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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

„Er zeigt ihr das Gewächshaus,“ erwiderte Agnes ironisch, „man kann dort ungestört ein Kunstgespräch führen. Uebrigens, Herr Doctor Frauenfeind, lassen Sie sich sagen, daß das Gesichterschneiden nicht allein bei uns vorkommt. Ich kenne Männer, die auch drei Tage lang wie die Löwen im Hause herumgehen – da fragt es sich eben nur, wer Recht hat.“

„Nein, es fragt sich, wer nachgiebt,“ erwiderte ihr Gegner rasch, „und wenn die Frauen klug wären, würden sie niemals einen Ehrenpunkt aus dem Rechtbehalten machen. Sie verlieren nichts an ihrer Ehre durch’s Nachgeben, selbst wenn sie Recht haben, und werfen uns gerade damit den Zaum am sichersten über den Nacken. Ach, wenn sie es nur wüßten, wie leicht der Thron zu ersteigen ist, zu dem so Viele ihr Lebenlang auf der verkehrten Seite hinaufwollen!“

„Wir begehren gar nicht nach der Herrscherwürde,“ erwiderte Agnes vorsichtig.

„Aber nachgeben ist leichter gesagt als gethan, die Gelegenheit dazu sieht immer verdrießlich aus, und man möchte lieber auf eine dankbarere Weise tugendhaft sein. Da werden das Jahr durch Romane nach Dutzenden gelesen und wenn es so recht edelmüthig darin zugeht, sagt man sich mit glühenden Wangen: Gerade so würde ich’s machen. Wenn die Gelegenheit käme, daß ich um seinetwillen mit einem Federzuge eine Million opfern oder ihn mit Gefahr meines Lebens aus den Händen seiner Feinde retten könnte, dann sollte er sehen, der Undankbare, der mir gestern wegen eines abgerissenen Hemdenknopfes eine solche Scene machte. – – Aber es ist schrecklich, daß man sich heut zu Tage gar nicht mehr aufopfern kann.“

„Diesmal haben Ihre Uebertreibungen einen Grund,“ sagte Felicitas, „und aus diesem Punkte wären drei Viertel aller Ehestandsdifferenzen zu curiren. Die meisten Menschen ziehen geflissentlich alle Prosa des Lebens in die Ehe hinein und bewegen sich nun so zufällig darin fort, wie eben jeder Tag kommt, statt aus der höchsten und schönsten menschlichen Vereinigung die Widerstandskraft gegen die Kleinlichkeit des Lebens stets neu zu schöpfen. Was könnten die Ehen sein, wenn die Menschen und, ich muß es sagen, wenn besonders die Frauen den großen Begriff der Pflicht hätten, einer Pflicht, die nicht allein im Hemdenbügeln und Kochen, in den tausend täglichen Kleinigkeiten besteht, sondern in der geistigen Gemeinschaft, in völliger Hingabe der ganzen Person mit allen Kräften und Fähigkeiten an einen Beruf, der wahrlich, so erfaßt, zu dem höchsten menschlichen gehört! Wie ist es möglich, daß bei so Vielen die Begeisterung der Brautzeit, zu welcher sogar der Ledernste einige Anstrengungen macht, so bald, so kläglich erlischt, daß man selbst nicht daran zurückdenken mag? Was verstehen denn die Menschen unter ihrer ‚Idealität‘, von der sie doch alle gelegentlich sprechen, die besonders immer als Haupteigenschaft der Frauen gepriesen wird?“

„Wenn man eine Sache lang behauptet, fällt es zuletzt Niemandem mehr ein, nachzusehen, ob sie Grund hat,“ versetzte der Doctor. „Es ist mit anderen Dingen ebenso. Man geht in die Kirche: ‚Du sollst Deinen Nächsten lieben als Dich selbst.‘ Kleinigkeit! ‚Liebet Eure Feinde!‘ – natürlich, wer liebt sie nicht? Dafür sind wir ja Christen und hören das jeden Sonntag und lieben bekanntlich unsere Feinde, um uns dadurch von Heiden und Türken zu unterscheiden. Die höchste Leistung des Menschengemüthes haben wir ohne besondere Anstrengung mit vierzehn Jahren schon weg – in der Kirche natürlich, denn draußen – die geringste Beleidigung, und haushoher Zorn lodert in den frommen Herzen.“

„Das theologische Rüstzeug steht Ihnen ausgezeichnet,“ rief Agnes spöttisch.

„Finden Sie? Das freut mich. So darf ich auch wohl meinen Schluß dazu setzen, daß es mit der selbstverständlichen Idealität geht wie mit der selbstverständlichen Nächstenliebe – bei näherem Zusehen findet sich keine Spur davon.“

„Doch, doch,“ rief Felicitas lebhaft, „sie ist vorhanden, aber sie kennt nicht den rechten Weg, um herauszukommen. Man hat bei uns viel zu sehr die Gewohnheit, große Empfindungen und tägliches Leben zu trennen, statt einzusehen, daß im Gegentheil das Ideal auf Schritt und Tritt mit uns gehen kann und gehen muß, wenn wir den rechten Maßstab für Kleines und Großes behalten sollen. Dieselben verdrießlichen Frauen, die nicht um Alles eine Wäsche drei Tage aufschöben, wenn ihr Mann es wünschte, sie würden bei einer großen Gelegenheit ohne Zögern und freudig ihr Leben für ihn und ihre Kinder opfern, wie sie es factisch in kleinen Stücken das ganze Jahr über thun, freilich ohne dadurch Glückliche zu machen oder selbst glücklich zu sein.“

„Zwei gewichtige Worte,“ sagte der Professor. „Wenn nur der Weg nicht so schwierig wäre, Beides zu erreichen!“

„Eins folgt aus dem Andern“ rief Felicitas. „Ich stehe nicht an, es auszusprechen, was in mir schon längst als innigste Ueberzeugung lebt: Das Glück oder Unglück der Ehe liegt hauptsächlich in den Händen der Frau und glücklich machen heißt glücklich sein. In diesen beiden Worten ist Alles enthalten.“

„Wenn man sich liebt,“ sagte der Doctor. „Hilft Ihre Formel auch für die Fälle von ‚klein wenig oder gar nicht‘?“

„In diesen sogar glänzend, denn hier rettet sie vor dem Gefühle des verfehlten Lebens. Wenn eine Frau sich entschließen kann, die Frage, ob sie sich selbst glücklich fühlt oder nicht, einstweilen auf ein paar Jahre zu vertagen und inzwischen frisch anzugreifen und ihre Schuldigkeit im weitesten Umfange zu thun, ohne langes Besinnen und Grübeln, so wird sie nach Ablauf dieser Jahre gar keine Frage nöthig haben, um zu wissen, daß sie glücklich ist und einen dankbaren Mann zur Seite hat. Es giebt ein so ausgezeichnetes Mittel, das unnütze Bedauern mit sich selbst zu vermeiden und die Augen offen zu halten – die Frage: wo habe ich gefehlt? Wer sich gewöhnt, bei jedem beginnenden Verdruß darauf die Antwort zu suchen, der findet sie in den meisten Fällen und damit zugleich die Möglichkeit der Abhülfe. Das Andere aber ist – seinen Kampf schweigend kämpfen und keinen Dritten in die Verstimmung zwischen Eheleuten hereinblicken lassen. Die schwersten gehen vorüber; wenn Niemand davon weiß, sind sie nicht gewesen, und die Welt sieht nach wie vor eine glückliche Familie.“

„Das ist sehr wahr,“ sagte Franz reumüthig und faßte nach der Hand seiner Frau, die ihm willig überlassen wurde. „Die Menschen jagen immer nach Reichthum, Ansehen, äußeren Erfolgen und sind unglücklich, wenn sie ihr Ziel nicht erreichen und Niemand sie beneidet. Daß aber der Anblick eines glücklichen und friedlichen Hauses auch ein sehr beneidenswerther ist und daß es nur von ihnen allein abhängt, ein solches zu schaffen, daran denken die Wenigsten.“

„Die Wenigsten haben auch die Fähigkeit dazu,“ sagte der unverbesserliche Doctor. „Gehen Sie mir mit Ihrem Utopien! Wenn es Ihnen einmal glückt, alle ‚federlosen Zweifüßler‘ zu vernünftigen Menschen zu machen, dann kann das tausendjährige Reich gleich seinen Anfang nehmen, aber bis dahin ist’s noch weit.“

„Ich zweifle auch, daß wir Beide das erleben,“ erwiderte sie lächelnd, „und meine Wünsche beschränken sich auf viel erreichbarere Dinge. Ich möchte, daß unsere Mädchen wirklich gebildet und erzogen würden, wie sie es brauchten, um dereinst fest im Leben zu stehen mit hellem Kopf und einem Charakter, der durch vernünftiges Denken stark geworden ist. Ich möchte das gleichgültige Wesen ohne Geist und Grazie aufhören sehen, das so mechanisch weiter lebt und sich für gut hält, weil es nichts Schlechtes verübt, diesen geistigen Schlendrian, der zuletzt alle besseren Anlagen erstickt. So lange die Frauen von großen, allgemeinen Dingen nur hören und sprechen, um dem betreffenden Mann einen Eindruck zu machen, nicht aber um der Sache selbst willen, so lange man immer ‚Interessen‘ hat und dabei nie etwas lernt, so daß der Kopf mit Vierzig gerade so confus ist, wie mit Zwanzig, so lange ist die Frau freilich weit entfernt, die Stellung auszufüllen, welche ihr die moderne Sitte anweist. Wir haben bis jetzt den Schein statt des Seins, ich lebe aber der sicheren Hoffnung, daß die überall beginnende Reaction gegen das Halbwissen der Institutserziehung, welches schlimmer ist als Nichtwissen, eine bessere Geistes- und Charakterbildung anbahnen wird, daß die Zeiten einmal aufhören, wo der Mann über Beschränktheit und Empfindelei, als unvermeidliche weibliche Eigenschaften, den Kopf schüttelt und brummt: so sind sie eben. Wenn die Frauen einmal die reichen Bildungsmittel, die ihnen ohne alle Emancipation heute schon zu Gebote stehen, aufnehmen und verarbeiten, statt sich ihrer schnellmöglichst zu entledigen, um sich den Kopf mit nichtigem Kleinkram zu füllen, dann werden die Männer mit Ueberraschung erkennen, was es heißt, an seiner Frau die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_321.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)