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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

behandelten, ihn von Schooß zu Schooß gaben, der nur in Kreisen leben zu können schien, wo er zum tausendsten Male sein „Putt! Putt!“ vorlas und entfloh, wenn sich in seiner Gegenwart ein überlegener Geist über Dinge aussprach, die ihn nicht persönlich betrafen?!

Doch siegte Hebbel. Der wohlwollende Sinn des deutschen Königs Christian des Achten lehnte alle Verhetzungen ab. Der hoffnungsvolle Dichter konnte auf drei Jahre Frankreich und Italien besuchen.

„Mich drängte es doch,“ erzählte er, „da ich einmal in Kopenhagen war, den alten Adam Oehlenschläger zu besuchen. Er lebte noch, war Conferenzrath und hochbetagt. Die deutsche Sprache war ihm von je geläufig. Da ihm die neuere dänische Literatur ein Gräuel geworden war, so hatte ich einen Verbündeten in ihm. Ich erzählte ihm meinen Bildungsgang. Er nahm den lebhaftesten Antheil. Allmählich kam ich durch Zufall auch auf Shakespeare. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich mich in eine lange bewundernde Charakteristik desselben hineinredete. Oehlenschläger wurde einsilbiger. Ich brach immer mehr in Begeisterung aus, pries Shakespeare’s Kenntniß der menschlichen Seele, seine Macht des natürlichen Ausdrucks, seinen Bilderreichthum. Oehlenschläger wird völlig stumm und hört nur noch zu. Ich komme auf einzelne Charaktere, auf den Othello und die Eifersucht, auf den Macbeth und den Ehrgeiz – plötzlich springt mein Alter mit den langen weißen Haaren vom Sopha, stellt sich mit seinen weit aufgerissenen blauen nordischen Augen vor mich hin und schreit mich wie ein Wilder an: ‚Herr, jetzt hören Sie auf! Andere Leute haben auch etwas geleistet.‘ Ich konnte nichts Besseres thun, als eiligst meinen Hut suchen, um mich vor dem alten Berserker in Sicherheit zu bringen.“

Man sieht, die moralische Prüfung verwandter Genien ist beim allzu zärtlichen Geliebkostwerden des einen für den anderen nicht eben gering.




4.


Und noch ein Zeichen von Selbstbewußtsein der Dichter, das mir der wackere Veteran Eduard Genast in Weimar erzählte.

Zu den Vielen, die, wenn sie einmal in Weimar gewesen, den Versuch machten, die Excellenz Goethe zu sehen und zu sprechen, gehörte eines Tages auch Ernst Raupach.

Der Verfasser der vergessenen „Schleichhändler“ hatte erst in späteren Jahren angefangen, der Muse zu huldigen. Das Schicksal hatte ihn früh von Schlesien nach Petersburg verschlagen. Er wurde Lehrer der Geschichte an der Petersburger Universität, bekleidete demnach einen schweren Posten in den trübsten Zeiten der neuern Geschichte, wo ohne Zweifel seine Collegienhefte nicht selten durchgesehen, mancher seiner Vorträge von einem prüfenden Officier in Epauletten oder einem Chef der obersten Censurbehörde assistirt wurde. Raupach brachte vielleicht in Folge dessen nach Deutschland jenen von ihm bekannten brummischen kurzangebundenen Charakter wieder zurück, der indessen eine vortreffliche Zugabe zu dem Berufe wurde, den er von jetzt an wählte. Denn Grobheit am Dramatiker wird gefürchtet und beachtet. Man gewährte wenigstens in Berlin dem von obenher Protegirten, was er wollte.

Raupach hatte erst einige Trauerspiele, „Die Fürsten Chawansky“, „Die Erdennacht“, geschrieben. Der Verkehr zwischen Petersburg und Weimar war der lebhafteste, und Raupach kam auch nach Weimar mit den glänzendsten Empfehlungen. Im Jahre 1823 hatte man in Weimar „Die Erdennacht“ aufgeführt. Eckermann berichtet Goethe’n darüber und schreibt, Excellenz hätten geäußert, das von ihm gelesene Stück behandle den Gegensatz zwischen Adel und Volk, „woraus sich“ – merkt auf, Ihr Hunderte von Leipziger Genossenschaftsmitgliedern! – „woraus sich,“ so urtheilte Goethe, „kein allgemein menschliches Interesse ergäbe.“ „Coriolan“ also, wo dieser Gegensatz ebenfalls dargestellt ist, gehört nach dieser Aeußerung nicht zu Shakespeare’s populären Stücken und die Bearbeitung des Herrn Commerzienraths Oechelhäuser scheint demnach unschuldig zu sein, wenn man diesen „Gegensatz zwischen Adel und Volk“ nach drei Vorstellungen in Berlin wieder zu den Acten gelegt hat.

Goethe schien sich eine Redensart angewöhnt zu haben, die seinen Jahren entsprach. Wer im Jahre 1749 geboren wurde, hatte wohl ein Recht, von den Nachgeborenen, wenn diese nicht an der Krücke gingen, als wie von „Kindern“ zu sprechen. „Ihr junges Volk“ oder „Ihr jungen Leutchen“ – das hätte er selbst zu Uhland und Rückert gesagt. Fürst Bismarck hatte früher auch so eine seltsame Angewöhnung. Noch aus seiner Junkerzeit übertrug er den Ausdruck „die Herren“ in seinen Reden auf seine liberalen Gegner, und das noch in Zeiten, wo man längst voraussetzte, der Geist besserer Erkenntniß sei über ihn gekommen. „Die Herren“ – es klang im Reichstage immer, wie das geringschätzende „die Herrschaften da drüben“.

Als Goethe, die Hände auf dem Rücken, auf- und niedergehend und sich wahrscheinlich auf den Tadel besinnend, der bei Eckermann verzeichnet steht, zu dem Professor Raupach mit den ungefähren Worten sich herabzulassen begann: „Ja, mein Lieber, wenn Ihr jungen Leute doch nur – das allgemein Menschliche festhalten wolltet! Aber das junge Volk denkt immer, wenn es nur einen Stoff theatralisch zurechtstutzen kann, dann sei es schon getroffen –“ da soll der damals fast schon fünfzigjährige Raupach – die Erzählung versicherte es – ebenfalls den Hut ergriffen und sich sofort mit den Worten empfohlen haben: „Excellenz, aus den Kinderschuhen bin ich herausgewachsen.“




5.


Die Erinnerung an die Feier eines Weinsängers und ein Moment aus dem Leben eines Dichters für die Bühne ruft aus vergangenen Tagen mir ein Bild zurück, das zu meinen schönsten auf der geheimnißvoll präparirten Silberplatte des Gedächtnisses gehört, mich an die Ufer des Rheines versetzt und an dessen schönsten, lieblichsten Theil, wo sich, zwischen Drachenfels und Rolandseck, Erhabenheit und Anmuth paaren. Worte, im Gedächtniß behaltene, der Aufzeichnung werthe, sind dabei gewiß gesprochen worden. Aber die Fülle war zu groß, sie kann nicht wiedergegeben werden. Nur die Situation als solche verdient nicht ausgelöscht zu sein. Hält doch der Maler einen einfachen Abend in der Laube an einem Felsenabhange auf der Leinwand fest, ein Gelag unter einem Rebendach am Drachenfels, lachende Gesichter, Umarmungen der Alten und Jungen, die funkelnden Gläser, der Mond, unten im Fluß sich spiegelnd und all sein goldnes Licht durch die Zweige, durch die beglückten Mienen der Menschen zerstreuend – doch es war ein ganzer Tag voll echter Rheinlust, der mir so in der Erinnerung lebt.

Noch könnte ein Lebender die Wahrheit meines Bildes bestreiten, Levin Schücking. Der allbeliebte Erzähler wird es nicht. Denn auch zu seinen „schöneren Stunden“ muß der herrliche Tag gehören; wir feierten ihn mit seiner leider zu früh dahingegangenen Gattin, der geist- und gemüthvollen Schriftstellerin Luise von Gall, und mit Roderich Benedix. Die Fahrt war von Köln bis Bonn mit Dampf gegangen, von dort nach Remagen im Zweigespann. Wir lohnten letzteres ab, um nach einem Mittagsmahl am Fuß der Apollinariscapelle zu Wasser nach Köln zurückzukehren. Die Sonne hatte sich jedes Wölkchen für diesen Tag verbeten. Der Rhein, hier in seiner Ausdehnung einem See gleichend, zeigte sich in seiner ganzen bekannten hierortigen Herrlichkeit.

Zwei Dramatiker, zwei Novellisten, alle vier zugleich, wenn sich Gelegenheit bot, auch wohl Kritiker und Feuilletonisten, lieferten Gegensätze, Stoff zur Debatte genug. Luise von Gall vermittelte nach Frauenart. Sie hatte die Welt, die Gesellschaft gesehen, kannte kleine Höfe und unterschied treffend die Verschiedenheit der Individualitäten. Ihr Gatte, dem der befreundete Freiligrath bekanntlich „Gespensteraugen“ angesungen hat, das heißt Augen, die im Stande sein sollen, Gespenster zu sehen, hatte nicht blos in das Reich der Ahnung, nicht blos in die alten Schlösser westfälischer Grafengeschlechter forschende und von viel Unheimlichem magnetisch angezogene Blicke geworfen, sondern kannte auch die Zeit und Menschen des hellen lichten Tages nach allen Richtungen hin aus freisinnigem Grunde. Benedix war in jenem Humor, der ihn am Ende seines zu früh geschlossenen Lebens ein Buch gegen Shakespeare schreiben ließ. Er beklagte sich über mangelnde literarische Anerkennung, obschon er dem ebenfalls am Steuerruder der schwankenden Bühne sitzenden Collegen selbst keinen Fetzen von ebensolcher Waare zukommen ließ und als späterer Frankfurter Intendant kaum noch seine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_318.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)