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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Blutlachen hinwegzuschreiten. Müßte man doch selber so eine rothe Bestie von 1871 sein, wollte man sich dazu hergeben, die grässliche Reihe der Niedermetzelungen der Geiseln und anderer Opfer breitspurig zu durchwaten. Auch zu zählen brauchen wir die Gemordeten nicht genau. Die Zahl macht bei solchen Schrecknissen eigentlich gar nichts aus. Nicht wie viele Opfer die Inquisition, die Hexentribunale, die Bartholomäusnacht, die Septembermorde und das rothe Quartal hingeschlachtet, macht den Gräuel aus, sondern dieses, daß überhaupt Menschen so gegen Menschen wüthen konnten und gewüthet haben.

Den scheusäligsten Anblick gewährten auch wiederum hierbei die weiblichen Scheusale, wie die „Amazonen“ Katharina Rogissart, Natalie Lemel, Zelie Grandel und Marguerite Gandair, genannt Lachaise. Die letztgenannte hat eine Hauptrolle bei den Mordthaten gespielt und sich ganz unglaublich gräulich in La Roquette aufgeführt, sowie bei der Abschlachtung des Grafen de Beaufort, welcher als Offizier in der Armee der Kommune gedient hatte, aber plötzlich, ohne einen Schatten von Grund, durch die Furie des Verraths bezichtigt und auf ihr Betreiben auf dem Voltaireplatze niedergemacht wurde. Das Wildschwein von Weib stampfte auf dem noch warmen Leichnam herum und sagte etwas und that etwas, was nicht geschrieben werden kann.

Mittwochs, den 24. Mai, begannen die Massenmorde. An der Spitze der Mörderrotte, welche schon seit etlichen Tagen La Roquette umlauert hatte, brachen die Grandel und die Lachaise in das Gefängniß ein. Die letztgenannte Megäre that gerade so, als wäre sie die amtlich bestellte Leiterin der Mordarbeit, welche von den Gefängnißbeamten freilich mehr nur zugelassen und angeordnet worden ist, aber doch zugelassen.

Das Nachtstück, wie der Erzbischof Darboy und fünf seiner Mitgefangenen im Hofraume des Gefängnisses beim Fackelschein niedergemetzelt wurden, hat sich dem schaudernden Gedächtniß der Zeitgenossen unverlöschbar eingeprägt.

Nach verübtem Frevel wies einer der Mörder den Wächtern Pinet und Bourguignon ein Pistol mit den Worten: „Seht, es raucht noch. Damit hab’ ich dem Kerl von Erzbischof den Garaus gemacht.“ Ein anderer bemerkte grinsend: „Dieser alte Hund von Darboy wollte nicht sterben, dreimal noch versuchte er aufzustehen.“ Draußen auf dem Platze pralten die Mordbuben ganz laut: „Wir haben 50 Franken verdient.“

Etliche Tage darauf fand man auf der Mairie des 11. Arrondissement dieses lakonische Protokoll: „Komité der öffentlichen Sicherheit. Heute den 24. Mai, 8 Uhr Abends sind im Gefängnisse La grande Roquette Georges Darboy, L. B. Bonjean, L. Ducoudray, M. Allard, A. Clerc und G. Deguerry hingerichtet worden. Kommune von Paris. Kabinett des Chefs der öffentlichen Sicherheit. Gemeindepolizei.“ Dieses Aktenstück trägt das amtliche Siegel der Polizeipräfektur, aber keine Unterschrift. Es ist jedoch festgestellt, daß der Bürger Ferré, der Delegirte bei der öffentlichen Sicherheit, am 24. Mai zweimal in La Roquette sich zu schaffen machte, am Vormittag und am Nachmittag. Vor dem Kriegsgerichte zu Versailles hat ein Hauptzeuge dem Angeklagten Ferré ins Gesicht gesagt, daß dieser die Mordrotte persönlich in das Gefängniß geführt habe. Dieser Augenzeuge war der Civilingenieur Duval, ein Ehrenmann, ebenfalls als „Geisel“ eingethürmt. Der Gerichtspräsident: „Sie sind also ganz sicher, in dem Angeklagten Ferré das Mitglied der Kommune zu erkennen, welches gemeinschaftlich mit Ranvier das Exekutionspeloton in La Roquette einführte und welches Sie am 24., 26 und 27. Mai in der Schreibstube des Gefängnisses gesehen haben?“ Herr Duval: „Ja, ich schwör’ es.“ Uebrigens ist auch die Anwesenheit Rigaults in La Roquette während jener Mordtage wohlbezeugt. Summa: Die Schlächtereien in dem genannten Gefängniß sind nicht etwa nur zufällige gewesen, sondern amtlich angeordnete, nicht ein bloßer Pöbelexceß, sondern eine vorbedachte, berechnete That der Kommune, eine That, bei deren Ausführung sie sich solcher Thiermenschen bediente, wie sie ihr in Hülle und Fülle zur Hand waren.

Donnerstags, den 25. Mai, mußten die Dominikanermönche von Arcueil, wo sie eine Schule hatten, in den Tod gehen. Sie waren, 23 Patres und Fratres, auf Befehl des Wohlfahrtsausschusses am 19. Mai verhaftet und in das Fort Bicêtre gebracht worden. Als am 25. die Rothen das Fort aufgeben mußten, schleppten sie die Mönche mit sich, stellten sie auf einer Barrikade der Avenue d’Italie den Kugeln der Blauen bloß, und nachdem sie gegen Abend zu auch die Barrikade hatten verlassen müssen, massakrirten sie mit schon gewohnheitsmäßiger Brutalität die wehrlosen Opfer, von welchen nur einige wenige zu entfliehen vermochten.

Weiter, weiter in diesem Blutsumpfe! Wir müssen hindurch …

Nach der Ermordung des Erzbischofs und seiner Todesgenossen war es drei Geistlichen, dem Generalvikar Surat, dem Abbé Beourt und dem Missionär Houillon, gelungen, in Gemeinschaft mit dem Stadtsergeanten Chaulieu aus der großen Roquette zu entweichen. Aber alsbald hatte sich eine Jägerschar, geführt von einer Megäre, welche in der Linken eine rothe Fahne und in der Rechten ein Messer hielt, auf die Fährte der Flüchtlinge geworfen. Sie wurden eingeholt, in den Hof der Petite Roquette geschleppt, an die Mauer gestellt und niedergeschossen. Chaulieu bat die Fahnen- und Messerträgerin – Wolff-Guyard[WS 1] hieß die Vettel – sein Leben zu schonen, da er der Vater von acht unerzogenen Kindern sei. Sie schleuderte ihm eine Zote in’s Gesicht und kommandirte „Feuer!“ Ein Gassenjunge – einer jener Gamins, welche August Barbier mit dem ätzenden Griffel eines Juvenal also gezeichnet hat:

„Dein echt Geschlecht, Paris, das ist der Straßenschreier,
Halbwüchsig, schmutzig fahl, wie ein verschliffner Dreier,
Das ungezogene Kind, der Taugenichts, der träg
Verschlendert Tag um Tag, der gern auf seinem Weg
Die magern Hunde quält und, seinen Gassenhauer
Sich pfeifend, schlüpfrig Zeug hinkritzt an jede Mauer;
An nichts glaubt dieses Kind; es speit die Mutter an;
Der Himmel dünkt ihm nur ein abgeschmackter Wahn;
Was zuchtlos nur und frech, spukt in des Buben Hirne,
Dem reif das Laster steht auf fünfzehnjähr’ger Stirne“ –

ja, ein solcher Sproß „de la race de Paris“ stand später, der Mitschuld an diesem Mord angeklagt, vor dem Kriegsgericht und gab auf die Frage des Vorsitzenden, warum er auf die Priester-Geiseln geschossen habe, kurzweg die Antwort: „Weil man keine Religion mehr braucht.“ Das sind so Folgen der Thatsache, daß eine Stadt, welche sich rühmt, die „Weltleuchte“, die „Sonne der menschlichen Civilisation“ zu sein, barbarisch genug war und ist, innerhalb ihrer Mauern 60,000 Kinder ohne alle Schulbildung und Erziehung aufwachsen zu lassen.

Freitags, den 26. Mai, gab man dem Pöbel von Belleville jenes entsetzliche Schauspiel, welches unter dem Namen des Gemetzels in der Straße Haxo bekannt ist. Man hatte zu dieser schrecklichen Opferung 50 Geiseln, 14 Geistliche und 36 Stadtpolizisten (Gardes de Paris) aus La Roquette geholt. Zwischen 5–6 Uhr Abends am 26. Mai führte man die Opfer inmitten einer Procession von johlenden Banditen und lachenden Vetteln die Rue de Paris hinauf und dann rechtshinein in die Rue Haxo. In dieser stand rechts und links dichtgedrängt die Menge, welche die dem Tode geweihten Männer mit wüthenden Verwünschungen überschüttete. „Nieder mit ihnen! Schießt sie todt!“ war der Kehrreim des kanibalischen Gebrülls. Bei dem Hause Nr. 83 wurden die Geiseln in einen Hofraum oder vielmehr in einen ummauerten Graben hineingetrieben. Stabsofficiere von verschiedenen Bataillonen, in Schärpen und Borten prangend, wohnten der anhebenden Schlächterei an. Chassepot und Revolver thaten ihr Werk, thaten es so lange, bis keins der Schlachtopfer mehr athmete. Die Leichen warf man in den Kellerraum eines unvollendeten Gebäudes. Als der Gräuel zu Ende, brach die Menge in ein wildes Beifallsgeheul aus, und junge Weiber liefen auf die Mordbuben zu, drückten ihnen die pulvergeschwärzten, blutbespritzten Hände und riefen ihnen zu: „Brav gemacht, gut gearbeitet, Schatz!“

Auf Sonnabend, den 27. Mai, scheint noch eine Schlächterei größten Stils geplant gewesen zu sein, darauf deutete es hin, wenn der Bürger Ferré in der Schreibstube der großen Roquette erschien und die Freilassung und Bewaffnung der in dem Gefängnisse verwahrten Kriminalverbrecher und Bagnokandidaten anordnete. Offenbar in der Meinung, durch diese ehrenwerthen „Bürger“ alle noch im Hause vorhandenen „Geiseln“ niedermachen zu lassen. Allein den Bösewichten gelangen an diesem Tage nur noch einzelne Mordthaten. Zu weiteren ließ ihnen das bedrohliche Vorrücken der Blauen keine Zeit mehr. Auch

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wolff-Guyrad
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_334.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)