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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Freiligrath hing zeitlebens mit rührender Liebe an seinen Eltern und bewahrte ihnen ein treues Gedächtniß. Als ich einst Nachforschungen nach seiner Mutter Grab vergebens anstellte, schrieb er mir:

„Ich wußte, daß das Grab der guten Mutter längst eingesunken und nicht mehr aufzufinden ist. Meinem theuren, unvergeßlichen Vater gestatteten seine Verhältnisse nicht, die Stätte mit einem Gedenksteine zu bezeichnen; zehn Jahre nach dem Tode der Mutter verließ er Detmold für immer – und wieder zwei Jahre später starb er selbst. Mich aber hat es seitdem hin und her getrieben, und ich habe den lieben Eltern, der Mutter wie dem Vater, nur eine gemeinsame und unantastbare Ruhestätte bewahren können – in meinem Herzen. Auch zwei Schwestern von mir ruhen auf dem Detmolder Kirchhofe; der Hauch des Waldgebirges rauscht schon über ein halbes Jahrhundert durch die Gräser auf den kleinen Hügeln.“ –

Ferdinand Freiligrath auf seinem Sterbesessel,
eine Stunde nach dem Tode aufgenommen.

Das Elternhaus wurde vom Knaben für immer verlassen, als der Vater seine Detmolder Lehrerstelle mit einer einträglicheren in Soest vertauschte. In der alten, einst blühenden Hansastadt finden wir den Jüngling als Kaufmannslehrling zwischen den Waarenballen in den Lagerhäusern oder hinter dem Ladentische des angesehensten Soester Productengeschäftes wieder. In Freistunden, die er freilich meistens dem Studium fremder Sprachen widmete, wurde dann und wann auch wohl gejagt. Von Soest begleiten wir den jungen Kaufmann nach Amsterdam, belauschen seine Thätigkeit hinter den großen Hauptbüchern eines holländischen Bankhauses und jauchzen seinen ersten farbensprühenden, mit dem mark- und saftlosen Hergebrachten so grell, aber wohlthuend contrastirenden poetischen Schilderungen des Orients und Südens. Im Liede der irischen Wittwe ahnen wir den Humanisten und künftigen socialen Dichter, den geschworenen Feind aller Unterdrücker. Wir ziehen mit ihm in’s Wupperthal, sind Zeugen des Freundschaftsbündnisses, den edle, gleichgesinnte Männer mit dem Dichter schließen, und sehen ihn gern einem Berufe entsagen, der sich mit Bleigewicht dem Fluge seines Genius anhängt.

Es folgen Jahre ungetrübten Glückes in Unkel, wo er durch Goethe’s Enkel seine spätere Gattin, Ida Melos aus Weimar, kennen lernt, in Darmstadt, wo er für seinen jungen Hausstand ein Heim zu gründen sucht, in St. Goar, unter dessen Nußlaub-Alleen er mit Emanuel Geibel eine herrliche Poetenzeit verlebt und die entzückenden Lieder „zwischen den Garben“ entstehen. Dann zechen wir in der August-Nacht mit ihm und Hoffmann von Fallersleben im Coblenzer „Riesen“ und drücken ihm dankerfüllt die Hand, wenn er, alle selbstischen Interessen aufgebend, sich voll und ganz der Volkssache, den Mahnungen nach einem liberalen, verfassungsmäßigen Staatsregiment anschließt. Wir zünden mit ihm im Schweizer Exil die Weihnachtskerzen für sein erstes Töchterchen, sein Käthchen, an und beklagen sein hartes Geschick, das ihn auch von dort wider seinen Willen in ein unstätes Wanderleben trieb. Wir begleiten das Schiff mit unseren Segenswünschen, das den Emigranten nach Englands gastfreier Küste trägt, aber wir fühlen uns selbst gedemüthigt, wenn sein geldprotzender Cityprincipal ihn damit empfängt, daß es für seine Stellung nicht passe, einen Schnurrbart zu tragen.

Dann kommen die „Sturm- und Drangjahre“. Es erscheinen vom Rheinlande – Düsseldorf und Cöln – die wilden Kampfgesänge, welche den politischen Leisetretern heute noch Nervenzuckungen verursachen. Die Kurzsichtigen, die nicht wissen oder verstehen wollen, daß Freiligrath ein Kind seiner Zeit war, daß diese anfeuernden Lieder einer politischen That gleichkamen und in der Entwickelungssache unseres Freiheitskampfes so nothwendig waren, wie die Sehne auf der Armbrust des Schützen!

Und nach der großen Erhebung – ja, da athmen wir in Londons Gassen mit dem Exilirten wieder Englands Nebel; wir sehen ihn im sauern Frohndienste sich abmühen, das harte Brod der Fremde essen, ohne Klage, ohne Haß und nur dann und wann seine Seele den Wunsch durchzittern, sein Volk glücklich zu wissen und den letzten Weihnachtsbaum im Vaterlande anzünden zu können für „sein Kleeblatt Fünf, die früh um ihn Gehetzten“.

Es sind goldene Worte, die er mir schrieb:

„Ich hab’ ein Weib und Bübchen zwei,
Die brauchen Zeug und Haferbrei, –
Du weißt, mein Herz ist stolz und frei,
Doch Besen schneiden,
Holz hacken will ich, eh’ die Drei
Je Noth mir leiden.

Dies ist ein Vers von Robert Burns, den ich nicht nur übersetzt, sondern selbst gemacht haben möchte; so sehr drückt er mein eigenes Wollen und Empfinden aus. Wie oft in den ‚Holzhackertagen des Exils‘, als ich für ‚Bübchen drei und Mädchen zwei‘ zu sorgen hatte, sind diese Worte (und das ganze Gedicht, dem sie entnommen sind) mir Trost und Ermunterung gewesen!“

Im Jahre 1867 faßten hochherzige Freunde des Dichters den Entschluß, den Exilirten zurückzurufen und ihm auf deutscher Erde ein Heim zu gründen. Der Aufruf, durch Emil Rittershaus’ „Meistersang“ eingeleitet und durch die „Gartenlaube“ energisch unterstützt, ist bekannt. Freiligrath schlug seine Wohnung am Neckar auf und erlebte es 1868 und 1869, daß ihn zuerst Rheinland im Gürzenich und dann Westfalen in Bielefeld und Detmold begeisterungsvoll als „besten, treuesten Sohn der rothen Erde“ begrüßte. – Im Dichterhause zu Stuttgart wurde es, nachdem Käthchen und Louise sich nach London an deutsche hochgeachtete Kaufleute verheirathet, und Wolfgang, der älteste Sohn, nach dem Westen Amerikas gezogen, immer stiller. Die Liebe seines Volkes verklärte den Lebensabend des Dichters, und er selbst sonnte sich im Glücke seiner geliebten Kinder. Seine Briefe aus jener Zeit verrathen die stillglückliche Stimmung des Unvergeßlichen, unterbrochen nur von dem Kriegsgeschreie der Jahre 1870 und 1871. Die Siege unserer Armee begleitete er mit den herrlichen Liedern, die unter der Sturmliteratur jener Zeit den ersten Rang einnehmen. Seinem Sohne Wolfgang folgte im „Dienste der Menschlichkeit als Krankenpfleger des Schlachtfeldes“ der väterliche Segen, und dankbar und hoffnungsvoll begrüßte der Dichter die neue Zeit, die so manche Ideale erfüllte, für die er in rüstigen Mannesjahren gelitten und gekämpft. Aber mitten in das Stillleben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_270.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)