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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

zu gesessen und eben ein Glas Burgunder zum Munde geführt, als Flora’s Ausruf den Eintritt der Schwestern signalisirte. War ihm das Glas in Folge der Ueberraschung entglitten, oder hatte er es unsicher, mit abgewendeten Augen auf den Tisch gestellt, – genug, der volle, dunkelpurpurne Inhalt ergoß sich über das weiße Damasttuch und benetzte auch Flora’s Kleider.

Der reiche Mann stand einen Augenblick starr, verwirrt, mit völlig entfärbtem Gesichte und stierte erschreckten Auges nach der Thür, als trete dort ein wesenloses Phantom, nicht aber das imposante Mädchen mit den ernsten Zügen und der ruhigen, festen Haltung herein. Aber er faßte sich rasch. Mit einer lebhaften Entschuldigung gegen Flora drückte er auf die Tischglocke, um helfende und säubernde Hände herbeizurufen, dann eilte er auf Käthe zu und zog sie in das Zimmer herein. Und da ließ sich auch nicht eine Spur vom verschmähten Liebhaber in seinem ganzen Wesen entdecken; er war in jedem Worte, in seinem kühlen Händedrucke ganz und gar der väterlich gesinnte Vormund von ehedem, der sich freute, seine Mündel wohlbehalten zurückkehren zu sehen. Er klopfte sie wohlwollend auf die Schulter und hieß sie willkommen.

„Ich habe nicht gewagt, Dich einzuladen,“ sagte er; „auch war ich in der letzten Zeit geschäftlich zu sehr überbürdet, um viel an Dresden denken zu können – Du wirst das verzeihen –“

„Ich bin einzig und allein als Henriettens Pflegerin gekommen,“ unterbrach ihn Käthe rasch, aber ohne den leisesten Anklang von Gekränktsein über Flora’s ungezogene Begrüßung.

„Das ist lieb und gut gemeint, mein Kind,“ sagte die Präsidentin mit aufgehelltem Gesichte; jede, auch die letzte Befürchtung erlosch in ihr angesichts dieser unbefangenen Begegnung. „Aber wohin mit Dir? In Deinem ehemaligen Zimmer ist Flora’s Trousseau aufgestellt und –“

„Sie werden mir deshalb nun doch erlauben müssen, mich in meinem eigenen Daheim einzuquartieren, wie ich auch bereits gethan habe,“ fiel Käthe höflich mit bescheidener Zurückhaltung ein.

„Es wird mir vorläufig nichts Anderes übrig bleiben,“ versetzte die alte Dame lächelnd und sehr gut gelaunt. „Heute Nachmittag wird unser Haus zum Bersten überfüllt sein – dazu leben wir in einem Trubel, wie ich ihn noch nicht gesehen; mit Mühe haben wir uns an den Frühstückstisch gerettet. Vom Morgengrauen an wird gehämmert, probirt –“

„Ja, sie declamiren drüben, daß die Balken zittern,“ sagte Henriette boshaft und legte sich müde in einen Lehnstuhl zurück, den ihr der Commerzienrath hingerollt hatte. „Im Vorübergehen hörten wir ‚Pallas Athene‘, die ‚Rosen von Kaschmir‘ und die ‚neue Professur‘ in lieblichem Versegemengsel –“

„Hu!“ stieß Flora heraus und legte zornig beide Hände auf die Ohren. „Es ist geradezu unverschämt, mir ein solches Dilettantenproduct vorzuleiern, mir, die ich mit meinen reizenden Festspielen stets und immer, vorzüglich bei Hofe, excellirt habe. Und da soll man nun stillsitzen und keine Miene verziehen, während man sich vor Spott und Lachen die Zunge abbeißen möchte –“

Die Präsidentin unterbrach sie mit einer hastigen Handbewegung; eben traten die darstellenden Damen, die vor der Probe Chocolade im Eßzimmer getrunken hatten, herein, um ihre zurückgelassenen Hüte und Sonnenschirme zu holen.

Flora schlüpfte in das anstoßende Boudoir der Großmama.

Mit affectirter Freude eilte die Hofdame, Fräulein von Giese, auf Käthe zu und begrüßte sie als eine „Langentbehrte“; auch dem Commerzienrathe reichte sie die Hand zum Gruße. „Schön, daß wir Sie hier treffen, mein bester Herr von Römer!“ rief sie. „Da können wir Ihnen doch vorläufig danken für die bewunderungswürdige Art und Weise, mit der Sie unsern kleinen Polterabendscherz unterstützten. Wahrhaftig superbe, zauberhaft!“ Sie küßte entzückt ihre Fingerspitzen. „Solche Feerien aus ‚Tausend und einer Nacht‘ kann man allerdings auch nur in der Villa Baumgarten arrangiren – darüber ist die ganze Welt einig. – Apropos, haben Sie schon von dem Unglücke des Major Bredow gehört? Er ist fertig, total zu Grunde gerichtet – alle Kreise sind alarmirt. Mein Gott, in welcher entsetzlichen Zeit leben wir doch! Sturz folgt auf Sturz, in so rapider Weise –“

„Major Bredow hat aber auch wahnsinnig genug in den Tag hinein speculirt,“ sagte die Präsidentin gleichmüthig und stützte behaglich den Ellenbogen auf die gepolsterte Lehne ihres Fauteuils. „Wer wird denn so toll, so ohne Sinn und Verstand vorgehen?“

„Die Frau, die schöne Julie, ist schuld – sie hat zu viel gebraucht; ihre Toiletten allein haben jährlich dreitausend Thaler gekostet.“

„Bah, das hätte sie auch fortsetzen können, wenn der Herr Gemahl mit seinem Anlagecapital vorsichtiger gewesen wäre, aber er hat sich an Unternehmungen betheiligt, die von vornherein den Schwindel an der Stirn getragen haben.“ – Sie zuckte die Achseln. „In solchen Fällen muß man mit einer Autorität gehen, wie ich zum Beispiel; gelt, Moritz, wir können ruhig schlafen?“

„Ich mein’ es,“ versetzte er lächelnd mit der lakonischen Kürze der Ueberlegenheit und füllte sein Glas mit Burgunder – er leerte es auf einen Zug. „Ganz ungerupft bleibt man bei einem solchen eclatanten Zusammensturz selbstverständlich auch nicht; da und dort entschlüpft ein kleines Capital, das man ‚spaßeshalber‘ riskirt hat – Nadelstiche, an denen sich bekanntlich Niemand verblutet –“

„Ach, da fällt mir eben ein, daß ich ja heute die Börsenzeitung noch nicht erhalten habe,“ fiel ihm die Präsidentin in’s Wort und richtete sich lebhaft auf. „Sie kommt sonst pünktlich um neun Uhr in meine Hände.“

Er zog gleichgültig die Schultern empor. „Wahrscheinlich ein Versehen auf dem Postamte, oder das Blatt hat sich in mein Brief- und Zeitungspaket verirrt und ist mit hinüber in den Thurm gewandert; ich werde nachsehen.“ Dabei stellte er sein Glas nieder.

„Pardon, meine Damen!“ sagte er mit Hindeutung auf sein rasches Trinken. „Ich fühlte plötzlich, daß mein gefürchteter Kopfschmerz im Anzuge; er kommt blitzschnell, und ich pflege ihn mit einem schnellgenossenen Glase Wein aus dem Felde zu schlagen.“ Vorhin hatte er in der That ausgesehen, als dringe ihm die dunkle Gluth des Rothweins bis unter die Stirnhaut.

Er entkorkte rasch eine Flasche Sect und füllte mehrere auf dem Büffet stehende Gläser. „Ich bitte, mit mir auf das Gelingen unserer heutigen Abendvorstellung zu trinken,“ sagte er, ein Glas hebend, zu den Damen, welche die Krystallkelche ergriffen und seinem Beispiele folgten. „Die Blumenfee mit ihrem reizenden Gefolge soll leben. Die Jugend und die Schönheit, und das herrliche Leben selbst, das ja Keinem von uns feindlich ist, ja auch der süßen Gewohnheit des Daseins ein Hoch!“

Die Gläser klangen, und die Präsidentin schüttelte leise lachend den Kopf.

Käthe war unwillkürlich in die Fensternische zurückgewichen, in deren Nähe Henriettens Lehnstuhl stand. Sie sah, wie sich bei dem tactlosen Trinkspruche die Wimpern der Kranken feuchteten, wie sie sich im schmerzlichen Zorne auf die Lippen biß – die süße Gewohnheit des Daseins war für sie ein Marterrost, und „das herrliche Leben“ ließ sich „feindlich“ genug jeden Athemzug mit Schmerzen abkaufen. Die junge Mündel hatte kein Glas genommen, und der Herr Vormund hatte ihr auch keines angeboten. Der Blick des Mädchens glitt dunkel und ernstsprühend über seine lebhaft erregten Züge. Sie hatte nie geahnt, daß auch hinter diesem glatten, leidenschaftslosen Männerantlitze ein innerer Sturm aufwogen könne – und da war er in den unstät flackernden Augen, in dem leisen, convulsivischen Beben der Lippen, in der ungewöhnlich lustig forcirten Stimme.

Es war, als fühle der reiche Mann den Blick – er sah unwillkürlich nach der Fensternische, dann stellte er rasch sein Glas auf den Tisch und fuhr sich mit beiden Händen hastig über Stirn und Haar; zu dem Kopfschmerze, der diesmal der Weincur zu spotten schien, hatte sich für einige Secunden nun auch ein leichter Schwindelanfall gesellt.




24.


Der Polterabendlärm in der unteren Etage steigerte sich Nachmittags bis zur Unerträglichkeit. Die adeligen Rittergutsbesitzer aus der Umgegend fuhren vor und mußten einlogirt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_329.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)