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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Großmama auch! Und sie – Du weißt schon, wen ich meine; sie raucht Cigarren und fährt wie toll mit den neuen wilden Pferden, weil Du es verboten hast – sie ist die Falscheste von Allen.“

„Sehr verbunden!“ flüsterte Flora halblaut mit einem bösen Lächeln und schmiegte sich noch enger in den Polsterlehnen zusammen.

Eine unbeschreibliche Bangigkeit überschlich Käthe, deren Hand mit so innigem Drucke festgehalten wurde. Sie vermied es, den Doctor anzusehen, für den die Fiebernde sie hielt, und welcher, von dem chinesischen Schirme halb verdeckt, am Kopfende des Bettes stand.

„Weißt Du noch, wie es früher war, Doctor?“ fuhr Henriette fort. „Weißt Du noch, wie sie die Lakaien durch Wind und Wetter jagte, Dir nach, mit Briefen, vier, fünf an einem Tage? – Weißt Du noch, wie sie, fast toll vor Sehnsucht, Dir entgegenlief, wenn Du nicht zur versprochenen Minute gekommen warst? Und wie sie dann draußen die Arme um Deinen Hals schlang, wild und stark, als wollte sie Dich nie wieder lassen?“

Jetzt fuhr Flora jäh empor; ihre seidenen Gewänder rauschten und zischelten, und sie war so roth im Gesicht, als breite sich noch einmal das ebenversunkene grelle Abendlicht über ihre weißen Wangen. „Gieb ihr Morphium!“ rief sie herüber. „Das ist schon mehr Verrücktheit, als fieberhafte Aufregung, sie muß schlafen.“

Der Doctor hatte der Kranken kaum erst einen Löffel voll Medicin gereicht; er beantwortete Flora’s Aufforderung nur mit jenem halben, flüchtigen Lächeln, mit welchem man über ein thörichtes Verlangen der Unwissenheit hinweggeht, und veränderte seine Stellung nicht im Geringsten; auch die Gluth, die bei Henriettens letzten Worten über sein braunes Gesicht hinflammte, erlosch rasch wieder; er sah ruhig und kalt aus, wie vorher.

Flora sank zornig in ihren Stuhl zurück, wandte sich ab und ließ ihre Augen funkelnd und rastlos über die Gegend draußen hinschweifen.

„Hättest Du damals gedacht, daß sich das ändern würde, Bruck? Daß sie je sagen könnte, es sei ein schwerer Irrthum gewesen?“ hob Henriette von Neuem an und umklammerte nun auch mit der anderen brennend heißen Hand Käthe’s Rechte. Dem jungen Mädchen stockte fast der Herzschlag; auf den Lippen der Kranken schwebte es, woran bis jetzt Niemand, selbst die Schuldige nicht, mit dem lauten, klaren Wort zu rühren gewagt hatte. Sie bog sich rasch über die Fiebernde und legte ihr instinctmäßig die kühlen Finger auf die Stirn, als könne sie damit den unheilvollen Gedankengang in eine andere Bahn leiten.

„Ah, das kühlt!“ seufzte Henriette auf. „Aber weißt Du noch, wie Flora damals Deine Hand von meiner schmerzenden Stirn stieß? Sie war tödtlich eifersüchtig.“

Ein halb unterdrücktes höhnisches Auflachen klang aus der Fensterecke herüber. Henriette hörte es nicht. Sie war der Außenwelt völlig entrückt.

„Mich läßt der Schmerz über das, was kommen wird, nicht schlafen,“ klagte sie und schlang jetzt ihre Finger in einander und drückte sie leidenschaftlich gegen die kranke Brust. „Dann wirst Du unser Haus meiden und ein unglücklicher Mann sein, der nicht einmal unseren Namen mehr auf die Lippen nimmt. Ach, Bruck, was fragt sie danach in ihrer bodenlosen Eitelkeit, die sie Ehrgeiz nennt! Sie wird sich losreißen um jeden Preis.“

Käthe hob unwillkürlich die Arme und streckte sie in namenloser Angst über die Kranke hin. Henriette schrie auf. „Nicht die Hand auf den Mund legen, wie der schreckliche Junge im Walde!“ stöhnte sie abwehrend.

In diesem Augenblick stand Flora neben der jungen Schwester und schob sie vom Bett weg; in ihren Zügen, in allen Geberden lag ein wilder Entschluß. „Lasse sie ausreden!“ sagte sie gebieterisch.

„Ja, ausreden lassen!“ wiederholte Henriette halb lallend vor Erschöpfung, aber doch befriedigt wie ein Kind, dem man den Willen thut. „Wer soll Dir’s sonst sagen, Bruck, wenn nicht ich – ich? Wer soll Dich warnen, damit Du auf Deiner Hut bist? Halte die Augen offen! Sie fliegt Dir davon, wie die Taube vom Baum, die weiße Kokette; sie will frei sein –“

„Was sie auch faseln mag, eine Wahrheit ist darin,“ sagte Flora entschlossen dazwischen und trat dem Doctor um einen Schritt näher. „Sie hat Recht, ich kann Dir das nicht sein, was ich versprochen habe; gieb mich frei, Bruck!“ setzte sie flehend hinzu und hob die verschlungenen Hände; zum ersten Mal hörte Käthe, wie unwiderstehlich und süß ihre Stimme klingen konnte, wenn sie weich wurde.

Da war das entscheidende Wort gefallen, um das sich monatelang die abscheulichsten Intriguen gedreht hatten. Käthe hatte gemeint, es müsse mit dem ersten Laute den Verrathenen zu Boden schmettern, allein der vernichtende Blitz zündete nicht sichtbar; für das junge Mädchen war die unerschütterte Haltung des Doctors so räthselhaft, wie wenn nach einem mörderischen Schuß der scheinbar Getroffene unversehrt aus dem Pulverdampfe hervorgeht. Ernst und schweigend sah er auf die Bittende nieder, nur blaß war er, blaß wie der Tod. Er verweigerte ihr die Hand, die sie ergreifen wollte. „Zu einer solchen Auseinandersetzung ist hier nicht der Ort –“

„Aber der richtige Augenblick. Ein anderer Mund spricht für mich das aus, was ich seit Monaten auf den Lippen hatte und doch nicht in Worte kleiden konnte –“

„Weil es ein notorischer Treubruch ist.“

Sie biß sich auf die Lippen. „Die Bezeichnung ist hart und nicht zutreffend; so fest war unser Bund noch nicht geschlossen; auch bin ich mir bewußt, daß kein anderes Bild das Deine aus meinem Herzen verdrängt hat. Lächle nicht so geringschätzend, Bruck! Bei Gott, ich denke an keinen anderen Mann,“ rief sie leidenschaftlich betheuernd. „Aber ich will den Vorwurf auf mich nehmen,“ setzte sie ruhiger hinzu, „um den Preis, daß wir Beide nicht unglücklich werden.“

Mein Glück oder Unglück lasse dabei aus dem Spiele! Du kannst nicht wissen, was ich darunter verstehe, allein so viel wirst Du Dir wohl selbst sagen, daß sie beide nicht in’s Gewicht fallen dürfen, wenn es sich um die innere Ehre und Selbstachtung des Mannes handelt. Und nun möchte ich Dich um Deiner kranken Schwester willen bitten, für jetzt zu schweigen.“ Er wandte sich ab und trat in das nächste Fenster.

Sie ging ihm nach. „Henriette hört uns nicht,“ sagte sie. Die Kranke war todesmatt in die Kissen zurückgesunken und flüsterte unaufhörlich vor sich hin, wie ein Kind, das sich selbst ein Märchen erzählt; ihr Ohr war allerdings der Außenwelt verschlossen. „Das ist ja keine Entscheidung,“ fuhr Flora in traurigem, niedergeschlagenem Tone fort. „Ich muß aber ein festes, klar bezeichnendes Wort haben. Warum hinausschieben, was mit einem raschen Entschlusse festgestellt werden kann?“ Es war abscheulich anzusehen, wie sie mit Daumen und Zeigefinger am Ringfinger der linken Hand spielend drehte.

Doctor Bruck sah über seine Schulter auf sie nieder. Es fiel Käthe abermals auf, wie er bei aller Kraft und Männlichkeit seiner Gestalt dennoch merkwürdig jung neben ihr erschien. Unter dem vollen Barte sah man beim Sprechen fast mädchenhaft keusch geformte, zartrothe Lippen, und die Ausbiegung an den Schläfen verlief so jugendlich weich, wie bei einem Jüngling; dazu die schlichten anspruchslosen Geberden und die Augen, die so leicht in befremdender Scheu schmolzen und sich seelisch gleichsam tief zurückziehen konnten vor einem anderen Blicke. Jetzt aber ruhten sie fest auf der schönen Dame, die mit ihrem lockigen Scheitel kaum seine Schulter erreichte.

„Was gedenkst Du einzutauschen für das Leben an meiner Seite?“ fragte er so plötzlich, so scharf, daß sie unwillkürlich zusammenfuhr.

„Brauche ich Dir das zu sagen, Bruck?“ rief sie und strich sich tief aufathmend, wie von einem Alp befreit, die Locken aus der Stirn. „Siehst Du nicht, wie meine ganze Seele danach dürstet, aufzugehen im Schriftstellerberufe? Kann ich das aber in dem Umfange, wie es meine Beanlagung, mein mit heißem Streben gepaartes Talent gebieterisch verlangen, wenn ich die Pflichten einer Frau übernehme? Nun und nimmermehr!“

„Wunderbar, daß Dir dies stürmische Verlangen erst jetzt, erst in den letztvergangenen Monaten gekommen ist, nachdem Du –“

„Nachdem ich neunundzwanzig Jahre lang ohne den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_174.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)