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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

melancholisches, während das des Schimpansen als sanguinisch und das des Gorilla als cholerisch bezeichnet werden kann.

Ueber letzteren berichtet Du Chaillu, aber freilich wiederum in seiner Alles übertreibenden Weise. Von ihm ausgesandte Jäger brachten ihm, wie er erzählt, einen jungen, etwa zwei- bis dreijährigen Gorilla, welchen sie, nicht ohne Gefahr, von der Mutter angegriffen und von dem Jungen gebissen zu werden, eingefangen, nämlich mit einem ihm über den Kopf geworfenen Tuche zugedeckt und nach landesüblicher Art gefesselt, indem sie seinen Hals in eine vorn verschlossene Holzgabel mit langem Stiele gesteckt und mit Hülfe dieser Gabel unterwegs mehr fortgestoßen als geleitet hatten. Nach Du Chaillu’s Schilderung brüllte und bellte der Gefangene, als er in das Dorf gelangte, schaute aus seinen bösen Augen wild um sich, stürzte auf Jeden los, der sich ihm nahte, versuchte den Gegner zu beschädigen, zerriß ihm die Kleider, kratzte, biß, war mit einem Worte unnahbar. Außerordentlich scheu, wollte er nicht eher essen und trinken, als bis sich die Beschauer in eine gewisse Entfernung zurückgezogen hatten. Am zweiten Tage schien er zwar noch wüthender zu sein als am ersten, begann jedoch zu fressen; am dritten Tage zeigte er sich noch mürrischer und ungeberdiger, bellte Jeden an und zog sich entweder in den fernsten Winkel seines Gefängnisses zurück oder stürzte angreifend vor. Als es ihm einmal gelungen war, aus dem Käfige, nicht aber auch aus dem Hause zu entkommen, geberdete er sich beim Erscheinen der Leute wie ein Rasender; seine Augen glänzten und der ganze Leib bebte vor Zorn. Mit Hülfe eines Netzes, welches man ihm wiederum glücklich über den Kopf schleuderte, wurde er zum zweiten Male gefesselt, brüllte, als er sich gefangen sah, entsetzlich und wüthete und tobte unter den Fesseln so, daß sich Du Chaillu auf seinen Nacken werfen mußte, um seinen Gehülfen zu ermöglichen, ihn an Armen und Beinen zu packen. Zwei Männer faßten hierauf seine Arme, zwei seine Füße und trugen ihn so, nicht ohne bedeutende Anstrengung, nach seinem Käfige zurück. Du Chaillu versichert, niemals ein so wüthendes Thier wie diesen Affen gesehen zu haben, und spricht ihm ein durch und durch boshaftes Gemüth zu, bemerkt auch, daß derselbe zehn Tage später nur deshalb gestorben sei, weil er trotz alles Widerstrebens in Ketten gelegt worden war.

Es ist möglich, daß ein älterer Gorilla in ähnlicher Weise sich beträgt, es unterliegt für mich aber keinem Zweifel, daß ein jung eingefangener sich wenig anders gebaren wird wie der Schimpanse. Meine Ansicht stützt sich auf das Benehmen des Dresdener Tschego, welches in allen wesentlichen Stücken dem gefangener Schimpansen entsprach. Diese habe ich so eingehend beobachtet wie keinen andern Affen; mit ihnen habe ich alle mir irgendwie einfallenden Versuche angestellt, um ihr geistiges Wesen zu ergründen, sie auf dasselbe zu prüfen: sie glaube ich, wenn nicht besser, so doch ebenso gut zu kennen, als irgend Jemand. Ein solcher Schimpanse ist, wenn er seine Aengstlichkeit verloren, dem Menschen sich angeschlossen, Zucht, Lehre und Sitte angenommen hat, ein bewunderungswürdiges Wesen, weil er eine geistige Beweglichkeit entfaltet, welche Jedermann in Erstaunen setzt. Ich muß noch einmal zu meinem bis jetzt ja noch nicht erschienenen „Thierleben“ zurückgreifen, um mich sachgemäß auszudrücken; denn ich glaube nicht, daß ich bessere Worte zur Schilderung des geistigen Lebens dieses Thieres werde finden können als die nachfolgenden, von denen jedes einzelne wohl überlegt ist und seiner vollen Bedeutung nach von mir verbürgt wird:

Einen Schimpanse kann man nicht wie ein Thier behandeln, sondern mit ihm nur wie mit einem Menschen verkehren. Ungeachtet aller Eigenthümlichkeiten, welche er bekundet, zeigt er so außerordentlich viel Menschliches, daß man das Thier beinahe vergißt. Sein Leib ist der eines Thieres; sein Verstand steht um dem eines rohen Menschen fast auf einer und derselben Stufe. Es würde abgeschmackt sein, wollte man die Handlungen und Streiche eines so hoch stehenden Geschöpfes einzig und allein auf Rechnung einer urtheilslosen Nachahmung stellen, wie man es hin und wieder gethan hat. Allerdings ahmt der Schimpanse nach; es geschieht dies aber genau in derselben Weise, in welcher ein Menschenkind Erwachsenen etwas nachthut, also mit Verständniß und Urtheil. Er läßt sich belehren und lernt. Wäre seine Hand ebenso willig oder gebrauchsfähig wie die Menschenhand, er würde noch ganz anders nachahmen, noch ganz anders lernen. Er thut eben, so viel er zu thun vermag, führt das aus, was er ausführen kann, was er aber auch thut, geschieht mit Bewußtsein, mit entschiedener Ueberlegung. Er versteht, was ihm gesagt wird, und wir verstehen auch ihn, weil er zu sprechen weiß, nicht mit Worten allerdings, aber mit so ausdrucksvoll betonten Lauten und Silben, daß wir uns über sein Begehren nicht täuschen. Er erkennt sich und seine Umgebung und ist sich seiner Stellung bewußt.

Im Umgange mit dem Menschen ordnet er sich höherer Begabung und Fähigkeit unter, im Umgange mit Thieren bekundet er ein ähnliches Selbstbewußtsein wie der Mensch. Er hält sich für besser, für höher stehend als andere Thiere, namentlich als andere Affen. Sehr wohl unterscheidet er zwischen erwachsenen Menschen und Kindern, erstere achtet, letztere liebt er, vorausgesetzt, daß es sich nicht um Knaben handelt, welche ihn necken oder sonstwie beunruhigen. Er hat witzige Einfälle und erlaubt sich Späße, nicht blos Thieren, sondern auch Menschen gegenüber. Er zeigt Theilnahme für Gegenstände, welche mit seinen natürlichen Bedürfnissen keinen Zusammenhang haben, für Thiere, welche ihn sozusagen nichts angehen, mit denen er weder Freundschaft anknüpfen, noch in irgend ein anderes Verhältniß treten kann. Er ist nicht blos neugierig, sondern förmlich wißbegierig. Ein Gegenstand, welcher seine Aufmerksamkeit erregte, gewinnt an Werth für ihn, wenn er gelernt hat, ihn zu benutzen. Er versteht Schlüsse zu ziehen, von dem einen auf etwas anderes zu folgern, gewisse Erfahrungen zweckentsprechend auf ihm neue Verhältnisse zu übertragen. Er ist listig, sogar verschmitzt, eigenwillig, jedoch nicht störrisch; er verlangt, was ihm zukommt, ohne rechthaberisch zu sein; er hat Launen und Stimmungen, ist heute lustig und aufgeräumt, morgen traurig und mürrisch. Er unterhält sich in dieser und langweilt sich in jener Gesellschaft, geht auf passende Scherze ein und weist unpassende von sich.

Seine Gefühle drückt er aus wie ein Mensch. In heiterer Stimmung lacht er freilich nicht, aber er schmunzelt doch wenigstens, das heißt verzieht sein Gesicht und nimmt den unverkennbaren Ausdruck der Heiterkeit an. Trübe Stimmungen dagegen verkündet er ganz in derselben Weise wie ein Mensch, nicht allein durch seine Mienen, sondern auch durch klägliche Laute, welche Jedermann verstehen muß, weil sie menschlichen mindestens in demselben Grade ähneln wie thierischen. Wohlwollen erwidert er durch die gleiche Gesinnung, Uebelwollen womöglich in eben derselben Weise. Bei Kränkungen geberdet er sich wie ein Verzweifelter, wirft sich mit dem Rücken auf den Boden, verzerrt sein Gesicht, schlägt mit Händen und Füßen um sich, kreischt und rauft sich sein Haar. Andere Affen bekunden ähnliche Geistesfähigkeiten, beim Schimpanse aber erscheint jede Aeußerung des Geistes klarer, verständlicher, weil sie dem, was wir beim Menschen sehen, entschieden ähnlicher ist als die Verstandesäußerung jener Thiere.

Es würde mir leicht sein, noch ganze Spalten mit Berichten über einzelne Handlungen des Schimpansen zu füllen, glaubte ich nicht, in vorstehenden sowie in früheren von mir in der Gartenlaube gegebenen Berichten schon vollständig genug gesagt zu haben. Nur eins will ich noch hinzufügen, zugleich auch zur Ergänzung des Freilebens der Menschenaffen. Sie sind die einzigen Säugethiere, sogar die einzigen Affen, welche Musik machen. Dies geschieht von den Freilebenden ebensowohl wie von den Gefangenen, allerdings in einer rohen Weise, aber doch in der unverkennbaren Absicht, sich besonders zu vergnügen. Ein Werkzeug hierzu verschaffen sie sich freilich nicht, benutzen aber entsprechende Gegenstände. Ihr Tonwerkzeug ist in Ermangelung einer Trommel ein leicht in Schwingungen zu versetzendes tönendes Holz, im Freien jeder in dieser Beziehung sich eignende hohle Baumstamm, in Gefangenschaft jedes hohlliegende tönende Brett. Der zuverlässige Reade erzählt, daß sich mehrere Schimpansen zusammenfinden und dann beim Spielen zeitweilig auch mit den Händen an hohle Bäume klopfen, um so einen auf weithin den Wald durchschallenden Ton zu erzeugen. Ich glaube die buchstäbliche Wahrheit dieser Angabe deshalb verbürgen zu können, weil gefangene Schimpansen genau dasselbe thun, sobald sie einen tönenden Gegenstand gefunden haben, und zwar indem sie mit den Händen und Füßen klopfen. Je lauter, je heller das Holz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_285.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)