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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

„Das will Alles in Allem sagen, daß Käthe für die Besuchszeit dieser wildfremden und anmaßenden Frau Baronin im Wege ist,“ fuhr Henriette scharf und zornig heraus.

„Ich habe mich bereits erboten, in die Mühle zu gehen,“ sagte die junge Schwester ohne eine Spur von Empfindlichkeit und strich beschwichtigend mit der Hand über Henriettens Haar.

„O nein, da weiß ich etwas Besseres, Käthe – wenn Du denn einmal weichen mußt,“ rief die Kranke mit aufleuchtenden Augen. „Wir bitten die Tante Diakonus um das liebe, traute Fremdenzimmer für Dich; ich weiß, sie wird ganz glücklich sein, Dich drüben zu haben, denn Du bist ja ihr Augapfel. … Dein Flügel wird hinübergeschafft, und da darf ich dann auch kommen, so oft ich will“ – sie verstummte plötzlich mit einem Blicke auf den Doctor. Dieser hatte sich zuerst abgewendet und durch das Fenster gesehen, und jetzt kehrte er ihr das tiefverfinsterte Gesicht zu, und das, was sie aus seinen Augen ansprühte, war heftiger, zürnender Widerspruch; sie traute ihren Sinnen kaum – er war gar nicht mehr er selbst.

„Ich finde es praktischer und schlage deshalb vor, daß der Knabe mit seiner Erzieherin in meinem Hause einquartiert wird,“ sagte er kalt und gezwungen.

Die Präsidentin rückte und zupfte verlegen an der Schleierwolke unter ihrem Kinn, auch konnte sie ein flüchtiges, ironisches Lächeln kaum unterdrücken. „Das wird sich schwerlich arrangiren lassen, bester Hofrath,“ versetzte sie. „Meine alte Freundin wird sich um keinen Preis von Job trennen wollen, und dann – Sie haben keinen Begriff davon, wie entsetzlich verwöhnt der Junge ist. Unser kleiner, lieber Erbprinz ist nicht so exquisit logirt, wie dieser einzige und letzte Sproß der Brandau’s; das dürre, häßliche Kerlchen schläft unter Atlasdecken und seidensammtenen Vorhängen. Mein Gott ja, die Familie kann das, und findet solch eine luxuriöse Umgebung selbstverständlich. Unsereins kommt aber in Verlegenheit, wenn es gilt, sie zu logiren.“

„Und weshalb ziehst Du es vor, das kleine Scheusälchen – dieser gefeierte letzte Sproß der Brandau ist nämlich der ungezogenste, nichtsnutzigste Bengel, den die Welt hat – der armen Tante Diakonus in’s Haus zu bringen, Leo?“ fragte Henriette heftig und gereizt den Doctor; sie war urplötzlich in jene krankhafte Aufregung verfallen, welche sie öfter Dinge sagen ließ, die sie nachher bitter bereute. „Was hat Dir denn Käthe gethan? Ich sehe es längst mit Ingrimm, wie ungerecht und vorurtheilsvoll Du gegen sie bist, ist sie Dir nicht vornehm genug, weil der Schloßmüller ihr Großvater war? Nie fällt es Dir ein, sie auch nur anzureden, und das ist doch geradezu lächerlich, denn sie ist und bleibt Flora’s Schwester, so gut wie ich. Unter uns Allen waltet das trauliche ‚Du‘ – nur sie ist die Ausgestoßene.“

„Mein lieber Schatz, dieses ‚Du‘ ist mir längst ein Dorn im Auge, und wenn es auf mich allein ankäme, dann dürftest Du es so wenig gebrauchen, wie Käthe auch,“ fiel Flora ein. „Aufrichtig gestanden, ich gönne keiner Anderen auch nur das Iota von einem Vorrechte, das mir allein zusteht. In Bezug auf Dich will ich Gnade für Recht ergehen lassen – mag es dabei bleiben, von Käthe’s Seite aber würde ich mir eine solche Vertraulichkeit zu Leo ganz ernstlich und energisch verbitten.“ Sie schlang ihren Arm um die Schulter des Doctors und schmiegte sich mit einem zärtlichen Aufblicke eng an seine hohe Gestalt.

Machte es diese Berührung in Gegenwart der Anderen, oder war er innerlich so bestürzt und empört über Henriettens rücksichtslose Vorwürfe – der Doctor fuhr empor, als halte ihn eine Schlange und nicht ein schöner, weicher Mädchenarm umschlungen, und sein Gesicht war weiß und blutlos wie der Tod.

Käthe wandte sich ab und wollte das Zimmer verlassen – sie hätte laut aufweinen mögen, so entsetzlich wehe hatte man ihr gethan, aber sie verbiß standhaft die Qual und bemühte sich, ihre äußere Haltung zu behaupten; da wurde die Thür geöffnet, auf die sie zuschritt, und der Commerzienrath trat herein. Wunderlich, sie vergaß in diesem Augenblicke völlig die Abneigung, die sich ihr während der letzten Zeit in das Herz geschlichen; sie dachte nur daran, daß er ihr Vormund sei, Vaterstelle bei ihr vertreten und sie schützen müsse, und in Folge dieses Antriebes trat sie neben ihn und legte die Hand auf seinen Arm.

Er sah sie überrascht, aber froh lächelnd an und drückte ihre Hand unter schalkhaftem Augenblinzeln mit seinem Arme fest an das Herz. Die Hände hatte er nicht frei; er trug eine kleine Kiste, die er auf den Tisch stellte, hinter welchem die Präsidentin saß. Sein Eintreten unterbrach eine unsäglich peinliche Scene und Henriette, die sie herbeigeführt, hätte ihm jetzt um den Hals fallen mögen für den heiteren, frohmüthigen Ton, den er in seiner Unbefangenheit anschlug.

„Nun bin ich getröstet; da ist endlich mein Angebinde für Dich eingetroffen, Flörchen,“ sagte er. „Mein Berliner Agent entschuldigt sein Zögern mit der Umständlichkeit der Fabrikanten.“ Er lüftete den Deckel. „Apropos, ich habe auch noch eine Geburtstagsfreude für Dich,“ unterbrach er sich in leichtfertig scherzendem Tone. „Eben sagt man mir, daß Du gerächt bist; heute Morgen ist die Hauptheldin des Attentates im Stadtforste, die mit den gefahrdrohenden Nägeln, verurtheilt und ihr eine ganz bedeutende Gefängnißstrafe zuerkannt worden; die Anderen, entweder noch sehr jung oder zu der Missethat von der Anstifterin verführt, wie sich herausgestellt hat, sind meist mit einem blauen Auge davon gekommen.“

„Ich will nicht hoffen, daß Flora diese Nachricht wirklich als Geburtstagsfreude aufnimmt,“ rief Henriette. „Allerdings, Strafe muß sein, und der großen, wilden Megäre kann es nicht schaden, wenn sie durch Stillsitzen ein wenig zahm gemacht wird, allein für uns selbst hat in jenem entsetzlichen Auftritt etwas so namenlos Beschämendes und Niederschlagendes gelegen – es ist schrecklich, sich so verhaßt und verwünscht zu wissen, und die Verhaßteste von uns Allen ist Flora – daß Du besser gethan hättest, Moritz, gerade heute darüber zu schweigen.“

„Meinst Du?“ lachte Flora. „Moritz kennt mich besser; er weiß, daß ich hoch über der sogenannten Volksstimme stehe und, um populär zu werden, nie einen Finger rühre. Und Du hast früher nicht anders gedacht, Henriette. Ich möchte wissen, was Du noch vor acht Monaten gesagt haben würdest, wenn irgend Jemand die Volksinteressen in unseren Salons betont und vertreten hätte – das waren Dir ‚böhmische Dörfer‘. Aber seit Käthe da ist, sind diese Fragen in unserer Beletage so über alle Gebühr an der Tagesordnung, daß Einem angst und bange wird vor so viel spartanischer Tugend und unfehlbarer Mädchenweisheit. Es sollte mich sehr wundern, wenn unsere Jüngste nicht bereits in ihrem Kochbuch Braten und Suppen aufgeschlagen hätte, die nothwendig sind, um die Büßende bei Kräften zu erhalten.“

„Das nicht,“ entgegnete Käthe muthig und ernsthaft in das vor Spott und Sarkasmus zuckende schöne Gesicht der impertinenten Schwester hinein; „aber nach ihren Familienverhältnissen habe ich mich erkundigt – sie hat vier kleine Kinder, und ihr unverheiratheter Bruder, der in Moritzens Spinnerei beschäftigt war und für die halbverwaiste Kleine mitgesorgt hat, liegt schon längere Zeit krank danieder. Es versteht sich von selbst, daß diese fünf hülflosen Menschen unter der nothwendigen Strafe nicht mitleiden dürfen, und da will ich lieber gleich sagen, daß ich die Verpflegung in die Hand genommen habe, bis die zwei Versorger wieder arbeitsfähig sind.“

Der Commerzienrath fuhr herum – er schien denn doch einen Widerspruch auf den Lippen zu haben. „Ja, Moritz,“ sagte das junge Mädchen rasch mit einem ausdrucksvollen Blick, „das sind so Momente, wo mir vor dem Geldschrank meines Großvaters weniger graut.“

Die Präsidentin rückte ungeduldig auf ihrem Lehnstuhl hin und her – diese crasse Sentimentalität ging ihr über den Spaß. „Das sind ja recht hübsche Eröffnungen! Wie wunderlich und verdreht sich doch solch ein Kindskopf die Welt malt! In gefährlichere Hände kann der Reichthum gar nicht kommen,“ rief sie tiefgeärgert. „Ja, nicht wahr, bester Bruck, da stehen Sie nun auch und sehen sich nachdenklich die Hand an, die sich so hülfsbedürftig an Moritzens Arm anklammert und dabei doch so willkürlich und eigenmächtig das Geld zum Fenster hinauswirft, das er mit mehr Strenge verwalten sollte?“

Käthe zog augenblicklich die Hand zurück. Sie sah noch, wie die Augen des Doctors unverwandt und finster auf ihren Fingerspitzen hafteten und dann erschrocken über die gegenüberliegende Wand hinstreiften.

„Ach, Großmama, ein Blick der Mißbilligung ist das ganz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_280.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)