Seite:Die Gartenlaube (1876) 138.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

eine prächtige rosenrothe Kirschsuppe. Martinus hatte etwas Solideres erwartet, begnügte sich indeß mit dem „Chriesisüpple“ und ritt den andern Tag weiter nach Lenzburg. Auch dieses setzte dem heiligen Vater das Edelste vor, was es hatte, nämlich einen von jenen scharfduftenden grünen Ziegenkäsen, die man ihrer Härte wegen nur geschabt essen kann, und die deshalb „Schabziegerstöckle“ heißen. „Wieder ein Fasttag!“ seufzte Martinus und reiste am nächsten Morgen weiter nach Aarau. Hier gedachte man den Luxus der beiden anderen Orte zu überbieten, indem man dem Oberhaupte der Christenheit und seinen Cardinälen in einer mächtigen Schüssel das Leibgericht der Aarauer, schneeweißen Mehlbrei, auftrug. „Wunderbar, wie streng die ganze Gegend mein Fastenmandat hält!“ klagte der Magen des frommen Herrn. In Olten, wo die betrübte Gesellschaft am nächsten Mittag Halt machte, meinte man dem hohen Gaste nichts Schöneres bieten zu können, als eine Froschsuppe. „Das sind ja Christen von exemplarischem Wandel!“ riefen die hungernden Kirchenfürsten. Indeß lag Aarburg nahe, wo man gediegenere Verköstigung zu finden hoffte. Aber auch hier sah man sich getäuscht. Dort giebt es in Hecken und Hagen einen reichen Segen fetter Schnecken, welche die Kapuziner zu schätzen wissen, und so bereitete man dem Papste und seinem Gefolge ein paar tüchtige Schüsseln von dieser Delicatesse. Fünf Fastenmahlzeiten nacheinander war selbst für einen sehr strammen Magen zu viel, und verdrießlich über eine Welt, die das Christenthum auf die Spitze trieb, bestieg Martin sein Maulthier und ritt weiter gen Zofingen. Kaum war er hier abgestiegen, so erschien die Schule mit Kreuz und Fahne und begrüßte ihn mit lateinischen Versen. Aergerlich wollte er sie eben abweisen – da senkte sich die Fahne; die Reihe öffnete sich, und heran schritt die Ehrengabe der Stadt, ein mit Fasanen und Kapaunen behangener, blumenbekränzter Mastochse. Gerührt stiftete Martin auf der Stelle ein Schülerstipendium, das noch heute vertheilt wird. Die Brugger aber erfreuen sich seitdem des Spitznamens „Chriesisüppler“, die Lenzburger heißen „Schabziegerstöckli“, die Aarauer „Pappehauer“, die Oltener „Frösche“, die Aarburger „Schnecken“, während den Zofingern der Ehrentitel „Ochsen“ geblieben ist.

In Altbaiern ist nicht viel Spott gewachsen. Ein Sprüchwort sagt: „Schwäbisch ist gäbisch; baierisch ist gar nichts.“ Von den Straubingern heißt es: „Sie lassen fünf gerade sein.“ Als Hans Sachs dichtete, war Schrobenhausen, vielleicht seines Namens wegen (schrauben, verschroben), etwas anrüchig. Hirschau in der Oberpfalz gehört zu den Orten, die mit vielen Lalenbürgereien geneckt werden, und ebenso ist Weilheim im Oberlande übel weggekommen.

In Franken ist die Neckerei, von der hier gesprochen wird, wieder reichlich gediehen. Es hat „Herrgottsbader“ in den Monheimern, die ein Crucifix, das bei einer Procession bestäubt worden, in einem Teiche wuschen, „Hummeln“ in den Mistelgauern, die mit der bereits wiederholt erwähnten Geschichte von dem Boten verspottet werden, der in der Apotheke gutes Wetter holen sollte, „Herrgottsschwärzer“ in den Nürnbergern, die ein massives Christusbild an der Sebalduskirche schwarz angestrichen haben sollen, damit es die Raubsucht der Soldaten nicht anlocke. „Die Nürnberger henken keinen, sie hätten ihn denn,“ sagt ein bekannter weiser Spruch. Daß Heideck eine Klaue im Stadtwappen führt, erklärt der Volkswitz in den Nachbarorten damit, daß die Heidecker einmal ein Kuhhorn gefunden und für eine Klaue vom Vogel Greif gehalten hätten. Von den Karlstädtern heißt es, sie hätten in Kriegszeiten einen Schatz in den Main versenkt und, um ihn wiederfinden zu können, über der Stelle eine Kerbe in den Kahn geschnitten. Die Münchberger und Weißenstädter im Fichtelgebirge sind Kumpane der sieben Schwabenhelden; jene ziehen gegen einen Pudel, diese gegen einen Backtrog zu Felde.

In Franken gab es endlich Städte, die nicht nur geneckt wurden, sondern auch ihrerseits neckten. So hatte Kalten-Westheim an der Rhön seinen Weiberwetzstein, an dem Niemand wetzen durfte. That dies Jemand aus Unkunde des Brauches oder Muthwillen, so kamen die Frauen herzu, tauchten ihn in Wasser und ließen ihn eine Geldbuße zahlen. So mußten ferner die von Würzburg her in Karlstadt einwandernden Handwerksburschen die Frage beantworten: „Was machen die Heiligen auf der Würzburger Mainbrücke?“ Die Antwort hatte zu lauten: „Ein Dutzend,“ und wer das nicht wußte, wurde zu näherer Erkundigung nach Würzburg zurückgeschickt. Aehnlich in Schweinfurt, dessen Wahrzeichen, ein Adler, beim Volke die Eule hieß. „Was macht die Eule?“ wurden die Handwerksburschen gefragt, und die Antwort mußte sein: „Nichts.“

Hessen hat seine Schwarzenborner und seine Griesheimer, „von denen sich ein Buch schreiben ließe.“ Die Thüringer hießen in alter Zeit „Heringsnasen“, und ein lateinisches Gedicht sagte von ihnen, daß sie „einen gesalzenen Hering mit Dank annehmen und sich aus dem Kopfe allein fünf Gerichte herzustellen verstünden“. Im Nassau’schen hatte früher das Städtchen Hefftrich einen Anflug lalenbürgerischen Leumunds. Im Meißnischen gilt dies von Mutzschen und, wie Wachsmuth behauptet, von Adorf. Sonst hat hier Schilda alle Neckerei auf sich gelenkt und absorbirt. Die Schlesier führten ehemals wie viele andere Deutsche den Namen der „Eselsfresser“. Ihr Narrenort ist das weitberühmte Polkwitz, von dem eine Menge Gimpeleien erzählt werden.

Die deutsche Bevölkerung Oesterreichs hat im Böhmerwalde verschiedene Orte mit Spitznamen, und im kärnthenischen Lesachthale wimmelt es förmlich von solchen. Die Wiener werden als „Flaschelträger“, die Salzburger als „Stierwäscher“ geneckt. Letztere wollten den schwarzen Stier ihrer bunten Stadtheerde weiß waschen und verwendeten darauf etliche Centner Seife.

Auch der Norden Deutschlands ist reich an Spitznamen der hier besprochenen Art und dazu gehörigen Späßen und Schnurren. In Ostpreußen gelten die Domnauer für einfältig, und die Schippenbeiler heißen „Erbsenschmecker“.

Ganz außerordentlich reich an Namen, die mehr oder minder Schimpf einschlossen, war ehemals Pommern. Hier finden wir unter Anderen die „Stintköppe“ von Wollin, die „Plunderköppe“ von Cammin, die „Pomuffelsköppe“ von Gollnow. Die Mönchsguter wurden von den Putbusern (nach ihren großen Messern) „Pook“, letztere aber von ersteren (nach ihren Streitkolben) „Kolber“ genannt. Die Cösliner heißen „Sacksöfer“, weil sie einen katholischen Barbier, der mit einer quakenden Ente den lutherischen Gottesdienst gestört hatte, in einen Sack steckten und ersäuften, die Anclamer „Swinetröcker,“ weil sie, als der Herzog Schwäne von ihnen verlangte, Schweine schickten. Die Stralsunder endlich sollten, wie die Necksucht ihrer Nachbarn beanspruchte, auf den Namen „Hans Katte“ hören, da sie sich einmal gegen eine Katze in ihrem Kirchthurm, die sie für einen Fuchs gehalten, in die Rüstung geworfen haben sollten.

In Mecklenburg giebt es nur einen Ort, wo Schildbürger wohnen sollen, Teterow, dafür aber hat der fopplustige Kobold demselben einen ganzen Sack voll Thorheiten in seine Chronik geschüttet.

Hannover hat wieder eine ziemliche Menge von Städtchen und Dörfern, denen wunderliche Dinge nachgesagt werden. Da haben wir zunächst das vielberufene Dorf Jühnde bei Göttingen, von dessen Bauern die Umgegend wohl ein Dutzend Gimpelstreiche zu erzählen weiß. Nicht weit davon liegt Dransfeld, dessen Bewohner einst die berühmte Jagd auf einen Esel unternahmen, der ihnen ein großer Hase zu sein schien. Sie wurden dabei von den Göttingern überfallen, die den Esel fingen und als Hasen verspeisten. Die Göttinger bekamen davon den Necknamen „Eselsfresser“, die Dransfelder aber heißen seitdem „Hasenköppe“, und ihr Bier wurde „Hasenmilch“ getauft. Ferner haben die Schuhmacherstadt Peina und die Dörfer Brämele und Bardewyk ihre Nota als Orte, wo unfreiwillige Komik zu Hause ist. Von Buxtehude geht in Hamburg der Spruch: „Broder, ick und Du, wie gaat na Buxtehu, wöllt den Buur in Keller krupen un em all sien Beer utsupen.“

Braunschweig hat an dem einen, aber weitberühmten Schöppenstedt genug, welches indeß in den Ruf der Thorheit wohl nur dadurch gekommen ist, daß Kneitlingen, der Geburtsort Eulenspiegel’s, nicht weit davon entfernt liegt oder daß man bei seinem Namen statt an Schöppe an Schöps dachte.

Von Bremen singt der Spruchdichter des Volkes: „Wer stehlen will und nicht hangen, der geh’ nach Bremen und lasse sich fangen.“ Im Oldenburgischen Ammerland giebt es eine Unzahl Neckereien von Ort gegen Ort. In Ostfriesland heißt „Feeling“, das heißt Westfale, ungefähr so viel wie Schildbürger,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_138.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)