige Schwester! Aber Du bist schöner, ungleich begabter.“

Sie griff mit der Linken nach dem Arme, um ihn abzustreifen, aber Moritz erfaßte nun auch die Hand und hielt sie mit festem Drucke, als sei es für’s ganze Leben. Für die Anwesenden war das ein hübsches Bild, eine selbstverständliche, harmlose Gruppe. Der Vormund umarmte stolz und hingerissen seine Mündel, das ihm anvertraute Kind seines Schwiegervaters. Nur Henriettens bleiches Gesicht war sehr roth geworden; sie lächelte so eigenthümlich. Doctor Bruck neben ihr sah nach seiner Uhr, dann reichte er Henriette verstohlen die Hand und benutzte die allgemeine Aufregung, um sich unbemerkt zu entfernen.


(Fortsetzung folgt.)




Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Das rothe Quartal.


(März–Mai 1871.)


Von Johannes Scherr.


4. Wer waren sie? Was wollten sie?


Derweil das souveräne Volk am Abend vom 28. März in seine Tavernen schlampampen ging, setzten sich die neuen Souveräne des Souveräns, Messieurs les Citoyens de la Commune, im Festsaale des Stadthauses zum Installirungsbankett. Dabei ging es aber nicht eben heiter her. Denn schon in der ersten Stunde ihres Bestehens erwies sich die Kommune als ein keineswegs kompaktes Ding, und die Gegensätze, welche sie in sich barg, barsten sofort aus. Das konnte gar nicht anders sein, maßen die etlichen sechszig Mitglieder der neuen Regierung von sehr verschiedenen Anschauungen ausgingen und demnach auch verschiedenen Zielen zustrebten. Schon heute brachte es eine bedenkliche Dissonanz in die Festharmonie, daß wenigstens einer der Gewählten, Herr Tirard vom 2. Arrondissement, mit Betonung erklärte, er betrachte sich nur als Mitglied einer Gemeindevertretung von Paris. Diese sei nach seiner Auffassung durchaus nur eine municipale, keine politische Behörde, habe daher auf städtische Angelegenheiten sich zu beschränken und ganz und gar keine Berechtigung, Politik zu treiben.

Man kann sich unschwer vorstellen, wie gerade und scharf diese Anschauung solchen Kommunarden gegen den Strich ging, welche – und sie waren die große Mehrheit – in der Kommune eine politische und zwar hochgradig revolutionäre Maschine erblickten. Sicherlich war die Ansicht Tirards auch die von mehreren seiner Kollegen, aber nur er hatte den vollen Muth seiner Ueberzeugung, indem er, sowie er wahrgenommen, wie wenig Anklang seine Meinung gefunden, sofort das kaum angetretene Mandat niederlegte.

Dieses Vorgehen Tirards zeigte den Ultras, daß sie immerhin noch mit einem gemäßigten, solid bürgerlichen Elemente in Paris zu rechnen haben würden und nicht so ohne weiteres mit den Dogmen eines Blanqui, mit internationalen Phantastereien, socialistischen Schwarbeleien und kommunistischen Räubereien hervortreten dürften.

Das machte die Bankettirer im Hôtel de Ville nachdenklich und das Bankett selber kurz und düster. Beim Hinweggehen soll einer der Festgenossen die Aeußerung gethan haben: „Mit Wein hat die Kommune angehoben; mit Blut wird sie enden.“

Diese Weissagung zu thun ist eben keine große Kunst gewesen. Man brauchte nur die Mehrzahl der Gesellen anzusehen, aus welchen die Kommune zusammensetzt war.

Gewiß müßte man es nicht nur als ungerecht, sondern auch geradezu als stupid bezeichnen, so man leugnen wollte, daß auch Ehrenmänner in der Kommune saßen. Ja, Männer von tadelloser Lebensführung, von nicht gemeinem Wissen und von selbstloser Begeisterung saßen darin. Es gab da Gelehrte, Geschäftsleute, Arbeiter, welche ohne Frage zu den besten Bürgern ihres Landes gehörten. So z. B. der sechsundsiebzigjährige Alterspräsident der Kommune, der Ingenieur Beslay, der Publicist Vermorel, der Jurist Protot, der Arzt Rastoul, der Färbergesell V. Clément, nicht zu verwechseln mit dem wüthenden Fanatiker J. B. Clément.

Aber die Mehrzahl, die Mehrzahl! Sie war der Auswurf der Weltkloake Paris. Winkeladvokaten, Winkelliteraten, Winkelärzte, bankerotte Krämer, weggejagte Kommis, verstickte Studenten, verbummelte Arbeiter, ein Rattenkönig von Unwissenheit, Faulheit, Neid, Dünkel, Größenwahn, Vermessenheit und Begehrlichkeit, ein Katilinariat, wie es im Sallustius steht – das waren die Leute, welchen die Hauptstadt Frankreichs ihr Schicksal anvertraut hatte.

Ein gewiß unverdächtiger und kompetenter Zeuge, der schon mehrfach erwähnte brave Viktor Clément, hat dieser Kommune-Sippschaft ein glühendes Brandmal aufgedrückt. In die Kommune gewählt und zum Maire des 18. Arrondissements ernannt, besuchte der heißrepublikanisch und hochsocialdemokratisch gesinnte, aber ehrliche Färbergesell seinen Meister Hallu im Faubourg Vaugirard. „Nun was halten Sie von der Kommune?“ fragte der Meister. „Was ich davon halte?“ gab Clément zur Antwort. „Ich fürchte, sie ist eine Rotte von Schurken, eine Bande von Jakobinern, die nichts Gutes zustandebringen werden, und ich wollte, ich stände erst wieder in meinen Holzschuhen und an meiner Bütte.“ Dieser wirkliche und wahrhafte, nicht bloß gemalte oder geschriebene Arbeiter, wie deren so viele herumlaufen, ist wohl als der Mensch zu bezeichnen, welcher während des rothen Quartals in Paris das meiste Gute gethan und das meiste Böse verhütet hat.[1]

Zu den gefährlichsten Kommunarden gehörten Pyat, Varlin und Vallès, zu den bösartigsten Assi, Urbain, Billioray und

  1. Cléments Persönlichkeit, Auftreten und Handlungen haben nachmals sogar auf das versailler Kriegsgericht einen so günstigen Eindruck gemacht, daß es dieses Mitglied der Kommune mit der fast beispiellos gelinden Strafe von nur drei Monaten Haft belegte.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_130.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2019)