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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

segnet uns; Spanien hilft uns; die Zwietracht der Bündner begünstigt uns. Wie erquickend wird es sein, wenn wir in unseren alten Tagen zu unseren Kindern und Enkeln sagen können: Unser Verdienst ist es, daß ihr frei und katholisch seid.“

„Das rhätische Joch werde abgeschüttelt! Man lasse die Protestanten über die Klinge springen!“ herrschte der Jurist Schenardi.

„Es werden geschlachtet,“ rief, die beiden Vorredner überbietend, Doctor Vincenz Venosta, „bis auf die Letzten alle die dem Satan anheimgefallenen Ketzer, welche mitten in dem Schafstalle Christi leben! Das Volk schmecke einmal die Wollust des Blutes, und diese versiegle das Gelübde ewiger Feindschaft gegen die verruchten Oberherren!“

Robustelli’s Wohnhaus, Versammlungsort der Veltliner Verschworenen in Grosotto.

So redeten im Verborgenen die Häupter der veltliner Ultramontanen mit einander, und was sie geplant, das blieb trotz Vorsicht und Flüsterrede kein Geheimniß in den Thälern und Schluchten des Veltlin. Schnell ging die Kunde von der den Protestanten drohenden Gefahr von Mund zu Mund. Und sie selbst, die treuen Anhänger der Lehre Luther’s? Schärften sie nicht die Schwerter zu Schutz und Trutz gegen die Tücke der Feinde? Nein, im Vertrauen auf ihre gute und reine Sache und in jener Arglosigkeit, welche stets das Eigenthum des Unbescholtenen ist, wollten sie nicht glauben, daß in der That die Verworfenheit ihrer Verfolger zu so blutigen Mitteln greifen könne – und diese Arglosigkeit war ihr Verderben; denn das Blut kam schnell über sie.

Robustelli hatte inzwischen eine Bande von verwegenen Strolchen – ihre Zahl ist nicht mehr zu ermitteln – mit eigenem und spanischem Golde angeworben und versammelte dieselben in der Nacht zum 19. Juli in seinen Kellern und Gewölben. Sich an die Spitze dieses Haufens stellend, ließ er noch vor Sonnenaufgang die Furie des Aufruhrs los und brach nach Tirano auf, wo sich die wilden Gesellen im Hause des Doctors Venosta bis zum Morgen verborgen hielten. Unter dem Schlachtgeschrei „Es lebe der römische Glaube!“ brachen sie mit den ersten Strahlen des Tages aus ihren finsteren Schlupfwinkeln hervor, und nun begann in dem arglosen Tirano eine Metzelei ohne Gleichen. Als erste Opfer fielen der evangelische Pfarrer Antonio Basso und etwa sechszig Gleichgesinnte. Viele Andere, Bürger von Tirano und den benachbarten Weilern, traf dasselbe Loos. Und weiter durch das anmuthige Thal nahm die Mörderrotte ihren Weg. In Teglio, wohin die Wüthenden sich nun wandten, wurde unter den gerade in der Kirche versammelten Protestanten ein grauenvolles Blutbad angerichtet. Man schätzt die hier Hingeschlachteten auf mindestens sechszig Personen. Sieben Männer, sechs Frauen und vier Kinder kamen im Glockenthurme, wo sie Schutz gesucht hatten, im Feuer der brennenden Kirche um’s Leben. Die Flammen von Teglio verkündeten weithin durch das unglückliche Land Entsetzen und Grauen, Tod und Verheerung. Aber rings keine Rettung vor den an Zahl und Gewaltmitteln überlegenen Empörern. Immer weiter, von Dorf zu Dorf, von Weiler zu Weiler, wälzten sich die entmenschten Schaaren und ließen die blutigen Fahnen im Winde wehen.

Als dritte Station des Mordes war Sondrio auserkoren, der Hauptort des Veltlins. Hierher war der Hauptmann Johann Guicciardi, einer der verwegensten Rädelsführer der Verschworenen und neben Robustelli wohl der gefürchtetste unter ihnen, schon in der Nacht zum 20. Juli aufgebrochen. Allein bereits ehe er eintraf, begannen die dortigen Katholiken ein fürchterliches Gemetzel. Todtschlag und allgemeines Sterben auch hier. Aber erhebend und zugleich ein Zeugniß dafür, wie das Bewußtsein des Rechtes, wo es fest und energisch auftritt, auch einer überlegenen Macht gegenüber triumphirt, ist die That des Kanzlers Mingardini. Dieser Edle, von Menschenliebe entflammt, versammelt mitten im entsetzlichen Blutbade von Sondrio etwa zwanzig unerschrockene Männer um sich. Das Leben für nichts achtend, tritt er mit ihnen unter die Bande der Mordgesellen. Die Häupter stolz und kühn erhoben, Ruhe und Verachtung in den Mienen, ziehen die Wackeren, ihre Frauen und Kinder in der Mitte, fast waffenlos durch die Straßen von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_168.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)