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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Regère, zu den verrücktesten Lullier und Allix. Der verbissenste, gefrorenste Fanatiker in der ganzen Bande war ohne Zweifel Delescluze. In dem Schreiner Pindy, welchen seine Kollegen zum Gouverneur des Stadthauses machten, verband sich mit dem röthesten Roth ein brutaler Humor. Er war der Mann, lachend zu sagen: „Geht die Sache schief, so spreng’ ich das Stadthaus mitsammt der Kommune in die Luft,“ und er war auch der Mann, zu thun, wie er sagte. Zwei Narren in Folio waren der verlotterte Schulmeister Lefrançais und der vergeckte Mediciner Babick: sie vertraten mitsammen den höchsten und tiefsten Blödsinn der Kommunisterei. Aber die ruchlosesten, verhärtetsten, kältestgrausamen Mitglieder der Kommune sind ohne Frage der verbummelte Buchhalter Theophil Ferré und der verstickte Student Raoul Rigault gewesen. Ferré, der kleine, dürre, knirpsige Kommis, und der aufgeschwemmte, zierbengelige Kneipenläufer Rigault waren von der Revolutionslegende so recht besessen. Der eine hatte sich den Hébert, der andere den Marat zum Muster und Vorbild genommen. Im Sprechen äfften sie den Hyperbelbombast von Danton nach. Insbesondere that dies Rigault, dessen namenlose Eitelkeit sich darin gefiel, mit seinem Atheismus und Maratismus staatzumachen und zu renommiren. „Wenn ich für vierundzwanzig Stunden Polizeipräfekt wäre“ – pflegte er zu sagen – „so würde es mein erstes Geschäft sein, einen Verhaftsbefehl gegen den Herrgott zu erlassen, und wenn er sich nicht finden ließe, würde ich ihn zum Tode verurtheilen und in effigie hinrichten lassen.“ Ein andermal ließ er sich vernehmen: „Ich habe eine wichtige Erfindung gemacht und will, wo möglich, ein Patent darauf nehmen. Meine Erfindung beseitigt die Guillotine. Diese ist zwar ganz ehrenwerth, aber sie ist, wie ja schon der selige Bürger Carrier meinte, zu langsam. Man muß veraltete Einrichtungen dem Fortschritt zu opfern und aus der Wissenschaft Vortheil zu ziehen wissen. Die Guillotine hat ihre Zeit gehabt. Das Ding ist veraltet. Ich habe eine elektrische Batterie konstruirt. Die arbeitet sicher, sauber, schnell und geräuschlos. Sie kann, wenn es euch beliebt, 500 Reaktionäre mit einem Schlag vernichten.“ Ein frommer Mann würde es eine Ironie Satans nennen, daß dieser Mensch wirklich seinen Wunsch, Herr in der Polizeipräfektur zu werden, erfüllt sah. Ich für meinen Theil sage nur, daß in Frankreich nichts unmöglich. Es ist auch nicht verwunderlich, daß die Jakobiner von 1871, sobald sie zur Macht gelangten, als die ärgsten Tyrannen auftraten: sie waren ja die Affen der Jakobiner von 1793. Ganz in der Ordnung also, daß diese „Freiheitshelden“ mit höchster Erbitterung auch die Pressefreiheit verfolgten. So namentlich Rigault. Als er eines Tages einen Journalisten hatte verhaften lassen, ging ein Kollege desselben zu ihm, um die Freilassung des Gefangenen zu erbitten. Im Verlaufe des Gespräches sagte der Bittsteller:

„Man scheint dermalen die Freiheit der Presse gering zu achten.“

Worauf Rigault: „Freiheit der Presse? Kenne das nicht.“

„Sie wollen nichts davon wissen? Aber Sie haben ja dieselbe früher täglich gefordert.“

„Ja, das war eben zur Zeit Badinguets (Napoleons III.). Ueberdies hab’ ich für meine Person zum voraus erklärt, daß wir nun und nimmer eine gegnerische Presse dulden würden, wenn wir einmal die Stärkeren wären. Wir sind es jetzt, und folglich dulden wir keine oppositionelle Presse.“

Es fehlte nur noch, daß dieser Marat von 1871 sagte: „La presse c’est moi.“ Das wäre eine zeit- und ortsgemäße Variation des alten Despotenwortes von Ludwig dem Vierzehnten gewesen.

Wenn bei Burschen wie Ferré und Rigault der Fanatiker nur eine leichte Maskirung des Bösewichtes war, so stellte sich dagegen in der Person von Gustav Flourens der Typus des Erzphantasten dar. Sohn eines bekannten Gelehrten und selber wissenschaftlich durchgebildet, hatte Flourens seinem Wissen nie den geringsten Einfluß auf die Phantasmen gestattet, worin er von jugendauf lebte und webte. Gut und großmüthig von Natur, wie vor ihm der ihm geistesverwandte Armand Barbès gewesen, war der junge Mann ebenfalls ein Opfer des Revolutionsmythus geworden, so sehr, daß sich in seinem Gehirne die Idee fixirte, man müßte Revolution machen um der Revolution willen. Zu fragen, was denn am Ende aller Enden aus dieser Revolution in Permanenz werden sollte, fiel ihm natürlich nicht ein. Er wäre ja sonst nicht gewesen, was er war, ein richtiger Wolkenkukuksheimer, ein enthusiastischer Bürger von Utopia.

Sieht man von diesen und den übrigen schon früher namhaft gemachten Ausnahmen ab, bei welchen der Wahnwitz wenigstens nur auf irregeleiteter Begeisterung und chaotischer Begriffeverwirrung, nicht aber auf den selbstsüchtigen Berechnungen der Eitelkeit, der Ehrsucht, der Gaunerei und Schurkerei beruhte, so ist man vollständig berechtigt, die anderen Mitglieder der Kommune als traurige Produkte der rohmaterialistischen Anschauungs- und Denkweise unserer Zeit zu bezeichnen. Auch diese Narren und Verbrecher sind echte Priester der Mammonsreligion des Jahrhunderts, nur in anderer Form als unsere Geldkönige und Börsenfürsten, welche den Schweiß und das Mark der Völker in ihren Kassen ansammeln und durch ihre übermüthige Prozerei den Neid und Groll der vom Bankette des Lebens Ausgeschlossenen herausfordern. Als einer dieser Könige, James Rothschild, in Paris vor etlichen Jahren starb, hinterließ er seinen Söhnen 1600 Millionen oder mehr. Und zu denken, daß zu solchem ungeheuerlichen, man möchte sagen sündhaften Reichthum einer Familie jene „Blutgelder“ den Grund gelegt haben, wofür die hessenkasseler „Landesväter“ Karl der Erste, Wilhelm der Achte, Friedrich der Zweite und Wilhelm der Neunte ihre armen „Landeskinder“ zu Tausenden und wieder Tausenden an verschiedene kriegführende Potentaten verschacherten, so recht en gros der letztgenannte an die Engländer während des Unabhängigkeitskampfes der Amerikaner! Dieser Familienschatz, an welchem mehr Flüche hafteten als an dem Nibelungenhort, ist dann zur napoleonischen Zeit dem alten Amschel, dem Begründer der Dynastie Rothschild, zum „aufheben“ gegeben worden und der alte Amschel wußte damit so geschickt zu jobbern, daß schon sein Sohn der Großmeister der europäischen Jobberei, der eigentliche Kohen hagadol (Hohepriester) im Tempel Mammonis war.

Auf unserer Zeit liegt das grausame Verhängniß, die gesellschaftlichen Gegensätze immer schärfer zuzuspitzen, den Abgrund zwischen Reich und Arm, zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig immer breiter und tiefer zu machen. Schon einen Blick in diesen Abgrund thut, wer die pariser Kommunewirthschaft von 1871 betrachtet. Seht immerhin hinunter, ihr, die ihr zu sehen, zu fühlen und zu denken wagt. Aus der finsteren Tiefe starrt euch das rothe Drachenhaupt der socialen Frage entgegen, nicht wahr? Ihr kehrt euch schaudernd ab und eure zagende Seele überfröstelt die Angst, daß eines Tages der Drache dem Abgrund entsteigen und Ströme von Wuth und Glut und Blut über die Erde hinhauchen könnte. Ja, euch und alle nicht Gedankenlose schauert die Ahnung an vom Kommen der großen Wehestunde, wann die empörte Arbeit, eine rachewüthige Krimhild, dem grimmen Hagen Kapital den Goldhelm mitsammt dem Haupte herunterschlagen und die sociale Götterdämmerung alle ihre Schrecken loslassen wird ….

Am 29. März erfolgte die Konstituirung der Kommune. Sie bestellte einen Vorstand, welcher wöchentlich wechseln sollte, und den ersten Wochenvorstand bildeten die Bürger Lefrançais als Vorsitzender, Bergeret und Duval als Beisitzer, Rigault und Ferré als Schriftführer. Dann theilte sich die Kommune in zehn Kommissionen, welche die verschiedenen Zweige der Civil- und Militärverwaltung nach Art der früheren Ministerien besorgen sollten. Es gab z. B. eine Finanzkommission, in welcher der Student Jourde, ein geborenes Finanztalent, die Hauptrolle spielte; eine Kriegskommission, wo sich die Bürger Eudes, Bergeret, Flourens, Cluseret, Rossel, Delescluze an der ersten Stelle ablösten; eine Sicherheitskommission, welche die Funktionen der bisherigen Polizeipräfektur übernahm und worin die Bürger Assi, Ferré und Rigault herrschten. Der letztere hatte sich übrigens schon am 20. März in der Polizeipräfektur installirt und der Gewalten des verjagten Polizeipräfekten sich bemächtigt. Später wärmte man für ihn das Amt und den Titel eines „Procureur de la Commune“ von 1792 wieder auf. Göttin der Gerechtigkeit, du hast dir schon allerhand Priester gefallen lassen müssen, aber ein solches Exemplar wie den Bürger Rigault wohl selten. Das war so ein Wächter der öffentlichen Sicherheit, wie der Bürger Jules Vallès, welcher das Dictum von sich gab, Homer sei nur „ein alter Schafskopf“ gewesen, eine Art von Unterrichtsminister war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_131.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)