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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

ist eine furchtbare weltgeschichtliche Lehre und Warnung, daß die schwarzen Orgien des Afterglaubens von La Salette, Lourdes und Paray-le-Monial und die rothen Orgien des Jakobinismus von La Roquette in demselben Lande und in derselben Zeit in Scene gesetzt worden sind.

Die Verhaftungen der Priester, Mönche und Nonnen war schon im April ein Lieblingsgeschäft der Kommunarden und wurde so eifrig betrieben, daß bis zum Ende des Monats wenigstens 200 Personen dieser Kategorie in der Conciergerie, in Mazas und La Santé eingekerkert waren. Etliche ließ man wieder laufen. Die Auslese behielt man vorderhand als „Geiseln“, um dieselben gelegentlich gegen von den Blauen gefangene Rothe auszuwechseln oder auch an diesen „Geiseln“ zu rächen, was die Versailler gegen Leute von der Kommune sündigten. Der Erzbischof von Paris, Darboy, wurde verhaftet in der ganz bestimmten Absicht, seine Freilassung Herrn Thiers anzubieten als Aequivalent für die Freigebung Blanqui’s. Herr Thiers fand es nicht gerathen, auf dieses Ansinnen einzugehen.

Die Verhaftung des Erzbischofs erfolgte am 4. April, Nachmittags 2 Uhr. Zugleich mit ihm wurden verhaftet seine Generalvikare Lagarde und Jourdan. Weiterhin die Abbés Surat, Petite, Blondeau, Cerze, Allard, der Pfarrer Deguerry von der Madeleine, sechs Dominikanermönche von Saint Jean de Beauvais, die Jesuiten Ducoudray, Caubert und Clerc, und diesen priesterlichen Gefangenen gesellte man den alten Herrn Bonjean, weiland Senator des Empire. Allein die Verhaftungswuth richtete sich nicht etwa nur auf Priester, auf Royalisten und Bonapartisten, sondern auch auf Republikaner, welche der Kommune nicht huldigten oder welche den Groll eines der Stadthaustyrannen auf sich gezogen hatten. Aus beiderlei Ursachen wurde der allgemein geachtete Republikaner Gustav Chaudey vom „Siècle“ eingekerkert, um später schandbar hingemordet zu werden. Es hatte den Bürger Rigault verdrossen, daß der arme Chaudey in ihm schlechterdings keinen großen Mann, sondern höchstens einen travestirten Danton sehen wollte.

Der Bürger Rigault blähte sich aber in der Polizeipräfektur wie ein Sultan des rothen Schreckens. Als der verhaftete Erzbischof von Paris vor ihn geführt wurde und den salbungsvollen Sermon erhob: „Liebe Kinder, ich bin kein Politiker; ich verstehe nur die Ausübung meines Friedensamtes. Liebe Kinder, denkt doch nach und bedenkt, was ihr thut!“ – da runzelte und rasselte ihn der Prokurator der Kommune an: „Was Kinder! Sie stehen hier nicht vor Kindern, Bürger, sondern vor einer Behörde. Und was Ihr Gepredige betrifft, so können Sie das beiseite lassen. Wir kennen das Zeug; seit achtzehnhundert Jahren macht ihr es der Welt vor.“ Der Erzbischof wagte von der Ungesetzlichkeit seiner Verhaftung zu reden. Aber da kam er übel an. „Pflichtvergessener Pfaffe!“ schrie ihm Rigault zu. „Sie, der Sie dem Meineid auf dem Throne geweihräuchert haben, Sie wagen es, das Wort Gesetzlichkeit im Munde zu führen?“

Leider war die brutale Abfertigung keine ungerechte, sondern eine nur allzu verdiente. Denn allerdings hatte Monseigneur Darboy, gleich seinem Vorgänger Sibour, vor der bekannten semitischen Nase des meineidigen Verbrechers vom 2. December huldigend und segnend das Weihrauchfaß herumgeschwungen.

Etliche Tage später, als der Erzbischof nach Mazas gebracht worden, ging der Doktor Demarquay, bekannt und beliebt wegen seiner unermüdlichen Fürsorge für die Verwundeten, den Beherrscher der Polizeipräfektur um die Freilassung des Prälaten an. „Wie mögen Sie sich um solches Pack kümmern?“ fragte Rigault lachend. „Wenn Sie nicht aufhören damit, lass’ ich Sie versohlen.“ Als aber der Arzt weiter in ihn drang, rief er zornig aus: „Unmöglich, Bürger Doktor! Die Losung unserer Revolution ist: Tod den Priestern!“




Im Generalstabsgebäude in Berlin.


Skizze von George Hiltl.


Auf den Häusermassen der Hauptstadt Berlin und deren Umgebung ruhen noch die Schleier, welche der Morgennebel webt. Allmählich zerreißt die heraufsteigende Sonne das luftige Gespinnst. Aus den flatternden Wolken, die, vom leichten Winde getrieben, durch die Baumreihen des Thiergartens, durch das Geäste und über die Dächer der nächstliegenden Häuser schweben, blicken die Umrisse zweier großen Denkmale hervor, welche, nicht weit entfernt voneinander stehend, sich zu grüßen scheinen: das Brandenburger Thor und die Siegessäule auf dem Königsplatze.

Beide Denkmale ergänzen einander. Die Göttin auf dem Viergespann, welches den kühnen Bau des Thores krönt, ist eine eherne Erinnerung an jene Zeiten, wo Preußen in die Waffen gerufen wurde, um im Bunde mit Oesterreich und Rußland den Feind zu bekämpfen, der sogar deutsche Waffen wider Deutsche zu führen wußte. Die Säule auf dem Platze aber redet von den Kämpfen, in welchen deutsches Blut geflossen durch Bruderhände, bis diese sich vereint gegen den gemeinsamen Feind wandten, denselben, der einst die Väter in Knechtschaft geschlagen.

Groß und gewaltig waren diese Zeiten, in denen aus allen Gegenden die Söhne des Landes von der Werkbank, vom Pfluge, aus der Studirstube, von der Staffelei herbeieilten, die Waffen zu ergreifen, eine zwar unfertige Mannschaft, nur mangelhaft geübt in der Führung der Waffe, aber muthig in die Reihen der Streiter tretend, als es galt, sich vor die Bajonnette der sieggewohnten Armee des gewaltigen Schlachtenkaisers zu werfen, um den Lauf seiner Massen aufzuhalten.

Anders gestaltete sich der Krieg, zu dessen Gedächtniß die hohe Säule errichtet wurde, auf deren Höhe die Göttin des Sieges schwebt, hoch in ihren Händen Kranz und Palme tragend. Dem dreisten Angreifer trat ein Heer entgegen, welches aus den Kindern des Landes gebildet, welches Eins geworden war mit den eisernen Pflichten, die Jedem gebieten, dem Heere sich einreihen zu lassen. Es war das Volk, welches seit den Tagen von 1813, 1814 und 1815 die Waffen in der That nicht aus den Händen gelegt hatte, sondern in steter Uebung erhalten worden war, gleichsam als solle es sich vorbereiten auf einen neuen und gewaltigen Kampf mit demselben gefährlichen Feinde – es war dieses Volk, welches gegen ihn marschirte und ihn zu Boden warf.

Die Erinnerung an jene Heldenführer, deren weise Schlachten-Berechnung die Väter der Kämpfer von 1866 und 1870 zum Siege geleitet hatte, schwebte noch um die Fahnen der Söhne und Enkel, aber auch die neuen Kämpfe sollten neue Männer der That wachrufen. Mit Staunen sah die Welt, wie ein mächtiges Genie seine Schwingen entfaltete, ungeahnt, unerwartet und durch ungeheure Erfolge die einst glanzvollsten Sonnen verdunkelnd.

Diese gewaltige Erscheinung ist Hellmuth von Moltke. Eine Aufzählung der Verdienste dieses großen Mannes wäre ein überflüssiges Unternehmen. Ueber Moltke ist von den Besten der Nation umfassend berichtet worden; er lebt in dem Munde des Volkes als Krieger und Denker und wird leben für alle Zeiten. Stets wird sein Name zusammen genannt werden mit den ruhmvollsten Erinnerungen des deutschen Volkes. Aber doppelt lebendig wird das Gedächtniß seiner Thaten, wenn wir durch die Halle des Brandenburger Thores schreiten, die breite mit Bäumen bepflanzte Straße bis zum Königsplatze und seiner Erinnerungssäule entlang. Es ist eine Etape, eine Etape des Siegesmarsches vom Thore bis zur Säule, und wenn die Strahlen des Morgenlichtes auf dem goldigen Erzblocke blitzen, prallen sie von demselben zurück und werfen ihren hellen, belebenden Schimmer bis zu dem monumentalen Hause an der Seite des Platzes hinüber, in dessen Räumen das Werk der Vertheidigung des Vaterlandes berathen wird.

Die Strahlen schlüpfen durch die Vorhänge der Fenster eines Zimmers; sie scheinen den Insassen desselben zu suchen. Der Morgen ist da – er hat den vornehmsten Bewohner dieses großen Gebäudes, er hat Moltke geweckt.

Mit dem Schlage halb sieben Uhr Morgens erhebt der Feldmarschall sich von seinem Lager. Die strenge Gewohnheit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_236.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)