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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Die Rede, womit der alte Beslay die erste Sitzung der Kommune schloß und worin er die Losung ausgab: „Friede und Arbeit!“ schien eine Gewähr zu bieten, daß Verstand und Mäßigung in der Versammlung obenauf seien. Aber es ging hier, wie es bei derartigen Vorkommnissen immer und überall zu gehen pflegt. Je rascher die Dinge in Fluß und Schuß kamen, desto lauter und gewaltthätiger machten sich die Leidenschaften geltend und drängten die verständige Erwägung mehr und mehr beiseite. Bald mußten die Besonnenen und Gemäßigten erkennen, daß sie gegenüber den Ueberspannten und Wüthenden in machtloser Minderheit sich befänden, und so blieb von ihnen einer nach dem andern aus den Sitzungen der Kommune weg.

Auch die Ultras, welche jedoch die herrschende Mehrheit ausmachten, stimmten nicht einmal im Princip überein. Sie zerfielen in Jakobiner und Kommunisten. Die einen bekannten sich zum Sankt Jakob von 1793 und wollten eine Republik à la Saint-Just und Robespierre, jedoch mit Beseitigung der Centralisation, was doch ein Widerspruch in sich selbst war; die anderen ließen die Republik nur gelten als die Basis, auf welcher sie nach dem Bauplan der Internationale den kommunistischen Proletarierstaat aufrichten wollten. Die beiden Fraktionen hielten sich bis zuletzt in der Kommune die Wage, und so ist es gekommen, daß auch dieser kreißende Berg nur eine Maus gebar, d. h. daß die Kommune ein positiv-revolutionäres Resultat gar nicht erzielte, daß sie sich politisch, social und volkswirthschaftlich als durchaus unfruchtbar erwies, daß sie nur alles, was sie erreichen konnte, zu zerstören, lediglich aber nichts, gar nichts zu schaffen vermochte. Tiefbeschämend für die Menschheit ist es, daß einer Rotte von so mittelmäßigen Köpfen, von so ordinären Gesellen so viel Unheil anzurichten gestattet war. Was man auch thun mag, das Phänomen des rothen Quartals von 1871 zu erklären, immer ist und bleibt die Möglichkeit des Phänomens eins der traurigsten Armuthszeugnisse, welche das Menschengeschlecht sich ausgestellt hat.

Die Kommune regierte ohne Programm, wenn man nicht etwa für ein solches gelten lassen will ein an das „Volk von Frankreich“ erst am 19. April erlassenes Manifest, ein Aktenstück, womit der ganzen Geschichte des Landes brutal in’s Gesicht geschlagen wurde. Das Manifest verlangte eine bis zum Aeußersten gehende Decentralisation. Die französische Republik, wollten die Herren Kommunarden, sollte bestehen aus so vielen Kommunen, als Frankreich Ortschaften besäße, und diese Gemeindefreiheit sollte nur beschränkt sein durch die Gleichberechtigung der Gemeinden, welche mittels Vertrags zu einer staatlichen Einheit zusammentreten würden.

Etwas Unfranzösischeres als diese bis zum äußersten Extrem, geradezu bis zur Pulverisirung getriebene Zerstückelung des Staatskörpers ließe sich kaum aussinnen. Jeder Wissende kennt die mancherlei und großen Schäden, welche für das französische Volk aus der maßlosen Centralisation erwachsen sind. Aber jeder Wissende weiß auch, daß eine solche Centralisation dem Gallierthum im Blute lag und liegt und daß demzufolge die gesammte geschichtliche Entwickelung Frankreichs folgerichtig darauf hingearbeitet hat. Das Gute und Vortheilhafte, welches der Centralisation doch immerhin auch zu eigen, beibehalten, das Schlechte und Schädliche derselben allmälig ausscheiden das wäre patriotisch und staatsmännisch gehandelt. Aber von heute auf morgen die Genesis des Staates verneinen, den ganzen Staatsorganismus auf den Kopf stellen und dem Franzosenthum dekretiren wollen, aus seiner Haut zu fahren, das war offenbarer Wahnsinn. Der einzige originelle Anlauf also, welchen die Kommune nahm, mußte sie von rechtswegen ins Narrenhaus führen.

Von der Gelegenheitsgesetzgebung der Herren vom Stadthause zu reden, ist nicht der Mühe werth. Dergleichen Akte, wie z. B. das zu Gunsten der Schuldner erlassene Wechsel- und Miethegesetz, gehörten zu den Nothbehelfen einer Regierung, die von der Hand in den Mund lebte. Um sich einen sittlichen Firniß zu geben, verbot die Kommune alle Arten von Hazardspielen und in einem Anfall von kommunistischen, d. h. die persönliche Freiheit und Selbstbestimmung für nichts achtendem Weltbeglückungseifer verbot sie den Bäckern, bei nachtschlafender Weile Teig zu kneten und Brot zu backen. Der „Delegirte beim Unterrichtswesen“, Bürger Vaillant, auf deutschen Hochschulen gebildet, gab sich viele Mühe, Schulorganisationspläne, die an und für sich gar nicht übel waren, zu entwerfen, die aber natürlich Papier blieben. Auf die Anregung von Pyat wird das vom 3. April datirte Dekret der Kommune zurückgeführt, welches die Trennung der Kirche vom Staat aussprach, die Staatsausgaben für den Kultus unterdrückte und die sämmtlichen beweglichen und unbeweglichen Güter der Klöster und Kongregationen konfiscirte und als Nationaleigenthum erklärte. Dieses Gesetz gelangte, soweit die Zeit reichte, zur Ausführung.

Die Finanzen der Kommune wurden vom Bürger Jourde ebenso geschickt als gewissenhaft verwaltet, wie denn dieser junge Mann sicherlich auch durch persönliche Ehrenhaftigkeit unter seinen Kollegen hervorragte. Die tägliche Ausgabe betrug etwa 800,000 Franken. Gedeckt wurde dieser Bedarf durch die Accise, die Tabaksregie, die Stempelgebühren, die Zwangsanleihen bei den Eisenbahngesellschaften und bei der Bank von Frankreich. Beraubt wurde diese nicht, weil sich namentlich Jourde und Beslay dem Raube energisch widersetzten, dagegen tüchtig angezapft. Es darf gewiß als ein finanzpolitisches Kuriosum ohnegleichen bezeichnet werden, daß die Bank von Frankreich – mit Vorwissen und Beistimmung von Monsieur Thiers – in den letzten Tagen der Kommune förmlich den Kassirer derselben machte und ihr Tag für Tag 800,000 Fr. ausbezahlte. Die Bezüge der Beamten waren übrigens sehr mäßige. Am 2. April wurde dekretirt, daß die höchste Jahresbesoldung eines Gemeindebeamten auf 6000 Fr. fixirt sein solle. Die Mitglieder der Kommune bezogen ein Taggeld von 15 Fr., weiter nichts. Ein Obergeneral erhielt 16 Fr. Taggeld, ein Nationalgardist 1½ Fr. und die Verköstigung. Daß die Kommunarden in sybaritischen Bakchanalien und babylonischen Orgien geschwelgt hätten, ist Verleumdung. Jourde hat nachmals vor dem Kriegsgerichte in Versailles die Gesammtausgabe der Kommune auf 53 Millionen angeschlagen, und es war ihm auf’s Wort zu glauben.

Wie das rothe Quartal erst verständlich wird, wenn man die während des zweiten Empire aufgekommene, von den Tuilerien beschützte und von der Börse gehätschelte, so recht aus „boue de Paris“ geknetete Literatur kennt, diese Literatur der bronzestirnigen Gemeinheit, der brutalen Selbstsucht und des triumphirenden Lasters, aus welcher ja die Kommunarden wohl den Schluß ziehen durften, eine solche Gesellschaft sei nur der Vernichtung werth, – so muß man die Kommune-Literatur, diese zahlreich wie Brennnesseln und Giftpilze aufgeschossenen Journale durchmustern, um so recht zu erfahren, welche Hefe wilder Instinkte und wüthender Leidenschaften damals in Paris brodelte und gohr. Unduldsam und gewaltthätig, wie die rothen Komödianten von 1793 gewesen, waren auch durchweg ihre Affen von 1871. Nur ihre eigenen Stimmen wollten sie hören, und so wurde jede abweichende Meinung und Meinungsäußerung geächtet. Diese Freiheitsheuchler waren fanatische Pfaffen der Tyrannei. Was nicht für sie war, sollte gar nicht sein. Die Presse, welche nicht aus der kommunistischen Tonart schrieb, wurde gewaltsam unterdrückt. Nicht etwa nur die monarchischen Blätter mußten verstummen, sondern auch die republikanischen. Nicht etwa nur der bonapartistische „Gaulois“ oder die orleanistische „Revue des deux mondes“, sondern ebenso der republikanische „Siècle“. An der Stelle der weggefegten anständigen Journalistik machte sich eine wirkliche und wahrhafte Canaille-Presse schamlos breit. Das lumpigste literarische Zigeunerthum von Paris kam aus seinen Schlupfwinkeln hervor und tanzte auf den Straßen seine journalistische Carmagnole. Auch hierin, wie in anderem, um nicht zu sagen in allem, wurden die wüstesten Erinnerungen der ersten Revolution wieder aufgewärmt. Da konnte es nicht fehlen, daß auch Hébert’s blut- und schmutztriefendes Journal „Le père Duchêne“ wieder erstand. Und dieses von Vermersch redigirte Blatt verkaufte täglich 70,000 Exemplare und brachte seinen Schmierfinken Tag für Tag 1000 Franken Nettoprofit. Wollt ihr mit eigenen Augen sehen, was für obscöne und mordlustige Sprünge die Menschenbestie in dem Paris des rothen Quartals machte, so nehmt diese oder jede Nummer vom „Vater Duchêne“ zur Hand. Aber zieht zuvor, ich bitt’ euch, Handschuhe an und verbindet euch die Nasen!




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_132.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)