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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

seiner ganzen fürchterlichen Gestalt gezeigt hätte. Etwa hundertvierzig Menschen fielen in Sondrio den entmenschten Fanatikern zum Opfer; viele Heldenmüthige unter den Verfolgten, namentlich unter den Frauen, sollen den Tod in den Wellen der Adda freiwillig gesucht und gefunden haben.

Glücklicher als in Sondrio und dessen Umgegend waren die Protestanten zum Theil in den nach dem Comer See hin gelegenen Gemeinden. Von der drohenden Gefahr unterrichtet, gelang es ihnen meistens, sich vor dem nahenden Verderben zu retten. In Morbegno scheint sich unter den Katholiken eine förmliche Opposition gegen das wilde Treiben ihrer Glaubensgenossen gebildet zu haben; denn es ist Thatsache, daß sie die Protestanten ihres Ortes sicher geleiteten, bis diese sich außer dem Bereiche der Gefahr befanden. Dies ist das einzige Zeichen einer menschlichen Regung, welches die Katholiken des Veltlin in jenen schrecklichen Tagen bekundeten. Darum um so mehr Ehre den Morbegnern!

Am 21. Juli waren aus dem ganzen Veltlin vom Fuße der Iuga Rhaetica bis an den Larius die Protestanten vertrieben, oder ihre Leichen deckten das Land. Gegen sechshundert „Ketzer“ hatten ihr Leben unter dem Mordbeil des Fanatismus ausgehaucht.

Die Mörder triumphirten. Sie machten Robustelli zu ihrem Landeshauptmann, Guicciardi zum Statthalter. Aber die Vergeltung war schnell. Bereits zwei Wochen nach dem Protestantenmorde mußten die Veltliner Gewalthaber vor den unter Oberst Guler daherziehenden Bündnern fliehen, und seitdem war das unglückliche Land der Schauplatz der wildesten Kriegsfurie: die Bündner und die Spanier, die Franzosen und die Kaiserlichen schlugen hier ihre Schlachten; eine fürchterliche Pest raffte in den Jahren 1628–1630 zwei Drittel der Einwohner hinweg, und erst mit dem sogenannten „Ewigen Frieden“ im Jahre 1639 kehrten einigermaßen geordnete Zustände wieder in’s Veltlin zurück.

Zum jubelnden Andenken aber an den scheußlichen Protestantenmord bauten die siegreichen Katholiken durch das ganze etwa zwanzig Stunden lange Addathal bei jedem Dorfe, jedem Städtchen eine der Madonna geweihte Kirche, unter ihnen die prächtige der Madonna di Tirano. So verherrlichen – Ironie der Geschichte! – auch die niedrigsten Thaten sich oft in dauernden Werken echter Kunst, eine neue Bestätigung dafür, daß nichts so schlecht, nichts so verworfen ist, daß es nicht, wenn auch unabsichtlich und widerwillig, im Dienste der ewigen Weltordnung der Idee des Guten und Schönen dienen könne und müsse. Das bezeugt die Kirche der Madonna di Tirano.

Zum Schlusse noch einen Beleg für die tiefe Verworfenheit und Entsittlichung der Veltliner Protestantenmörder.

Zu St. Nicolo in einem kleinen Seitenthale des Veltlins ist an die Kirche eine Todtencapelle gebaut, in welcher eine Menge von menschlichen Gebeinen und Schädeln aufgehäuft liegt. Zu den beiden Seiten eines sehr schön und kunstreich geschnitzten Altars sieht man je einen menschlichen Leichnam in knieender Stellung. Die Tradition berichtet über diese Leichen, daß dieselben, die sterblichen Ueberreste zweier in jenen Schreckenstagen ermordeten Protestanten, eines Mannes und eines Weibes, auf dem Friedhofe von St. Nicolo beerdigt gewesen, aber von den Fluthen des reißenden Gletscherbaches Frodolfo wieder aus der Erde herausgewühlt worden seien; Bornirtheit und Aberglaube betrachteten diese Thatsache als einen Fingerzeig Gottes. Das Grab habe die Leiber der Ketzer wieder ausgespieen, meinten die Leute, und pfäffisches Raffinement machte der Kirche diesen Aberglauben dienstbar. Die beiden hart und steif getrockneten Leichname wurden in eine betende Stellung zusammengeknickt und so, dem Protestantismus zum bleibenden Hohne, wie büßend zu beiden Seiten des Altars postirt. „Angesichts des Todes,“ sagten die frommen Knechte Roms, „haben die reuigen Sünder den falschen Glauben abgeschworen und sind sterbend in den Schooß der alleinseligmachenden Kirche zurückgekehrt.“

Diese Rohheit der Gesinnung ist bezeichnend für den vor nichts zurückschreckenden Geist des Glaubenseifers, der den Veltliner Mord heraufbeschwor, wie denn die Juli-Schreckenstage an der Adda überhaupt vor anderen Schandthaten des Fanatismus geeignet sind, das Wesen der kirchlichen Herrsch- und Blutgier in seiner ganzen Nacktheit zu kennzeichnen. Denn wenn in früheren und späteren Religionsattaquen die Politik und andere weltliche Mächte mehr oder weniger die Hand im Spiele hatten, tritt uns hier der Eifer für den „heiligen Glauben“ in seiner unmittelbarsten und unabhängigsten und darum gräßlichsten Form entgegen, der Eifer für „der Seelen Seligkeit“, dessen blutige Fußspuren wir auf den Heerstraßen der Geschichte von Jahrhundert zu Jahrhundert verfolgen können und der noch heute, die Flamme des Fanatismus nährend und schürend, seine Sendboten in alle Lande ausgehen läßt.




Schiller als Humorist.


Von Ferdinand Sonnenburg.


Als zur Eröffnung der erneuerten Bühne in Weimar am 18. October 1798 zum ersten Male Wallenstein’s Lager zur Aufführung gebracht wurde, waren selbst Schiller’s nächste Angehörigen überrascht von der sprudelnden Lebensfülle der wahrhaft homerischen Gestalten, welche ihnen der Dichter vor die Augen führte, und als die ganze Trilogie bei Cotta im Drucke erschien, erhoben viele Stimmen die Behauptung: „Das Lager muß Goethe’s Werk sein; eine solche Dichtung liegt nicht in dem idealen Ideenkreise Schiller’s.“ Goethe erklärte öffentlich, daß nur zwei kleine Verse von seiner Hand herrührten, aber selbst diese Versicherung fand nicht überall Glauben.

Im Kreise der Schiller’schen Dichtungen, wie diese in den gewöhnlichen Ausgaben vorliegen, erscheint allerdings Wallenstein’s Lager in seiner Art sehr vereinzelt, und vergebens suchen wir unter den übrigen dramatischen Werken nach verwandten Gestalten. Es scheint, als ob diese eine köstliche Blüthe auch das einzige Geschenk sei, welches der große Dichter seinem Volke auf dem Gebiete des Humors gespendet habe. Wer Unsterbliches auf dem Felde des Ernsten, des Idealen, des Heroischen leistete, dem muß, so scheint es, der Lärm des bunten Gassenlebens widerstreben.

Und doch trifft dieser Satz bei Schiller keineswegs zu; nur müssen wir, wenn wir den Quell seines Humors aufdecken wollen, in frühere Zeiten zurückgehen, in denen sein Geist noch frei war von den Spuren bitterer Sorgen und schweren körperlichen Leidens, deren Einwirkung selbst ein solcher Heros nicht von sich abwehren konnte. Wir finden diese Zeiten, wenn wir die Jugendjahre Schiller’s in Stuttgart einer näheren Betrachtung unterziehen.

Der Herzog Karl Eugen war Schiller’s Landesherr und der Lage der Dinge nach zugleich sein fast unmittelbarer Aufseher. Das Bild dieses Fürsten bietet arge Flecken, doch es ist nicht so lichtlos, wie es oft dargestellt wurde; in mancher Hinsicht rechtfertigte der Herzog die hohen Erwartungen, welche Friedrich der Große von ihm hegte. Die Karlsschule war eine geniale Schöpfung. Viele große Geister sind aus ihr hervorgegangen, und ihre Schüler wurden keineswegs despotisch geknechtet. An seinen Lehrer Abel, der den Entflohenen sogar in Mannheim besuchte, dachte Schiller stets mit warmer Liebe zurück. In den Räumen der Karlsschule fand Jugendmuth und Frohsinn sogar Muthwille, immer nach Gelegenheit, sich auszubreiten. Shakespeare, Götz von Berlichingen, Klinger’s Dramen, Julius von Tarent konnten heimlich gelesen und ein Dichterbund gegründet werden, der auch das Feld des Humors und der Satire mit Erfolg anbaute und sich zum Gegenstande des gutmüthigen Spottes sogar den militärisch strengen Oberaufseher Nieß auszuwählen wagen durfte. Mit seinem Freunde Haug hielt Schiller einmal einen dichterischen Wettkampf im Preise der Grobheit.

Wenn die Privatunterhaltungen seiner Zöglinge nicht gegen die Regeln der Schule verstießen, so störte Herzog Karl sie nicht; selbst einen dreisten Spaß konnte er wohl ertragen. Ludwig von Wolzogen erzählt in seinen Memoiren:

„Auf der Akademie befand sich ein junger Graf von Nassau,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_170.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)