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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Die deutsche Loango-Expedition im Kriege.[1]
Von Dr. Pechuel-Loesche.


Chinchoxo, 7. Februar 1876.

Man ist wohl noch vielfach unklar darüber, wie ungünstig die Verhältnisse an der Westküste Afrikas, besonders an dem hiesigen Küstenstriche sind, wie unsicher, unberechenbar die Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen, wie erfolglos bisher alle Versuche waren, selbst für den auch den Eingeborenen directen Nutzen bringenden Handel neue Stützpunkte binnenwärts vorzuschieben und zu erhalten.

Was ehemals hier geschehen, was noch geschieht, erbt sich fort unter den Negern als eine böse Tradition, welche in ihrem ohnehin nicht gutangelegten Charakter nur die schlimmsten Eigenschaften ausbildet, das Bessere im Individuum sehr bald ertödtet und den Verkehr mit diesem Volke zu einem äußerst schwierigen macht. Grenzenlos habgierig, feige, indolent, als höchstes Gesetz nur die Selbsterhaltung kennend, sind diese Neger politisch vollständig zerfallen, in unzählige kleine Gemeinschaften aufgelöst, die, in Besorgniß um die eigene Existenz, einander fürchten, heimlich und zuweilen auch offen befehden. So lange ihnen darum nicht Männer erstehen, die alle Fähigkeiten besitzen, Massen zu fanatisiren, zu verschmelzen, zu führen, sind sie den weißen Elementen, wenn es sich um deren Existenz überhaupt handelt, nicht gefährlich; die Einzelnen jedoch, die an der Küste in ihren meist einsam gelegenen Factoreien sitzen, des Handels wegen ihrer bedürfen, lassen sie ihre bösen Neigungen im vollsten Maße empfinden, namentlich in Form unzähliger „Palaner“, Erpressungen, und jener endlosen Scherereien, in denen es die Schwarzen durch lange Uebung zu einer unglaublichen Virtuosität gebracht haben.

Leider haben die Weißen durch eigene Schuld diese Zustände so bedenklich heranwachsen lassen. Die Concurrenz ist keineswegs gering; die Handelsinteressen bedeutender Firmen, welche viele Factoreien unterhalten, und die der selbstständigen Händler beherrschen in gleicher Weise die Beziehungen der einzelnen Vertreter unter sich und mit den Negern. Natürlich werden, wie aller Orten, nicht immer ganz lautere Mittel angewandt, wenn es gilt einen Concurrenten auszumanövriren. In diesem rechtslosen Landstriche ist dies jedoch eine höchst verderbliche, kurzsichtige Politik, durch welche die Teufeleien der Eingeborenen erst recht begünstigt werden und bei welcher letztere allein dauernd gewinnen, zum Nachtheile aller mit ihnen verkehrenden Parteien. Jeder Händler ist somit im Verkehre gewöhnlich auf seine eigenen geringen Hülfsmittel angewiesen, denn die Verbindung an der Küste ist langwierig und Hülfe von etwa zugehörigen Factoreien nicht schnell zu erhalten. Allerdings haben sich öfter schon an wichtigen Punkten die verschiedenen dort etablirten Häuser zu Schutz und Trutz verbunden, und zwar mit gutem Erfolge; die Coalitionen jedoch, durch augenblickliche gemeinsame Gefahr hervorgerufen, wurden sehr bald wieder, durch Ueberwiegen der Einzelinteressen, illusorisch. Die Neger wissen recht wohl, was sie dem Einzelnen bieten können, und verfolgen ihren Vortheil mit einer grenzenlosen Unverschämtheit, und zwar in der beleidigendsten Form derselben: der Unverschämtheit der Feigheit. Eine angemessene Bestrafung wird ihnen fast nie zu Theil für ihre Uebergriffe, weil die Geschädigten nur selten gemeinsam, und dann nicht nachdrücklich genug vorgehen. Auch ist es schwierig genug, den Uebelthätern beizukommen, da sie im Nothfalle mit ihrer Habe die Dörfer verlassen und sich in den dichten Wäldern verbergen, von diesen aus aber und in den mit hohem Grase bestandenen Campinen den Angreifenden gefährlich werden. Ein Niederbrennen ihrer leeren Schilfhütten ist gar keine Strafe für Eingeborene, welche dieselben mit geringer Mühe schnell wieder erneuern können.

Der Wilde muß anders gefaßt werden. Er hat nur zwei wunde Punkte: seine Persönlichkeit und seine Existenzmittel. Wer nach den Ideen der Civilisation mit Menschen Krieg führen will, welche jene gar nicht würdigen können, sie nur als Schwäche ansehen, der wird stets im Nachtheile bleiben, bis er endlich auch die eisernen Gebote der Nothwendigkeit rücksichtslos durchführt.

Die Humanität ist eine schöne Doctrin, doch ihre Grundlage ist die Gerechtigkeit; wo diese in den allgemeinen Zuständen zu walten aufhört, da findet auch jene ihre praktischen Grenzen – und überdies sollte sie doch zunächst jene Partei begünstigen, welche die tüchtigste, für die Menschheit brauchbarste ist. Wem solche Lehrsätze allzuhart erscheinen, der möge bedenken, daß sie auf einem unerschütterlichen Naturgesetze beruhen, dessen ehernes Walten allgemein mit dem Schlagworte „Kampf um’s Dasein“ bezeichnet wird; er möge bedenken, wie viel Leben und Eigenthum an hiesiger Küste verloren wurde, wie viele schutzlose Factoreien überfallen, nach Ermordung der Weißen ausgeraubt und niedergebrannt wurden. Auch die deutsche Expedition hat früher, ehe sie sich zu ihrer jetzigen Macht entwickelte, Vieles zu leiden gehabt; wurde doch unter Anderem gerade heute vor einem Jahre unser Herr Lindner auf der Büffeljagd unweit Chinchoxo wenige Schritte von mir meuchlerisch angeschossen, obgleich einer der angesehensten und sicherlich einer der vortrefflichsten Häuptlinge der Küste unser Jagdgeber war.

Diese Zustände an der Loangoküste werden so bleiben, so lange nicht jeder schlechten That der Eingeborenen die Strafe auf dem Fuße folgt, und das kann erst geschehen, wenn dieser wichtige Küstenstrich nicht mehr herrenlos ist.

Besonders günstige Gelegenheit für Unternehmungen der Neger bietet der für den Handel wichtige Fluß Chiloango (Dschiloango) eine Wegstunde im Süden von Chinchoxo (Dschintschotscho). Bis einige Meilen oberhalb der Mündung liegen an diesem eine Reihe einzelner Handelshäuser, vorgeschobene Posten der Hauptfactoreien von Landana, ein halbes Stündchen südlich vom Flusse, an der Bai gleichen Namens. Da der Chiloango schmal ist und beide Ufer dicht bewaldet sind, wird er von den Bewohnern der umliegenden Gebiete vollständig beherrscht und als eine Art Schraube benutzt, um ebensowohl ihre schwarzen Brüder, die Producte aus dem Inneren herabführen, wie auch die Weißen nach Belieben auszupressen. Auf irgend welchen nichtigen Grund hin wird der Fluß von Bewaffneten durch querüber gezogene Seile gesperrt und die Verbindung mit den Factoreien gewaltsam unterbrochen; Boote und Canoes mit Gütern werden weggenommen, bis ihre Forderungen erfüllt sind. Schlau genug

  1. Loango-Expedition“ nennt die deutsche „Afrikanische Gesellschaft“ die Unternehmung, durch welche sie einen etwa siebenzigtausend Geviertmeilen großen Theil Afrikas südlich vom Aequator der Forschung erschließen will. Zu diesem Behufe sandte die Gesellschaft, die ihren Sitz in Berlin hat, im Mai 1873 den Dr. Güßfeldt; den Geologen Dr. Lenz und den Major von Homeyer an die Loangoküste, von wo aus diese drei Männer, unter Güßfeldt’s Oberleitung, in drei Abtheilungen in das Innere aufbrechen sollten, und zwar Dr. Lenz am Ogowe hin, Major Homeyer von Angola und Güßfeldt selbst von Chinchoxo aus, wo für die Expedition eine feste Station eingerichtet und erhalten worden war. Den genannten Reisenden gesellten sich im März des folgenden Jahres noch der Arzt Dr. Falkenstein, der Mechaniker Lindner, der Botaniker Soyaux und der den Lesern der „Gartenlaube“ schon durch seine Forschungen über den Wal und den Fang desselben, bei welchem letzteren er selbst einige Jahre thätig war, bekannte Dr. Pechuel-Loesche aus Leipzig zu. Leider stellten gerade dem von Güßfeldt geführten Zuge sich die größten Hindernisse entgegen, denn während die beiden anderen Führer glücklich vorwärts kamen, hatte jener erst unbeschreibliche Schwierigkeiten bei dem Aufbringen der vielen nöthigen Träger zu überwinden, dann brach unter den Eingeborenen eine Blattern-Epidemie aus; es starb der einflußreichste Gönner des Unternehmens im Lande, und als endlich dies Alles überwunden schien, ergriffen im Augenblicke des Aufbruchs der Expedition die Träger bis auf den letzten Mann die Flucht. Zwar wußte Güßfeldt sich andere Träger zu verschaffen, und es gelang ihm, am Quillu bis zu den vorher noch unerreichten Katarakten von Bumina vorzudringen, aber die Feindseligkeit der dortigen Negerstämme äußerte sich in so bedenklicher Weise, daß auf Güßfeldt’s persönliche Berichterstattung vor einer Versammlung der Delegirten und des Vorstandes der Gesellschaft am 3. October 1875 in Berlin der Beschluß gefaßt wurde, die Station Chinchoxo aufzuheben und die Reisenden zurückzuberufen. Doch ist damit nicht das ganze Unternehmen aufgegeben, sondern es soll mit erneuten Kräften eine Expedition am rechten Ufer des Congo entlang versucht werden. Für die Erhaltung der Station Chinchoxo sind mit großem Eifer Dr. Falkenstein und Pechuel-Loesche aufgetreten, denen dieselbe manche neue Schöpfung und Verbesserung zu verdanken hat. Wie auch hierüber entschieden werden möge, immer werden unsere Leser einen Bericht Pechuel-Loesche’s aus jener deutschen Station in Afrika mit Theilnahme entgegennehmen. Wer sich genauer über die ganze Angelegenheit unterrichten will, den verweisen wir auf das „Correspondenzblatt der Afrikanischen Gesellschaft, herausgegeben im Auftrage des Vorstandes von Professor Dr. R. Hartmann“ in Berlin.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_348.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)