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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

seines neuen Heims fuhr ein jäher Blitzstrahl. Am 1. März 1873 Abends starb sein Sohn Otto, der als Freiwilliger im Stuttgarter Grenadierregiment diente, im Alter von zweiundzwanzig Jahren am Scharlachfieber. Freiligrath hatte von jeher seine Kinder unsäglich lieb gehabt und konnte diesen Verlust nie verschmerzen. Wie der Eichbaum, wenn ihm die Wurzel abgeschnitten wird, verdorrt und abstirbt, so siechte der Schwergeprüfte seit jenem Tage dahin. Anfänglich hoffte er, ein Aufenthalt in England bei seinen Kindern und Enkeln werde ihm

Freiligrath’s Ruhestätte auf dem Ufkirchhofe bei Cannstatt.
Nach einer am Begräbnißtage aufgenommenen Originalzeichnung.

einige Tröstung bringen, aber zurückgekehrt schrieb er mir im Herbste desselben Jahres:

„Mir ist oft weh’ um’s Herz, wenn ich denke, wie weit, weit unsere Kinder draußen in der Welt sind. Wir fühlen uns sehr einsam, meine arme Frau und ich. Du kannst dir denken, wie uns um’s Herz war, als wir hier die Räume wieder betraten, in denen wir so unsägliches Weh erleben mußten. Und wie am ersten Tage, so ist es jeden Tag. Der geliebte Schatten ist um uns, wo wir gehen und stehen. Die Zeit schwächt unsern Schmerz nicht ab und soll es auch nicht.“

Noch einmal lächelte dem vor Gram weißgewordenen Manne ein glücklicher Tag, als sein Sohn Wolfgang sich mit einem vortrefflichen englischen Mädchen, einer Perle von Frauenzier, verheirathete. Seine Muse, die sonst bei fröhlicher Veranlassung sich in muntern Weisen hören ließ, hatte an diesem Tage nur einen Geistergruß des todten Sohnes an den Bruder. Kleinere Uebersetzungen abgerechnet, verstummte der Sänger seit dem Tode des Kindes; die Saiten der Leyer waren eben jäh zerrissen. Da jenes Hochzeitsgedicht das letzte des Dichters ist, sein eigentlicher Schwanensang, und es bislang nur im Manuscript existirt, so mag es für die Leser der „Gartenlaube“, nach gütig ertheilter Erlaubniß der Frau Ida Freiligrath hier folgen. Es wird wohl Keiner diesen Schmerzensschrei ohne tiefe Rührung lesen können. Die Thränen des Vaters, welcher im Namen seines heimgegangenen Sohnes spricht, perlen gleichsam in jedem dieser wehmüthigen Verse.

Otto zu Wolfgang’s Hochzeit, 5. Juni 1873.

Es fällt ein ernster Schatten,
O Bruder, auf Dein Fest,
Wie ernst auf sonnige Matten
Gewölk ihn fallen läßt;
Er dunkelt ob Deinem Weine,
Er senkt sich auf Dein Brod:
Der Schatten, den ich meine,
Der Schatten ist mein Tod.

Du kehrtest auf fernen Wegen,
Zu holen Dir die Braut;
O Wolf, wie hab’ ich entgegen
Dir Kehrendem geschaut!
O Wolf, wie wollt’ ich heute
Mich deines Glückes freu’n:
Nun tönt mein Grabgeläute
In deinen Hochzeitreih’n.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_271.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)