Seite:Die Gartenlaube (1876) 228.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Trümmerrest eines kleinen Fußes mit zarten Zehen auf der grünmoosigen oberen Fläche.

Käthe strich mit ihrer schlanken Hand schmeichelnd über die zierliche Form. „Das ist eine Nymphe oder Muse gewesen,“ sagte sie. „Das schlanke Geschöpfchen hat schwebend, mit gehobenen Armen auf der einen Fußspitze gestanden; ich kann mir die ganze Gestalt auf der einen hochgeschwungenen Linie des Füßchens aufbauen. Vielleicht war ihr schöner Kopf seitwärts der Brücke zugewendet, und sie hat auch den Reiter über die Brücke kommen sehen, und dann die stolze Schloßfrau in der bunten Brokatschleppe –“ sie verstummte unwillkürlich und sah ihm in das Gesicht; er war offenbar weit fort mit seinen Gedanken; er hörte nicht, was sie sagte, und das, was ihn beschäftigte, war sicher sehr deprimirend; zum ersten Male sah sie in diesem edelschönen, ruhig beherrschten Antlitze einen ausgesprochen gramvollen Zug. Flora! Sie war der Fluch dieses Mannes; er ging an seiner Leidenschaft für sie zu Grunde.

Das plötzliche Schweigen des jungen Mädchens machte ihn aufblicken. „Ach ja,“ sagte er sich sichtlich zusammennehmend, „die wirthschaftlichen Leute, die lange Zeit hier gehaust, haben sich das Vergnügen gemacht, die Statuen herabzustürzen. Der ganze Garten muß mit diesen Sandsteinfiguren bevölkert gewesen sein; rings im Gebüsche finden sich noch viele Postamente. Ich werde dem Grundstücke seine ehemalige Gestalt zurückzugeben suchen. Man sieht, trotz der Verwilderung,

Young im Kreise seiner betenden Frauen.

noch deutlich den Plan, der dem Garten zu Grunde gelegen hat.“

„Dann wird es sehr hübsch und sehr vornehm hier werden, aber der Blick in’s Grüne, in diese köstliche, verwachsene Wildniß geht verloren; Ihr Arbeitszimmer –“

„Mein Arbeitszimmer wird vom nächsten October an eine liebe Freundin meiner Tante bewohnen,“ unterbrach er sie gelassen. „Ich siedle im Herbst nach L…..g über.“

Sie sah ihn bestürzt an und faltete unwillkürlich die Hände. „Nach L…..g?“ wiederholte sie. „Mein Gott, Sie wollen sich von ihr trennen? Und was sagt sie dazu?“

„Flora? Sie geht selbstverständlich mit mir,“ sagte er eiskalt, aber in seinen Augen lohte es auf wie ein schmerzlicher Zorn. „Glauben Sie, ich werde Ihre Schwester hier zurücklassen? Sie dürfen ruhig sein.“ Wie schneidend seine Stimme klang!

Käthe hatte von der Tante gesprochen, allein sie war nicht fähig, das Mißverständniß zu berichtigen; so betroffen machte sie seine Antwort – er schien seiner Sache so gewiß. „Sie waren eben in der Villa?“ fragte sie schüchtern, und doch fieberhaft gespannt.

„Nein, ich war nicht in der Villa,“ betonte er – klang es doch, als persiflire er sie, der feinfühlende Mann, der sonst nie seine Zunge zu einer Geißel des Spottes machte. „Ich bin überhaupt heute noch nicht so glücklich gewesen, Jemand von drüben zu sehen. Moritz hätte ich gern begrüßt, aber die Herren, die sich eben von ihm verabschiedeten, als ich an der Villa vorüberging, kamen so laut und heiter vom Frühstückstisch, daß ich es vorzog, unerkannt zu passiren.“

Er hatte demnach Flora heute noch nicht gesprochen, und dennoch diese Zuversicht! Es war zum Verzweifeln! Käthe wünschte sich weit weg aus diesem Dilemma – sie kam sich vor wie des Priamos unglückselige Tochter, die einzige Wissende unter den Verblendeten. Es war gut, daß in diesem Augenblicke die gezüchtigte Henne abermals unvorsichtig auf ihren erbitterten Feind losspazierte. Käthe fand dadurch einen Vorwand, das Gespräch abzubrechen; sie scheuchte das Thier über den Rasen hin in den Schuppen zurück, schloß die Thür und schob den Riegel vor.




16.


Als sie sich wieder umdrehte, sah sie den Doctor noch neben dem Postamente stehen, aber sein Gesicht war in starrem Hinüberblicken der Brücke zugewendet. Er war blaß geworden. Sein Profil mit den hartgeschlossenen Lippen unter dem Barte erinnerte sie an jenen Moment in der Schloßmühlenstube, wo sie ihn nach der Todesart ihres Großvaters gefragt hatte; er rang mit einer heftigen inneren Bewegung. Unwillkürlich folgte sie der Richtung seines Blickes, und wenn dort der Schatten der ertrunkenen Edelfrau über den Fluß hingeschwebt wäre, sie hätte nicht entsetzter aufschrecken können, als beim Anblicke der schönen Schwester, die so graziös, so vollkommen unbefangen über den Holzbogen daherkam, als sei sie gestern Abend mit einem „fröhlichen Wiedersehen“ auf den Lippen von hier weggegangen. War es möglich? Sie glitt schlangenhaft leicht über die Stelle, auf der sie sich für frei und auf immer getrennt von dem mißachteten Manne erklärt hatte; nur Stunden waren vergangen, seit sie seinem Heim, seinem Grund und Boden mit den härtesten Ausdrücken der Verachtung für alle Zeiten den Rücken gewendet, und jetzt kehrte sie das schöne, lächelnde Gesicht der „spukhaften Spelunke“ wieder zu; ihre Füße betraten flink und zuversichtlich den Rasengrund; keine Welle zischte empor, kein Lüftchen regte sich, um ihr von Schuld, Willkür und beispiellosem Wankelmuth vorzuflüstern, und der Sonnenschein umschmeichelte und vergoldete die feingliederige Gestalt, als sei sie ihm das liebste Erdenkind.

Sie war dunkel gekleidet. Schwarze reiche Spitzenkanten lagen auf den blonden Locken; sie umwogten den schneeweißen Hals und fielen in langen Enden tief über die Schultern hinab, wie die gesenkten dunklen Flügel eines Engels der Nacht. Hinter ihr ging der Commerzienrath; er sah sehr animirt aus; er führte die Präsidentin so respectvoll am Arme, daß sich Käthe alles Ernstes besann, ob sie von seinem höhnischen Blicke am heutigen Morgen und den Auslassungen über „die alte Katze mit den Sammetpfötchen“ nicht etwa nur geträumt habe.

Der Doctor ging jetzt langsam den Kommenden entgegen, während Käthe starr, wie festgewurzelt, am Schuppen stehen blieb und unbewußt den vorgeschobenen Riegel umklammert hielt. Sie sah, wie man sich gegenseitig begrüßte, genau wie sonst auch. Nichts Außergewöhnliches war geschehen, kein böses Wort gefallen. Der Commerzienrath umarmte beglückwünschend den Doctor; die Frau Präsidentin zeigte gütig und verbindlich lächelnd ihre weißen Zahnspitzen – und Flora? Ihre Wangen erschienen allerdings momentan wie in eine lebhafte Rosengluth getaucht, und der sonst so selbstbewußte Blick irrte vom Antlitze des Doctors weg auf den Rasen nieder, aber sie streckte in gewohnter biderber Weise die Hand aus, und die Fingerspitzen wurden erfaßt, wenn auch nicht festgehalten, ganz wie neulich bei Käthe’s Ankunft, und als sich Doctor Bruck umwandte, da waren seine Züge geradezu steinern ruhig.

Schon beim Betreten des Gartens hatte Flora die junge Schwester mit einem spöttischen Kopfschütteln vom Scheitel bis zu den Fußspitzen rasch gemustert und dann eine offenbar boshaft witzige Bemerkung über die Schulter zurück dem Commerzienrath hingeworfen, jetzt aber, als sie näher getreten war, sah Käthe, daß auch etwas wie unterdrückter Aerger, ja eine Art von Feindseligkeit in ihren blinzelnden Augen aufglomm.

„Nun, Käthe? Hast Dich ja schon recht hübsch hier eingenistet,“ rief sie ihr zu. „Thust ja wirklich, als seiest Du zu Hause und trügst den Schlüsselbund zu allen Thüren und Kästen am Gürtel.“


(Fortsetzung folgt.)




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_228.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)