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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

über den Spitzenbesatz hinweg streifte ein scheuer Blick aus furchtbar verweinten Augen das junge Mädchen. Käthe erkannte sie – es war die schöne, üppige, in Luxus schwelgende Frau eines Majors; die Eleganz ihrer Toiletten war in der Residenz sprüchwörtlich geworden. Sie eilte um die Hausecke, in das Dunkel der Boscage, jedenfalls, um erst die Thränenspuren zu beseitigen, ehe sie die von Spaziergängern wimmelnde Promenade betrat.

„Dem Manne bleibt auch nichts Anderes übrig, als ‚die Kugel vor den Kopf‘ – das Bett unter dem Leibe soll ihm genommen werden,“ hörte Käthe, an der halb offenen Thür der Portierstube vorübergehend, einen Bedienten sagen. „Geschieht ihm ganz recht – was braucht denn solch ein Officier in Papieren zu speculiren, von denen er nicht den Pfifferling versteht! Nun kommt die Frau und heult unserm Herrn was vor, und der soll nun den Karren aus dem Moraste holen – das könnte ihm fehlen! Wenn er allen Denen helfen wollte, die in den letzten Tagen dagewesen sind, da könnte er nur den Ziegenhainer in die Hand nehmen und den Staub von den Schuhen schütteln – da blieb’ ihm nichts.“

Abermals ein Opfer der entsetzlichen Katastrophe! Käthe schauerte in sich zusammen und stieg unbemerkt die Treppe hinauf. In der Beletage war es feierlich still – mechanisch schritt sie zuerst nach dem kleinen Salon, den sie bewohnt, und öffnete die Thür. Die Frau Baronin Steiner herrschte allerdings hier nicht mehr, aber das Zimmer war auch nicht angethan, einen andern Gast wieder aufzunehmen. Sämmtliche Möbel waren ausgeräumt – dafür standen große, schöndrapirte Tafeln die Wände entlang und trugen auf ihren Flächen einen förmlichen Bazar von Ausstattungsgegenständen, den mit großer Ostentation aufgebauten, wahrhaft fürstlichen „Trousseau“ der Frau Professorin in spe; in der Mitte des Salons aber wogte von einem Kleiderständer nieder milchweißer Atlas, umhaucht von Spitzenduft und mit Orangenblüthen besteckt, und so hoch auch das Postament war, der schwere Stoff schleppte doch noch weit über das Parquet hin – Flora’s Brautanzug! Käthe drückte mit weggewandten Augen die Thür wieder zu – einige Secunden später lag sie tieferschüttert in Henriettens Armen, die in einen so exaltirten Jubel ausbrach, als werde sie durch diese Ankunft aus namenloser Pein erlöst.

Die kranke Schwester war allein. Man habe heute im Hause keine Zeit für sie, klagte sie; der Commerzienrath richte Flora die Hochzeit aus, und zwar mit einem beispiellosen Aufwand. Er wolle bei dieser Gelegenheit der Residenz wieder einmal zeigen, wie hoch er Alle überrage, wenn er auf seinen Geldsäcken stehe – das sei nun einmal seine Schwäche. … Ganz ihrer unabhängigen Art und Weise gemäß, hatte sie es unterlassen, den Verwandten anzuzeigen, daß sie Käthe telegraphisch berufen habe. Das sei doch völlig überflüssig, meinte sie mit großen, erstaunten Augen auf Käthe’s betroffenes Kopfschütteln hin; sie habe es stets betont, daß die Schwester eines Tages zurückkommen werde, um sie zu pflegen – man wisse das im Hause gar nicht anders, und was ein mögliches unvorbereitetes Zusammentreffen mit dem Commerzienrath betreffe, so möge sie ganz ruhig sein, er habe jedenfalls „eine neue Flamme“ in Berlin; er sei die beiden letzten Male – vorzüglich aber gestern – ziemlich zerstreut[WS 1] zurückgekehrt, und habe auf Flora’s Neckereien hin nur schlau gelächelt und durchaus nicht geleugnet.

Käthe schwieg auf alle diese Mittheilungen; sie hatte zuletzt nur den einen Gedanken, daß es allerdings die höchste Zeit für sie gewesen sei, zurückzukehren. Sie fand die Kranke maßlos aufgeregt; der hohle, erstickende Husten schüttelte den schattenhaft abgezehrten Körper viel häufiger als früher; die Hände brannten wie Kohlen, und der Athem ging so schwer, so mühsam aus und ein. Henriette hatte es bisher auch bei den heftigsten Leiden nie „zu Thränen kommen lassen“ – sie hatte einen unglaublich starken Willen, heute aber waren ihre schönen Augen verweint bis zur Unkenntlichkeit. Sie verzehre sich in Angst, daß Bruck bei all seiner Liebe für Flora doch vielleicht sehr unglücklich werden würde, klagte sie, ihr Gesicht an Käthe’s Brust verbergend, und obgleich nie ein unvorsichtiges Wort darüber gefallen, sei sie dennoch fest überzeugt, daß die Tante genau so denke und sich gräme. … Käthe wies sie mit der schneidenden Antwort zurecht, daß das einzig und allein Bruck’s Sorge sei und bleiben müsse; Niemand habe mehr Anlaß gehabt, tiefe Einblicke in Flora’s selbstsüchtiges Wesen zu thun, als gerade er; wenn er trotzalledem darauf bestehe, sie zu besitzen, so werde er sich auch mit seinem Schicksal abzufinden wissen, möge es fallen, wie es wolle. … Henriette fuhr ganz erschrocken empor, so rauh klang das Gesagte; es lag überhaupt etwas so bestürzend Fremdes, eine Art starrer Zurückhaltung und Abgeschlossenheit in der Erscheinung der jungen Schwester, als sei auch sie mit sich und ihrem Schicksal fertig – nach schweren Kämpfen. …




23.


Kurze Zeit nachher stieg Käthe, die kranke Schwester vorsichtig stützend, auf der kleinen Treppe in das untere Stockwerk hinab, „um sich zu melden“. Sie kamen durch den schmalen Corridor, in welchen Käthe bei ihrer Abreise für einen Moment geflüchtet war. Er lief den großen Saal entlang, der fast den ganzen Raum des einen Seitenflügels der Villa nahezu beanspruchte – in ihm wurden die berühmten Hausbälle des reichen Mannes abgehalten.

„Es ist Probe für heute Abend, und dabei wird noch fortdecorirt und geschmückt,“ sagte Henriette aufhorchend und heiser und höhnisch vor sich hinlachend – pathetische Declamation, hie und da durch intensives Pochen und Hämmern unterbrochen, scholl durch die Thüren. – „Wie ekeln mich diese Mädchen da drinnen an! Sie möchten sämmtlich, wie sie auch auf der Bühne stehen, der Braut die Augen auskratzen, und doch faseln sie in grenzenlosem Schwulst von der schönsten Blume, die ihrem Kranz entrissen werde, von dem Dichtergenius, der ihre Stirne geküßt habe, und was dergleichen poetische Aderlässe mehr besagen. Und Moritz mit seiner maßlosen Verschwendung benimmt sich dabei wie ein Narr. Gestern Abend, unmittelbar nach seiner Rückkehr von Berlin, hat er die Handwerker wie Buben gescholten; die Decoration mußte als ‚trödelhafter Plunder‘ sofort von den Wänden gerissen werden, weil die Leute in zwei dunklen Ecken Wollstoffe statt Seidendamast verwendet hatten; er wird nachgerade abstoßend mit seinem ewig herausgekehrten Millionärbewußtsein. Da sieh her!“

Sie schob unhörbar eine der Thüren etwas weiter auf. Durch den nur schmalen Spalt sah man die Bühne nicht, auf der die Probe abgehalten wurde; dagegen präsentirte sich schräg seitwärts ein prachtvoller Baldachin von goldbefranztem Purpursammet – er sollte sich heute Abend über dem Brautpaar wölben.

„Wie wird er mit seinem blassen, finsterbrütenden Gesicht sich ausnehmen unter dem komödienhaften Firlefanz dort!“ flüsterte Henriette und drückte den blonden Kopf wie in ausbrechender Verzweiflung tief bewegt an die Gestalt der Schwester. „Und sie wird wieder neben ihm stehen, siegend, triumphirend wie immer, in der wohlstudirten Toilette von weißem Mull und kindlich naiven Margarethenblümchen, wie sie der unschuldsvollen Braut am Polterabend zukommt. Ach Käthe, es ist etwas so Seltsames, Unbegreifliches um diese ganze Geschichte; ich habe jetzt so oft das Gefühl, als laure ein unglückseliges Geheimniß dahinter, so etwas wie ein heimlich glimmender Feuerbrand unter grauer Asche.“

Im Eßzimmer saß die Präsidentin mit Flora und dem Commerzienrath beim Frühstück. Die Braut war im eleganten, rosa bordirten Schlafrock, und ein Morgenhäubchen bedeckte die aufgewickelten Locken. Käthe erschrak fast, so grau und scharf erschien das Römergesicht der schönen Schwester ohne die goldene Glorie der Stirnlöckchen; heute sah sie zum ersten Male, daß Flora die Jugend hinter sich habe, daß endlich das ruhelose Bestreben, sich hervorzuthun, die glühende Ehrsucht anfingen, das herrliche Oval unerbittlich in harter, einwärtssinkender Linie zu verlängern.

„Mein Gott, Käthe, wie kommst Du denn auf die Idee, uns gerade heute in’s Haus zu fallen?“ rief sie emporschreckend, im rückhaltslosen Aerger. „In welche Verlegenheit bringst Du mich! Nun muß ich Dich wohl oder übel mit in’s Gefolge stecken. Ich habe aber schon zwölf Brautjungfern – eine dreizehnte kann ich nicht brauchen, wie Du Dir wohl selbst sagen wirst“ – sie unterbrach sich mit einem leisen Aufschrei und fuhr zurück.

Der Commerzienrath hatte mit dem Rücken nach der Thür

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zersteut
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_328.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)