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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

welche der Messe angewohnt haben, die Eröffnung der Klubbsitzung abwarten können, ohne die Kirche zu verlassen. 4) Den Klubbrednern ist untersagt, das als veraltet abgeschaffte Wort Gott in den Mund zu nehmen.“

In diesem „duldsamen“ Klubb stand eines Abends die These: „Verachtung der Gesetze und Umsturz aller Einrichtungen sind die ersten Pflichten eines freien Mannes“ – auf der Tagesordnung. Hier, in der Kirche Nikolas des Champs, hörte ein deutscher Ohrenzeuge am Abend vom 14. Mai einen Vortrag mit an, gehalten von einer Emancipirten, einen raren Vortrag über die Rechte der Frauen. Die Vorträglerin kam zu dieser Schlußfolgerung: „Die Männer sind dazu da, um viel, sehr viel Geld zu verdienen und nur um Geld zu verdienen; die Frauen dagegen, um 1) dieses Geld auszugeben und um 2) möglichst wenige Kinder zu haben. Denn die Kinder sind nächst den Regierungen das größte Uebel auf Erden. Je mehr es Menschen gibt, desto mehr vertheilt sich der Besitz, folglich desto mehr Armuth. Wir Französinnen haben den wesentlichen Vorzug vor den Frauen anderer Nationalitäten, daß wir keine solchen Fruchtbäume sind, wie z. B. die Deutschinnen und die Engländerinnen, welche, das ist klar, ebenso langweilig als kostspielig sind.“ Zu derselben Zeit, vielleicht an demselben Abend, wohnte ein französischer Ohrenzeuge der Klubbsitzung in der Kirche Saint-Jacques an. Hier ging es schon weniger tolerant zu: Gott, Priester und Gottesdienst wurden nicht geduldet. Das Becken beim Eingang enthielt statt des Weihwassers Tabak. Der Altar diente zum Schenktisch und war mit Flaschen und Gläsern besetzt. Der Statue der Muttergottes in einer Seitenkapelle hatte man die Uniform einer Marketenderin angethan und eine Tabakspfeife in den Mund gesteckt. Auch hier überwog die Anzahl der Bürgerinnen die der Bürger weit und „ein großer Theil dieser Patriotinnen erfreute sich mit gerechtem Stolze einer Nase, deren Roth würdig gewesen wäre, auf den Zinnen des Hotel de Ville zu flattern“. Von der Kanzel herab, welche als Rednerbühne diente, donnerte ein emancipirtestes Frauenzimmer gegen das „abscheuliche Institut der Ehe“. Unter großem Beifall argumentirte die Rednerin: „Die Ehe, vielgeliebte Mitbürgerinnen, ist der größte Irrthum der alten Gesellschaft. Verheirathet sein und Sklave sein ist ganz einerlei. Wollt ihr Sklaven sein? (Nein! Nein!) In einem wahrhaft freien Staate müßte die Ehe gar nicht geduldet werden, man sollte sie für ein Verbrechen ansehen und strenge verbieten. Denn niemand hat das Recht, mittels Preisgebung seiner eigenen Freiheit seinen Mitbürgern ein schlechtes Beispiel zu geben. Die Ehe ist, wie leicht zu beweisen, nichts als ein fortwährendes Attentat auf die guten Sitten.“ (Beifallssalve.) Ein dritter zahlreich besuchter Weiberklubb trieb seine Mummereien in der Kirche Saint-Ambroise. Hier war besonders die „totale Abschaffung der Religion“ das Thema, über welches das Geschnatter der tollgewordenen Gänse sich ausließ. Im Klubb der Kirche Saint-Eustache dagegen führten sich die Weiber verhältnißmäßig konservativ auf und fistulirten mitunter heftig gegen die Maßnahmen der Kommune.

Das Jahr 1793 hatte seine „Strickerinnen Robespierre’s“ und seine „Guillotinefurien“ gehabt; das Jahr 1871 hatte seine „Amazonen“ und seine „Marketenderinnen der Kommune“. Alte Narrheiten kehren in neuen Verkleidungen immer wieder. Die Weltgeschichte würde ja ein unausstehlich trauriges Trauerspiel sein, wenn sie nicht zugleich ein lustiger Karneval wäre. Welche Sorte von Weibern in den Rollen von Amazonen und Marketenderinnen sich gefiel, braucht nicht erörtert zu werden. Doch ist um der Wahrheit willen zu sagen, daß nicht lauter Auswurf in die bewaffneten Weiberbanden – es sollen an den letzten verzweifelten Kämpfen der Kommune an 10,000 Streiterinnen theilgenommen haben – sich einreihen ließ. Jugendgrüner Enthusiasmus oder die gefrorene Verbitterung des Altjungfernthums machten auch reinere Frauen zu Amazonen. Dies gilt z. B. von der jungen Russin Demitriew, welche die erste Anregung zur Weiberbewaffnung großen Stils gegeben, und von der ältlichen Institutrice Louise Michel, der ihr heldisches Fechten dem Namen einer „Jeanne d’Arc der Kommune“ eintrug und die auch nachmals vor dem Kriegsgerichte zu Versailles noch die ganze Unbeugsamkeit einer Fanatikerin bewies. Wenn das Weib einmal die Schranken der Weiblichkeit übersprungen hat und in der Region der Extreme sich herumtreibt, überbietet es bekanntlich den Mann an Wildheit und Wuth. Das Amazonenthum von 1871 war demnach häufig genug reines oder vielmehr unreines Megärenthum. Eines Apriltages tritt so ein streitbares Weib, das Gewehr mit blutigem Bajonnett über die Schulter gehängt, in der Rue de Montreuil in einen Laden. Eine anwesende Bürgersfrau, welche die Eintretende kennt, sagte zu ihr: „Wäre es nicht besser, Sie blieben zu Hause und pflegten Ihre armen Würmer?“ Sofort wirft sich die Kommunesoldatin auf die Frau, beißt sie in den Hals, springt dann etliche Schritte zurück und reißt wüthend ihr Gewehr von der Schulter, um auf die Gegnerin Feuer zu geben. Aber plötzlich überzieht eine fahle Blässe ihr Gesicht; sie läßt die Waffen fallen, stürzt selber zu Boden und ist todt. Die Wuth hatte ihr eine Herzader zerrissen.

Wollt ihr den sittlichen oder unsittlichen Zustand einer Zeit, eines Ortes kennen, so fragt dem Weibe nach. Wie die Frau, so die Gesellschaft. Das Paris der Kommune war ein ungeheures Freudenhaus. Les’t die Schilderungen der Augen- und Ohrenzeugen Bacciocco, Schneider und Mendès. Der letztgenannte schrieb in sein Tagebuch, einer seiner Freunde habe, empört über die Frechheit, womit das Laster auf den Boulevards seine schmachvollen Triumphe feierte, die düsteren Worte zu ihm gesprochen: „Wann Paris vollständig zerstört sein wird, wann seine Häuser, seine Paläste, seine Denkmäler, in Trümmer und Staub zerfallen, den verfluchten Boden bedecken und der Himmel nur noch auf eine ungeheure Ruine herabsieht, dann wird man aus dieser unermesslichen Todtenstadt das Gespenst eines Weibes auftauchen sehen, ein Skelett, mit gleißender Robe angethan, entblößt bis unter die Rippen, den Schädel aufgeputzt mit falschen Locken und flimmerndem Geschmeide, und dieses von Trümmerhaufen zu Trümmerhaufen wankende Gespenst wird zeitweise den Kopf umwenden, um zu sehen, ob nicht irgend ein ebenfalls ins Leben zurückgerufener Wüstling ihm in diese Oede folge, und dieses schauerliche Gespenst wird der verfluchte Schemen der Sünderin Paris sein.“




Geschichten aus der Geschichte.


1. „Sie maintenirte ihren Posten“.


II. Der Feldzug.

Pechfackelflammen spiegeln sich unheimlich in den blanken Waffen und Monturstücken einer nächtlichen Heerschaar und werfen ihren rothen Schimmer auf die bereiften Tannen des Hochwalds und die schneebedeckten Hohlwege und Bergstraßen, auf welchen Roß und Mann in tiefem Schweigen langsam vorrücken. Seit ein Uhr nach Mitternacht marschirt alle Mannschaft in die Finsterniß hinein, und Niemand weiß wohin. Nur Einer, der oberste Führer, ist in das Geheimniß eingeweiht, aber Das weiß er auch nicht, daß die Thaten, die durch sie von heute an zu verrichten sind, einst in der Geschichte ewig prangen sollen als „der Wasunger Krieg“.

Unsere Leser haben es leicht, sofort zu ahnen, daß wir hier dem Reichs-Executions-Corps begegnen, welches der Herzog von Gotha-Altenburg gegen den Herzog von Meiningen in’s Feld gestellt hat und das nun über dem eisumstarrten „Rosengarten“ des Thüringerwaldes gegen das Feindesland heranzieht. Der Tag dieses Nachtzuges war der 13. Februar 1747.

Als Herzog Friedrich am 11. Februar die gegen Meiningen bestimmten Executionstruppen auf dem Schloßhofe des Friedenssteins in Gotha musterte, betrugen dieselben 29 Officiere und 891 Mann, darunter 6 Officiere, ein Feldscheer und 123 Mann Cavallerie, ferner 10 Stück Geschütze, einen Mörser und 18 Bombarden, sowie einen Rüst-, einen Munitions- und drei Compagniewagen. Diese gesammte Macht marschirte jedoch nicht auf einmal aus, sondern in Abtheilungen, die durch Dragoner-Relais

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_275.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)