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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

angebrachter Feuer fragten sie einander: „Ist der Feind nahe oder verschwunden? Welchen Stamm sieht man?“ und wechselten Frage und Antwort.

Niemals in der Geschichte mag der Wunsch, durch Feuertelegraphie miteinander sich zu verständigen, lebhafter empfunden worden sein als in dem belagerten Paris. Alle Drähte und Leitungen, die nach außen führten, waren durchschnitten; wie herrlich wäre es gewesen, wenn man durch elektrisches Licht hätte mit den Umwohnenden in Verkehr treten und sich gegenseitig über die Köpfe der Belagerer hinweg seine Pläne, Fragen, Antworten, Verabredungen etc. mittheilen können! In der That bediente man sich damals elektrischer Lichtblitze zur Verständigung der Fortscommandanten unter einander, noch mehr freilich, um die nächtlichen Arbeiten des Feindes zu erkennen und den Geschützen ein sicheres Ziel aufzuspüren. Aber um unter den Augen der Belagerer und diesen unverständlich mit der Ferne zu correspondiren, hätte es einer verabredeten Geheimschrift bedurft, die den Morse-Zeichen auf Grund eines sogenannten Schlüssels fortlaufend eine andere Bedeutung gab, damit die Unterhaltung vor Aller Augen und doch einem Jeden unverständlich geführt werden konnte. Auf diesen schlauen Gedanken war man damals noch nicht gekommen, sonst wäre eher Aussicht gewesen, ein gemeinsames Vorgehen der eingeschlossenen und der Entsatzarmeen zu planen.

Aber die Erfahrungen dieser Belagerung haben hüben und drüben den Werth der Lichttelegraphie schätzen gelehrt, und seit jener Zeit haben besonders Siemens in Berlin und C. Léard in Algier Versuche über ein neues System der optischen Telegraphie angestellt, die zum Theil bereits zu werthvollen Ergebnissen geführt haben. Um von zwischenliegenden Bergzügen und Wäldern möglichst ungehindert in weite Ferne sprechen zu können, ist man beiderseits auf die Idee gekommen, den Himmel gleichsam als Schreibtafel zu benutzen und das elektrische Licht in Strahlenform durch parabolische Spiegel gegen den dunkeln Nachthimmel zu werfen. Namentlich wenn die Luft etwas dunstig ist, erscheint der Strahl des elektrischen Lichtes wie ein intensiv leuchtender Kometenschweif, und bei den Versuchen, die im vergangenen Jahre in der Siemens’schen Fabrik angestellt wurden, mag gar Mancher anfangs über den plötzlich zu Häupten der guten Stadt Berlin aufgetauchten Kometen erschreckt sein. Es ist nun klar, daß, wenn man einen solchen Lichtstrahl mittelst einer Blendklappe bald nur aufzucken und bald dauernder erscheinen läßt, daraus leicht eine Morse-Schrift hergestellt werden kann, wobei noch eine Vereinfachung der Zeichen durch Spiegeldrehung und wechselnde Richtung des Strahles herbeigeführt werden könnte. Das elektrische Licht für diese Versuche erzeugt man in ausnehmender Stärke mittelst der durch Dampf getriebenen magnetelektrischen Maschinen des Herrn Gramme in Paris oder des Herrn von Hefner-Alteneck in Berlin.

Die Versuche, welche Léard zu einer derartigen Verständigung zwischen dem Fort national und Algier anstellte, gelangen, obwohl sich zwischen beiden fünfundzwanzig Lieues von einander entfernten Orten ein zweihundert Meter hoher Bergzug erhebt, bei dunstigem Wetter ausgezeichnet; der von einem drehbaren Spiegel unter einem Winkel von vierzig bis fünfzig Grad gegen den Horizont aufwärts geworfene Strahl wurde bei jedem Aufzucken sofort auf der andern Station wahrgenommen. Bei hellem Wetter und Mondscheine war das Erkennen schwieriger und gelang dann mit wünschenswerther Sicherheit nur noch in einer Entfernung von zehn bis fünfzehn Lieues.[1]

Die feinen Nebeltheile, welche bei feuchter Luft auf dem Wege des Lichtstrahls vertheilt sind, machen sein Licht intensiver, ebenso wie der Sonnenstrahl, der durch ein Astloch in einen dunstigen Viehstall fällt, sich scharf im umgebenden Dunkel abzeichnet. Man darf daher wohl annehmen, daß sich dieses System besonders gut auf der See, über welcher meist eine feuchte Dunstschicht schwebt, wird anwenden lassen, z. B. zur Verständigung zwischen zwei Flottenstationen. Man hat auch versucht, das elektrische Licht zu färben, z. B. purpurroth durch Einstreuen pulveriger Strontiumsalze zwischen die Kohlenspitzen, und dabei sehr günstige Resultate erzielt, da sich solche Strahlen schärfer hervorheben, ohne an Helligkeit einzubüßen, wie sie thun würden, wenn man das Licht durch farbige Gläser gehen ließe.

„Da wären wir also,“ jubelt ein Archäologe, „richtig wieder zu der Feldtelegraphie der alten Meder und Perser zurückgelangt; die Schlange der Erfindungen beißt sich in den Schwanz; es giebt nichts Neues unter dem Monde.“ Und doch welch’ ein Abstand zwischen der alten Fackel-Telegraphie und den künstlichen Kometen, die als Kriegsboten dienen sollen! Schon in den Maschinen, die zur Erzeugung dieses Lichtes dienen, liegt ein solcher Berg menschlichen Scharfsinns und menschlicher Arbeit verwerthet, daß ich mir nicht getrauen würde, ihre Wirkung dem Leser deutlich zu machen, auch wenn ich noch ebensoviel Seiten zu meiner Verfügung hätte.

Im Uebrigen wird die Nacht-Telegraphie mit elektrischem Lichte immer nur ein Auskunftsmittel beschränkter Anwendung bleiben, für solche Fälle nämlich, in denen die elektrischen Telegraphen den Dienst versagen, weil man keine Drähte und Kabel haben kann. Aber die eigenthümliche Lage des belagerten Paris, in der nichts so hart empfunden wurde, wie die Abgeschlossenheit von der übrigen Welt, hat gezeigt, daß dieses Verständigungsmittel für belagerte Festungen immer von Werth sein kann, und daß man allerseits wohl daran thut, Versuche anzustellen.

Carus Sterne.


  1. Ich brauche die in dem französischen Berichte enthaltene Bezeichnung, weil ich nicht feststellen kann, ob die alte französische Meile (gleich viertehalb Kilometer) oder das einfache Kilometer, welches auch Lieue genannt wird, gemeint ist.




Bis zur Schwelle des Pfarramts.


IV. 4. Die Dogmatik und die moderne Weltanschauung.


Von Heinrich Lang in Zürich.


Unter den Vortheilen, die man aus dem Studium Lessing’s zieht, ist nicht der geringste der, daß man über die schwierigsten und verwickeltsten Fragen so rasch und sicher orientirt wird. Das gilt ganz besonders von den theologischen Dingen. Wie klar ist hier Lessing’s Stellung nach allen Seiten! Er achtete und haßte die Orthodoxie. Er achtete sie als ein Kunstwerk, welches die Frömmigkeit und der Scharfsinn vergangener Jahrhunderte in großem Stile aufgeführt, kein Werk von Pfuschern, sondern von Denkern, das verdiene gründlich studirt zu werden; er haßte sie als ein „Gebäude voll Unsinn“, soweit sie den Anspruch erhob, die Glaubensüberzeugung der gegenwärtigen Welt zu sein; er arbeitete daher mit allen seinen Mitteln an ihrem Sturze und begrüßte Alles, was diesen beförderte.

Aber nicht weniger als die Orthodoxie haßte er jene unter dem Einfluß der Aufklärung aufgenommene Gläubigkeit, die bei all’ ihrem Selbstruhm von Wissenschaft und Vernunft doch nur eine „schielende, hinkende, sich selbst ungleiche Orthodoxie“ ist und in dieser schwächlichen Halbheit „so ekel, so widerstehend, so aufstoßend“; er haßte die „neumodischen Geistlichen, die Theologen viel zu wenig und Philosophen lange nicht genug sind“, jenes vernunftgemäße Christenthum, bei dem man nur eigentlich nicht wisse, weder wo ihm die Vernunft, noch wo ihm das Christenthum sitze. Aus dieser doppelten Antipathie ergiebt sich von selbst die Forderung, welche Lessing an die Theologie stellt: Es geht nicht, an der Orthodoxie im Einzelnen zu flicken und äußerlich zu repariren, um dadurch das alte Gebäude für das jetzt lebende Geschlecht wieder wohnlich zu machen. Das giebt nur elende Halbheiten, schlechte grundsatzlose Vermittelungen, wobei immer beide, das Denken wie der Glaube, zu kurz kommen, weil sie einander auf allen Punkten abschwächen. Die Orthodoxie ist ein in sich zusammenhängendes, einheitlich ausgeführtes, wohldurchdachtes System, aber auf der Grundlage einer Vorstellungswelt, die nicht mehr die unsere ist, die morsch und faul geworden ist. Man muß sie deswegen ganz abtragen und an ihre Stelle ein ganz neues Gebäude setzen, in einem Styl, der aus dem Genius der neuen Zeit entspringt, ebenso

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_198.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)