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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

einer kleinen Prinzessin des Fürstenhauses und harrte so eben auf die Eröffnung des erhabensten Festactes, der Festtafel. Nun galt es seit Decennien als unantastbares Gebot des Ceremoniels, daß von allen Damen des Hofes nach den Prinzessinnen die Frau Landjägermeisterin Christiane Auguste von Gleichen den ersten Rang einnahm. Hatte doch selbst der Herr von Buttlar, als er vom Stallmeister zum Oberstallmeister avancirt war, für sich und seine Gemahlin vergeblich den Rang über Landjägermeisters einzunehmen gestrebt: die Frau von Gleichen behauptete ihren Platz, sie „maintenirte ihren Posten“, wie sie sich ausdrückte, und selbst der regierende Herzog, welcher außerhalb des Landes residirte, ließ es beim Alten bewenden. Der Herr von Buttlar aber kochte Rache, und schon heute gewährte sein Nebenamt als „Hof-Stabs-Commandant“ ihm die Genugthuung, dieselbe auf das Glänzendste auszuüben.

Schon stand im Saale die Festmahlzeit auf dem Tisch und der zum Gebet befohlene Page bereit, da trat der Herr Oberstallmeister von Buttlar als Hof-Stabs-Commandant mit dienstwonnigster Grandezza vor Frau von Gleichen hin, und mit der Stimme der triumphirenden Unterthänigkeit verkündete er ihr das Unglaubliche:

„Serenissimus haben befohlen, daß die Frau von Pfaffenrath den Rang vor allen Damens haben solle.“

Blieb auch unbegreiflicher Weise die Welt stehen vor diesem Gräuel, so stand doch eine Gestalt wie von einem Blitz getroffen da, dessen Feuer ihr aus den Augen sprühte, sodaß der Herr Hof-Stabs-Commandant erschrocken davor zurückwich. Ja, mit frisurerschütternder Energie protestirte die Frau Landjägermeisterin sofort gegen diesen Frevel an ihrer „Honneur“ und versuchte spornstreichs durch die in diesem Augenblick sich öffnende Thür zuerst in den Saal zu dringen. Aber teufelische List hatte sich gegen sie verschworen. Längst zum Sprunge bereit stand Frau von Pfaffenrath vor dem Thürspalt, und sobald die Flügel auseinanderschlugen, schlüpfte sie hinein, und Frau von Gleichen betrat wirklich erst als die Zweite den Festraum.

Das Entsetzliche ist geschehen. Die Säule heiliger Ordnung liegt im Staube. Eris schüttelt ihre Schlangen, – denn mit diesem Ereigniß stehen wir am Anfang des Wasunger Kriegs. – Soll ich schildern, mit welcher Andacht beide „Damens“ dem Gebete des Pagen gelauscht und mit welchen Gefühlen sie die Freuden der Festtafel genossen? Ich beichte vor aller Welt: Das ist mir zu schwer! Steht mir doch außerdem im Schildern noch fast Unbeschreibliches bevor, zumal die Frau Landjägermeisterin nach aufgehobener Tafel es nicht versäumte, die Erste an der Thür zu sein und wenigstens beim Ausgang aus dem Saale ihren „Posten“ als erste Dame des Hofs zu „mainteniren“. Diese kühne That war jedoch Missethat gegen „Serenissimum“. Frau von Gleichen war mit diesem Augenblick eine Majestätsbeleidigerin geworden, und die hochfürstliche Ungnade brach sofort über sie und über ihren Gemahl, den ganz unschuldigen Landjägermeister, furchtbar und unerbittlich herein.

War der Zorn des regierenden Herrn Herzogs, der in dieser großen Zeit zu Frankfurt am Main wohnte, nicht ein gerechter? War nicht wirklich die jüngere Schwester der Frau von Pfaffenrath eine hübsche Erscheinung, und wenn der liebreiche Mund derselben die unterthänigste Bitte vorbrachte, daß Durchlaucht gnädigst geruhen möchten, der Schwester um ihrer gräflichen Abstammung willen den ersten Damen-Rang am Meininger Hofe zu verleihen, – durfte der ritterliche Fürst eine solche Bitte abschlagen?

Allerdings kann nicht verborgen bleiben, daß besagte Meininger Schwester, als sie noch als Comtesse Wilhelmine Amalie von Solms-Lich bei den hochgräflichen Eltern auf Hohen-Solms lebte, sich in einen Diener des Hauses, den Messerschmiedssohn Justus Hermann Pfaffenrath, der als gräflicher Hofmeister und Secretär fungirte, ernstlichst verliebt hatte; – aber ist denn Lieben ein Verbrechen? Die Festigkeit dieser Liebe mußte sogar das höchste Wohlgefallen des Herzogs erregen, der ebenfalls, dem frivol-fürstlichen Grundsatz, daß es standesgemäßer sei, ein Dutzend edle Bürgermädchen zu Maitressen zu erniedrigen, als eine Bürgerliche zur Gemahlin zu erheben, schnurgerade entgegen, selbst eine Bürgerliche treu und ehrlich geheirathet hatte.[1] Als daher die junge Comtesse dem 1743 von Hohen-Solms vertriebenen Pfaffenrath unerschütterlich treu geblieben, sogar, nach ihres Vaters Tode, dem Flüchtling in hochromantischer Irrfahrt, „ziemlich abgerissen, nur mit einer Contouche bekleidet“ gen Wien nachgefolgt und schließlich, von der gerührten Mutter gesegnet, zu Oedenburg in Ungarn im Mai 1746 durch einen evangelischen Geistlichen mit ihm ehelich verbunden und Pfaffenrath noch obendrein geadelt war, nahm der Herzog sich des Paares an, ernannte den nunmehrigen Herrn von Pfaffenrath zum Hof- und Regierungsrath in Meiningen und gestattete der Gemahlin desselben den Hofrang nach ihrem Geburtsrang.

Für unsern beschränkten Unterthanenverstand wäre damit Alles in der Ordnung gewesen. Anders aber gestaltet in des Adels Häuptern sich die Welt. Frau von Gleichen, die ihr Leben lang „niemalen sensibler gewesen, als mit dem point d’honneur“, unterwand sich, selbst gegen den Herzog unerschrocken zu protestiren und ihren Posten zu mainteniren, erwirkte aber nichts als das höchste Rescriptum: „daß denen hoffärthigen und geschwülsichtigen Damen bedeutet werden solle, der Frau von Pfaffenrath ohne Anstand den Rang zu geben oder den Hof zu meiden.“

Den Hof zu meiden! Wer ermißt, was Das für eine alte Hofdame bedeutet? Athmen ohne Lebensluft. Und doch vermochte die tapfere Landjägermeisterin auch dies über sich zu bringen. Aber nun war das Rachekochen an ihr. Die voreheliche Romantik der Frau von Pfaffenrath wurde von einem alten Freunde der Frau von Gleichen einer ungeschminkten Schilderung unterzogen und von dieser gewissenhaft verbreitet, um ihren blanken Ehrenschild neben dem beschmutzten der „Pfaffenräthin“ aller Welt zu zeigen. Sie ahnte nicht, daß dieses „Pasquill oder libellum famosum“, als welches es dem Herzog zugesandt worden, ihr und des Landes schwarzes Verhängniß nur beschleunigte. Am letzten November dieses schicksalreichen Jahres wurde das alte Gleichen’sche Ehepaar zur Verantwortung vor die herzogliche Regierung geführt. Hier traf die Frau von Gleichen der herzogliche Befehl, sofort zur Pfaffenräthin zu gehen und derselben knieend und fußfällig Abbitte zu thun. Weil aber die selbstbewußte Frau, eher zum Tode entschlossen, sich dieses Schrittes weigerte und ihr Mann sie nicht dazu zu bewegen vermochte, so wurde dieser in ein ungesundes Gefängniß, das „Rosenthal“, eingesperrt, jene aber auf dem Rathhaus in Arrest gesetzt und dem täglichen Zuspruch der Geistlichen überliefert, die ihr das in Trotz verhärtete Gemüth erweichen sollten. Dies geschah ebenso eifrig als vergeblich; sogar ein Arzt, Dr. Koch, wurde den Herren Pfarrern zu Hülfe geschickt, aber auch jeden seiner Angriffe schlug die tapfere Frau zurück, ja es regte der landjägermeisterliche Geist sich so heftig in ihr, daß sie betheuerte: sie werde sich eher eine Kugel vor den Kopf schießen, als die ihr angesonnene Infamie begehen. Auf diese Rede hin erklärte der Herr Doctor sie kurzweg für verrückt. Offenbar dieser Diagnose zu Ehren wurden der Gefangenen zwei Mann Wache in’s Zimmer gestellt, Gabel, Messer und Scheere als zu gefährliche Waffen weggenommen und die Speisen gleich zugeschnitten gereicht. Diese Maßregel dauerte zwar nur vierundzwanzig Stunden, aber immerhin bewies sie, daß der Doctor besser, als die Geistlichen, es verstanden hatte, auch die „honneur“ seines Standes „zu mainteniren“.

Hatte Frau von Gleichen immer noch gehofft, daß der Herzog ihrer schriftlich eingereichten Bitte willfahren und ihr gestatten werde: „um ihre Ehre zu conserviren, ihre Defension gegen die Pfaffenräthin führen zu dürfen“, so mußte sie nun das Gegentheil erfahren. Der Herzog bestand nicht nur auf der „knieenden und fußfälligen Abbitte“, sondern er fügte die Drohung hinzu: „wofern dies nicht geschehe, solle ihr ein terribler Schimpf widerfahren, daß sie auf ewig prostituirt wäre“.

Wäre ich gewohnt, mit dem Hute auf dem Kopfe zu schreiben, jetzt nähme ich ihn herunter, denn alle Achtung verdient eine Frau, deren „point d’honneur“ selbst vor einer so fürchterlichen Drohung unerschüttert bleibt. Noch zweimal wurde das treue Ehepaar vor die Regierungsräthe geführt, noch zweimal vernahmen diese das standhafte „Non possumus“ desselben, dann

  1. Näheres am Schluß des zweiten Artikels.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_256.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)