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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

annoch ein anderes „monument dépravateur“ zu zerstören, d. h. die „Histoire du consulat et de l’empire“ von A. Thiers auf dem Vendômeplatze zu verbrennen.

Man sieht, die Fanatiker aller religiösen wie aller politischen Glaubensbekenntnisse sind mit dem Verbrennen geschwind bei der Hand. Der Marschall Mac Mahon kannte und traf die Stimmung der Franzosen jedenfalls besser denn die Spektakelmacher der Kommune, als er die Nachricht von der Zertrümmerung der Säule mit einem Tagesbefehl an seine Soldaten beantwortete, worin er sagte: „Die Vendômesäule ist gefallen. Sie, welche der Feind geschont, die Kommune von Paris hat sie zerstört. Leute, welche sich Franzosen nennen, haben es gewagt, angesichts der Deutschen, deren Blicke auf uns gerichtet sind, diese Bezeugung der Siege unserer Väter gegen das verbündete Europa zu zerstören. Hofften etwa die ehrlosen Urheber dieses Attentats auf den nationalen Ruhm, damit die Erinnerung an die kriegerischen Tugenden auszutilgen, deren glorreiches Symbol dieses Denkmal war? Nein, die Erinnerungen, an welche die Säule uns mahnte, werden in unseren Herzen fortleben und wir werden, durch sie begeistert, Frankreich ein neues Unterpfand unserer Vaterlandsliebe, Hingebung und Tapferkeit geben.“ Das war französisch zu Franzosen gesprochen, und das ganze Gebahren der Soldaten des Marschalls während des jetzo anhebenden Verzweiflungskampfes um den Besitz von Paris hat den Beweis geliefert, daß sie diese Sprache verstanden und befolgten.

Am folgenden Tage, 17. Mai, hielt die Kommune eine ihrer wichtigsten Sitzungen. Es handelte sich dabei um die Ausführung ihres schon am 7. April erlassenen Dekretes inbetreff der Geiseln, dessen 6 Artikel also lauteten: 1) Jede Person, die des Einverständnisses mit der Versailler Regierung beschuldigt wird, soll sofort in Anklagezustand versetzt und in Haft genommen werden. 2) Eine Anklage-Jury wird binnen 24 Stunden eingesetzt, um von den Verbrechen, die ihr überwiesen werden, Kenntniß zu nehmen. 3) Die Jury entscheidet binnen 48 Stunden. 4) Alle Angeklagten, die durch den Urtheilsspruch der Anklage-Jury gefangen gehalten werden, sind die Geiseln des Volkes von Paris. 5) Jeder Tödtung eines kriegsgefangenen Anhängers der Kommune von Paris folgt sofort die Tödtung einer dreifachen Anzahl von Geiseln, die auf Grund des Artikel 4 gefangen gehalten sind und durch das Loos bezeichnet werden sollen. 6) Jeder Kriegsgefangene wird vor die Anklage-Jury geführt, welche entscheiden wird, ob er in Freiheit gesetzt oder als Geisel zurückgehalten werden soll.

Plagiat wiederum, nichts als Plagiat! Das ganze Machwerk war nicht dem Text, aber dem Sinne nach nur ein Abklatsch des „Gesetzes in Betreff der Verdächtigen“, welches der Konvent im August von 1793 erlassen hatte.

Die in vier Sektionen getheilte Anklage-Jury trat sofort in Thätigkeit und verwies zunächst 36 arme Teufel von pflichttreuen Gensdarmen und Stadtsergeanten, welche sich in ihrer Gewalt befanden, in die lebensgefährliche Kategorie der „Geiseln“. Es war das nur ein geschminktes Todesurtheil, gerade soviel werth wie die Verdikte, welche der „Bürger“ Maillard inmitten des Blutdampfes der Septembermetzelei von 1792 in der „Abtei“ gefällt hatte.

Es existirt eine Zeugenaussage des Herrn Rousse, Stabträgers der Advokaten von Paris, welche in drastischer Weise das Amten des Bürgers Delegirten beim Justizwesen, Protot, im Justizministerium und das des Bürgers Prokurator der Kommune, Rigault, im Justizpalast beleuchtet. An beiden Orten ging es formlos und etwas pöbelig zu, doch nicht tumultuarisch. Herr Rousse versuchte muthig zu Gunsten des Erzbischofs Darboy und des auf eine Angeberei von seiten des „Père Duchêne“ hin verhafteten Redacteurs und Advokaten Chaudey zu interveniren. Natürlich umsonst. Der Bürger Rigault – „ein kleiner Mensch von etwa dreißig Jahren, brünett, mit einem Vollbart, einem harten Gesichtsausdruck und einem breiten rothen goldgeränderten Band im Knopfloche,“ wie Rousse ihn beschreibt – gab auf die gelegentliche Frage seines Besuchers: „Wie viele Priester haben Sie denn verhaften lassen?“ die Antwort: „Ich weiß es nicht genau, aber jedenfalls lange nicht genug.“ Auf ein Besorgnißwort des Herrn Rousse, ob nicht eine Wiederholung der Septembermorde von 1792 zu befürchten wäre, entgegnete Bürger Rigault beschwichtigend: „Oh, fürchten Sie nichts derartiges! Wir sind ganz und gar die Herren und Meister des Volkes.“

In der That, das waren sie. Wie ein wohldressirter Pudel die Winke und Worte seines Herrn, also befolgte das Volk von Paris die Anordnungen und Befehle der Stadthausgebieter. Dadurch kam Ordnung in die Unordnung, Methode in den Wahnsinn. Die Regierungsmaschine arbeitete so regelrecht wie eine andere. Abgesehen von der dem Systeme anhängenden Unannehmlichkeit, daß niemand auch nur eine Stunde sicher war, für den Dienst in der Bürgerwehr gepreßt und den Kugeln der Blauen entgegengetrieben oder als des Einverständnisses mit Versailles verdächtig verhaftet und den Geiseln beigesellt zu werden, abgesehen auch von dem Aergerniß für fromme Seelen, daß die Kirchen geschlossen oder in Klubblokale verwandelt waren, konnte man in Paris während der zweiten Belagerung ganz anständig, ja vergnüglich leben. Viele, sehr viele Leute lebten auch wirklich ganz vergnüglich in den Tag und vergnüglichst in die Nacht hinein. Von einem bis zum Morgengrauen verlängerten Bakchanal auftaumelnd, fuhren Lebemänner und Liebeweiber mitsammen nach den Champs Elysées hinaus, um sich am Anblick der Flammenfurchen zu ergötzen, welche die von diesseits und jenseits des Stromes sich kreuzenden Bomben und Granaten in der Luft hinter sich herzogen. Die Theater waren überfüllt, und während von der Umwallung her der Kanonendonner dröhnte, wollte sich das Publikum über Possen wie „Die dreischnäbelige Ente“ und andere ähnliche fast zu Tode lachen.

Und was gab es nicht täglich auf den Straßen zu begaffen! „La mère Commune“ sorgte ja beflissentlichst, daß es nie an Spektakeln fehlte. Eines schönen Aprilmorgens veranstalten wir auf dem Boulevard Voltaire zu Füßen der Statue des Patriarchen von Ferney einen „Auto de fé“, aber keinen spanischen Glaubensakt, sondern einen, wie er uns Bürgern der Republik Utopia geziemt. Angesichts einer ungeheuren Menschenmenge zertrümmern wir feierlich eine Guillotine, „die der Tyrann Thiers hat neu anfertigen lassen“, und verbrennen die Trümmer des vermaledeiten Mordinstruments, welches der Menschenbruderschaft hohnspricht, feierlichst auf einem zu diesem Zwecke geschichteten Holzstoße. Wozu denn soll uns noch die umständliche Wegsäuberungsmaschine des Doktors Guillotin, da wir die einfacheren, expeditiveren, „wunderwirkenden“ Chassepots haben? Der Wonnemond bringt uns reichen Wechsel von Augenweide. Wir sehen das verfehmte Haus am St. Georgsplatze einreißen, sehen die Vendômesäule fallen, und nachdem am 17. Mai die große Munitionsfabrik auf dem Marsfelde in die Luft geflogen – zweifelsohne eine teuflische Bosheit der Blauen! –, veranstaltet die Kommune den mehr als hundert Opfern der Explosion einen Bestattungspomp, welcher die ganze Majestät der Trauer und der Rache zur Schau stellt. Und sind nicht Tag für Tag die Schaufenster der Kaufläden von Karikaturen voll, die so drastisch, daß sie sogar unseren Loretten und Biches und Kokotten unter dem Roth ihrer Schminke noch ein anderes Roth auf die Wangen jagen? Und regnet es nicht täglich geistreiche und zwanglose Bonmots? Was kommt dem Witze gleich, den der Bürger Prokurator der Kommune riß, indem er einem Pfaffen, welcher ihn gebeten, seine Amtsbrüder in Mazas besuchen zu dürfen, diesen Passirschein ausstellte: „Ein gewisser N. N., welcher sich für den Diener eines gewissen Herrn Gott ausgibt, darf ein- und ausgehen.“

Sodann steht es uns frei, die in den Sälen der Tuilerien zur Ergötzung des „peuple souverain“ von seiten der Kommune veranstalteten Koncerte zu besuchen, oder aber wir verbinden das Angenehme mit dem Nützlichen, die Uebung unserer Bürgerpflicht mit dem Amusement, indem wir einen der in den weiland Kirchen debattirenden Klubbs besuchen, wo es Abends immer laut und lustig hergeht und Damen in Menge vorhanden sind – Damen, sag’ ich euch, wie sie im Pandämonium sein müssen. Etliche dieser Klubbs treiben die Liberalität und Toleranz bis zum Exceß. So ist z. B. am Eingange der Kirche Nikolas des Champs in der Rue St. Martin die Klubbordnung angeschlagen, welche also lautet: „1) Von heute an finden die Klubbsitzungen und der Gottesdienst in demselben Lokale statt. 2) Um der Einträchtigkeit willen wird der Priester die Gläubigen anreden: Bürger! und die Klubbredner ihrerseits werden sagen: Meine Brüder! 3) In der Sakristei ist eine Wirthschaft eingerichtet, damit die Bürger,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_274.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)