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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Verhältniß von 1 : 5 genießt. Ein solches Verhältniß findet sich, von der Natur geboten, annähernd in dem Weizenmehl oder noch besser in einer Mischung von Weizen- und Roggenmehl zu gleichen Theilen. Allein für Kranke stellen sich die Bedürfnisse oftmals anders, als für Gesunde. Sie bedürfen mitunter, um einigermaßen bei Kräften erhalten zu werden, eine an stickstoffhaltigen Substanzen sehr reiche Nahrung, und in gewissen Fällen wird für sie deshalb gerade ein Verhältniß der genannten Substanzen von 1 : 2,3, wie es in den Leguminosen vertreten ist, erforderlich sein.

Bei anderen Kranken gestaltet sich das Bedürfniß wieder anders. Sie verlangen vielleicht ein Verhältniß jener Substanzen von 1 : 3, oder 1 : 4, oder 1 : 5. Wie soll diesen Anforderungen entsprochen werden? Die Aufgabe ist sehr leicht zu lösen. Durch Vermischung der Leguminosenmehle mit einem gleich fein herzustellenden stickstoffärmeren Mehle wird man jede beliebige Proportion der fraglichen Substanzen erzielen können, und wenn das Verhältniß derselben in dem Roggenmehle durchschnittlich wie 1 : 5,7–6 ist, so werden wir von demselben zu jenem Zwecke den passendsten Gebrauch machen.

Noch einen Punkt darf ich schließlich nicht unerwähnt lassen. Die wesentlichen Substanzen, welche für eine gesunde Ernährung erforderlich sind, haben wir kennen gelernt. Der Mensch kann aber erfahrungsmäßig für längere Zeit noch eine andere Substanz nicht entbehren, ohne Schaden an seiner Gesundheit zu leiden. Dies sind aus noch nicht hinlänglich erklärten Gründen die Pflanzensäuren und die pflanzensauren Salze, wie sie in allen frischen Pflanzen und Pflanzensäften, die wir genießen, enthalten sind. Will man deshalb einen Menschen längere Zeit mit den Mehlen der Leguminosen und Cerealien ernähren, so ist eine Zugabe auch dieser Pflanzensäuren erforderlich, und eine geringe Menge Citronensäure in Form einer Limonade, ein leichter Wein, ein frisches Obstcompot etc. werden das in dieser Beziehung Erforderliche leicht ersetzen.

Nach diesen Vorbemerkungen ist es nicht schwer zu begreifen, daß es lange schon einen Wunsch der Aerzte bilden mußte, das Mehl der Hülsenfrüchte in einem so fein vertheilten Zustande zu besitzen, um jede Schwierigkeit der Verdauung derselben auszuschließen und damit Suppen bereiten zu können, welche auch von den schwächsten Digestionswerkzeugen mit Leichtigkeit aufgenommen werden und dabei doch eine bedeutende Nährkraft besitzen. Die Anstrengungen, welche in dieser Beziehung gemacht wurden, sind endlich fruchtbar geworden. Nach langen Versuchen ist es Herrn Hermann Hartenstein, früher in Niederwiesa, jetzt in Chemnitz, gelungen, die Leguminosen in den feinsten Mehlstaub zu verwandeln, und in der nunmehr von ihm in den Handel gebrachten, jetzt von der Firma Hartenstein u. Comp. fabricirten und verkauften „Leguminose“ ist vielen Kranken ein wahrhaft unschätzbares Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt. –

Nach unserer oben gegebenen Auseinandersetzung ist es jetzt nicht mehr schwer verständlich, weshalb diese Leguminosenmehle entweder rein, oder in Vermischung mit verschiedenen Mengen von gleichfalls feinst vertheiltem Weizenmehle dem Publicum dargeboten werden. Es soll dadurch jedes in verschiedenen Fällen zweckdienliche Verhältniß zwischen den stickstoffhaltigen und stickstofffreien Verbindungen unmittelbar zur Verwendung bereit gestellt werden, und die Aerzte werden in jedem Falle zu entscheiden haben, welche von den vier verschiedenen Mischungen, die Herr Hartenstein hergestellt hat, am zweckdienlichsten zu erachten ist. Die Mischung I hat ein Verhältniß der genannten Substanzen von 1 : 2,3, die Mischung II von 1 : 3,3, die Mischung III von 1 : 3,9 und die Mischung IV von 1 : 4,8.

Die aus diesem Mehlstaube bereiteten Suppen sind keine Delicatessen. Aber nach Vorschrift mit einem etwas weichen Wasser und unter Zusetzung von Kochsalz gekocht, liefern sie doch eine durchaus schmackhafte Speise, und durch Zusatz von Küchenkräutern, welche nach Vollendung der Kochung abzufiltriren sind, können sie selbst angenehm schmackhaft werden. Für Kranke ist der mangelnde pikante Geschmack gar kein Nachtheil. Die Hauptsache ist, daß denselben ein ähnliches werthvolles Nahrungsmittel, gleich an Ernährungswerth und gleich an Leichtverdaulichkeit, gar nicht an die Seite gestellt werden kann, daß sie mit anderen Worten in manchen Fällen geradezu unentbehrlich sind.

Es sind jetzt bereits zwei Jahre verflossen, seit Herrn Hartenstein die Darstellung der fraglichen Mehlsorten gelang. Zahlreiche Aerzte haben bereits Gebrauch davon gemacht, und die darüber ausgestellten Atteste legen die besten Beweise für die segensreichen Wirkungen derselben ab. Typhuskranken, an Diarrhöen leidenden Kindern, Magenleidenden und abzehrenden Kranken waren diese Mehlsuppen in sehr vielen Fällen in hohem Grade nützlich, und die Erklärung dieses Nutzens liegt nach unseren vorstehenden Mittheilungen so klar auf der Hand, daß sie auch jedem gebildeten Laien einleuchten wird.

Wir schließen mit dem Wunsche, daß die „Leguminose“ des Herrn Hartenstein in immer weiteren Kreisen zur Anerkennung kommen und als ein durchaus einfaches, unverfälschtes, in seiner Zusammensetzung genau bekanntes, rationelles Nahrungsmittel sowohl in Privatkreisen, wie in öffentlichen Krankenanstalten zum Wohle der Kranken Anwendung finden möge!

Prof. B.




Blätter und Blüthen.


Gefälschte Sehenswürdigkeiten. (Ein Aufruf an die deutsche Localpresse.) Ganz im Einklange mit dem übrigen Schwindelwesen der Gegenwart, ist der Humbug, der mit den sogenannten wandernden Sehenswürdigkeiten getrieben wird, zu einer solchen Höhe gediehen, daß vom Standpunkte der Ehrenhaftigkeit aus, der ja vorläufig doch wohl noch eine wenn auch sehr geschmälerte Geltung hat, ein Vorgehen dagegen zur Nothwendigkeit wird. Es ist uns daher sehr angenehm, daß sich die Redaction der Gartenlaube zur Aufnahme dieses Aufrufs bereit erklärt hat. In der That, dieselbe Schamlosigkeit, die dem Gründerwesen das Kainszeichen aufgedrückt hat, die den Börsenschwindel bereits bis zu gemeinen Prügeleien führte, sie hat neben vielen anderen Auswüchsen auch das Schaubudenwesen nach einer Seite hin entwickelt, die nicht mehr Humor, sondern Ekel erweckt. Ja, und wenn nur dieser Ekel überall erweckt würde, denn in ihm liegt ja ein Wink der gesunden geistigen oder körperlichen Natur, aber leider fehlt einem großen Theile des Publicums der Grad von Kenntnissen, um auf dem oder jenem Felde des Wissens den Schwindel, wenn auch nur in seinen gemeinsten Aeußerungen, zu durchschauen, ja selbst Gebildete müssen sich manchmal anführen lassen.

Vor einer Reihe von Jahren wurde in Leipzig eine Gorilla-Familie ausgestellt, gewiß etwas Sehenswerthes. Es wurde nicht angekündigt, daß sie lebendig sei, aber auch nicht, daß sie ausgestopft, so daß sehr Viele, wie ich selbst hörte, beim Eintreten ausriefen: Ach Gott, ausgestopft! Sie bedachten nicht, daß diese größte Affenart selbst ausgestopft noch eine sehr werthvolle Seltenheit und nur ganz zufällig einmal käuflich ist. Diese Familie nun bestand aus einem Männchen, einem Weibchen und einem Jungen. Es lag eine Art Album aus, in welchem sich eine Menge Personen, auch namhafte Gelehrte mit großer Anerkennung der von ihnen zum ersten Mal gesehenen Sehenswürdigkeit ausgesprochen hatten, und dies machte mich, der ich wegen der falschen Haarrichtung der Vorderarme einen leisen Zweifel fühlte, ganz sicher. Und doch war Alles eine geschickte, aber schmähliche Täuschung. Nichts als Bärenfelle waren es, geschickt zusammengenäht und ausgestopft und die nackten Hautstellen, Gesicht und Hände wahrscheinlich aus passendem Stoff modellirt und angestrichen. Denn – nah durfte man nicht hinantreten; eine Schranke hielt die unberufenen Prüfer mehrere Schritte von den angeblichen Gorillas fern. Der Besitzer dieser künstlich construirten Thiere hat damals mit denselben viel Geld verdient, denn er hatte starken Zulauf und wenig Spesen. Aber das weckte den Neid seiner Collegen, und da diese Leute fast stets unter sich über den Ursprung ihrer Schaustücke unterrichtet sind, so erfuhr ich denn bald die ganze Geschichte. Später ist der Mann mit mechanischen Schaustücken wieder nach Leipzig gekommen, aber die arme Gorilla-Familie stand jetzt in einem finsteren Winkel der Bude und wurde kaum noch eines Blickes gewürdigt. Wenn ich nicht irre, sind diese Gorillas in Hamburg gefertigt worden; Hamburg ist überhaupt der Ort, wo viele naturhistorische Seltenheiten fabricirt werden, so z. B. soll sich dort ein Mann befinden, der mit großer Geschicklichkeit ausländische Vogelnester anfertigt und an Sammler verkauft. Selbstverständlich ist diese Stadt als größter deutscher Hafen für diese fälschende Industrie der passendste Ort.

Ein anderer derartiger Geschäftszweig ist die Anfertigung von Marterwerkzeugen. Manche werden schon erstaunt gewesen sein, wie oft sie Schaubuden mit diesen herzerhebenden Schaustücken getroffen haben. Diese Industrie ist noch nicht sehr alt und hat ihren Sitz in einer süddeutschen Stadt, irre ich nicht, in Nürnberg. Der erste Unternehmer in diesem Fache hat große Geschäfte gemacht, und darum ist jetzt die Zahl der Nachtreter eine große. Denn ein bischen Gruseln will der Mensch nun einmal haben, und um so stärker, je stärker seine Nerven sind. Also wer sich diese Marterwerkzeuge ansieht, sieht wahrscheinlich lauter erst jetzt fabricirtes, wohl gar erst erfundenes Zeug.

Von dem Wilden-Schwindel noch zu reden, ist jedenfalls unnöthig; er ist bereits mehrmals in der Gartenlaube von derselben Feder erwähnt worden. Er nimmt aber kein Ende. So war zum Beispiel in der


Hierzu eine Beilage der Papierwäsche-Fabrik von Mey & Edlich in Plagwitz bei Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_155.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)