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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


sich Depeschen von ihm an Obersteuerbeamte in St. Louis vor, aus welchen deutlich hervorging, daß er in das ganze Complot mit eingeweiht war und in Washington als Schildwache an höchster Stelle diente, um die Operationen der Betrüger zu decken, ihnen Winke nahender Gefahr zu geben und seinen Einfluß zur Förderung ihrer Interessen zu verwenden.

Die Regierung war in St. Louis durch den sehr tüchtigen Districtsanwalt Henderson vertreten, welcher bei diesen Untersuchungen schon die wichtigsten Dienste geleistet hatte und ganz vorzüglich befähigt war, auch diesen Fall bis auf den Grund zu sondiren. Er that dies unerschrocken und scharf, war aber so unzart, den Namen des Präsidenten selbst in seinem Argumente zu nennen, als ob dieser möglicher Weise etwas von den Geschäften seines Günstlings gewußt haben könnte. Die Folge dieser Majestätsbeleidigung war die augenblickliche Absetzung Henderson’s und die schleunige Freisprechung Babcock’s, obwohl die Nachfolger Henderson’s ihm ebenfalls scharf zu Leibe gegangen waren. Um die Freisprechung zu erleichtern, hatte der Justizminister Pierrepont, ein treuer Freund und Anhänger Grant’s, während des Processes ein Rescript erlassen, in welchem alle solche Angeklagte, die als Staatszeugen auftreten würden, ausdrücklich verwarnt wurden, nicht übereilt zu handeln, indem ihre Dienste in diesem Falle keine Milderung ihrer Strafe zur Folge haben würden. Durch solche grobe Einschüchterungen wurde manches Zeugniß, welches hochstehende Personen compromittirt haben würde, zurückgehalten, und Herr und Diener kamen mit einem blauen Auge davon.

Babcock wurde nach seiner Freisprechung mit Gratulationen der Grantianer aus dem ganzen Lande überschüttet, während Grant selbst, was für die Situation höchst bezeichnend war, von seinen Freunden fast noch mehr Glückwünsche als sein Günstling empfing, gerade als ob nicht dieser, sondern er selbst auf der Anklagebank gesessen hätte. Das Volk aber ließ sich weder durch die Advocatenkniffe, noch durch die Regierungsmaßregeln, welche Babcock gerettet hatten, blenden und sprach trotz des „Nicht-schuldig“ der Geschworenen sein „Schuldig“ über den Favoriten aus, der denn auch nach längerem Sträuben seines Herrn aus dessen Dienste als Geheimsecretär entlassen wurde.

Gleichzeitig mit diesem scandalösen, das Weiße Haus sehr empfindlich berührenden Processe erregte ein anderer Vorfall in der diplomatischen Welt Amerikas und Englands das größte Aufsehen. Der amerikanische Gesandte in London, General Schenck, wurde der Theilnahme an einer unter dem Namen des Emmaminenschwindels bekannten betrügerischen Speculation angeklagt. Mit diesem gemeinen Betruge verhielt es sich kurz folgendermaßen: Ein gewisser Lyons hatte vor einer Reihe Jahren eine ergiebige Erzader in Utah bearbeitet. Während einer längeren Abwesenheit desselben hatten andere die Arbeit aufgenommen und daraufhin das Besitzrecht beansprucht. Die Folge war ein Proceß, in welchem der damalige Senator von Nevada, Stewart, als Anwalt des Lyons fungirte. Später kauften californische Speculanten die Ansprüche der Gegner Lyons’ auf, und dieser fand es schließlich für das Beste, mit denselben gemeinschaftliche Sache zu machen.

So wurde im Winter 1872 die Emmaminencompagnie mit einem Actiencapitale von fünf Millionen Dollars gebildet. Nun waren aber die werthvollen Erze der Mine bereits erschöpft, was die Unternehmer ganz genau wußten; die ganze Sache war also ein Schwindel erster Classe. Sie wählten vorzüglich England zum Schauplatze ihrer Operationen, die mit großem Erfolge geführt wurden. Ein Professor Silliman wurde mit einem der englischen Directoren nach Utah geschickt, um die Erze zu analysiren, und berichtete Wunderdinge von ihrer Reichhaltigkeit. Mit den pomphaftesten Ankündigungen wurden die Actien auf den Markt geworfen, und um das Vertrauen des Publicums zu ködern, beschloß man, den amerikanischen Gesandten in London, General Schenck, in’s Geschäft hineinzunehmen. Es wurde ihm eine Directorstelle mit fünfhundert Actien angeboten und er griff zu. War es doch schwer, wie im Zeugenverhöre ausgesagt wurde, mit siebenzehntausend Dollars jährlichem Gehalte die Würde der Republik am britischen Hofe aufrecht zu erhalten – wie konnte man es ihm also verdenken, wenn er nebenbei „Geld zu machen“ suchte! Der Gesandte benutzte somit, ob bewußt oder unbewußt, müssen wir vorläufig dahingestellt sein lassen, seine amtliche Stellung, als Vertreter des Volks, um einer der frechsten Schwindelunternehmungen Vorschub zu leisten, mit welcher die Bürger des Landes, in welchem er seine Regierung repräsentirte, betrogen werden sollten. Die Actien fanden guten Absatz; hieß es doch, die Mine repräsentire einen Werth von siebenzehn Millionen Dollars, obwohl sie schon im Juni 1872 gänzlich zusammensank, um nie wieder aufgenommen zu werden. Durch allerhand Vorspiegelungen und falsche Berichte wurden die Actionäre von Zeit zu Zeit beschwichtigt, sodaß trotz des Nichterscheinens der verheißenen Schätze die Actien doch in die Höhe gingen, bis endlich der ganze großartige Schwindel an den Tag kam und die Actionäre sich um ihr ganzes in dem Unternehmen angelegtes Geld betrogen sahen. Schenck wurde durch Lyons selbst als Mitwisser und Theilnehmer an dem Betruge denuncirt und entging einem Verhaftsbefehle der englischen Gerichte nur durch seine Abreise.

Es schien eine Zeitlang zweifelhaft, ob Grant den Gesandten abberufen würde, weil allerhand technische Einwendungen gegen dessen Schuld gemacht wurden. Weil die Angelegenheit aber vor einem demokratischen Congreßcomité zur Untersuchung kam, von welchem wenig Rücksicht für einen republikanischen Gesandten zu erwarten war, so sah der Präsident sich bewogen, seinen Freund zu ersuchen, zu resigniren. Der speculative Diplomat hat sich unterdeß dem Congreßcomité zur Verfügung gestellt, und auch in diesem Falle werden keine Mittel unversucht gelassen werden, ihn wenigstens von bewußter Mitschuld an dem verübten Verbrechen frei zu sprechen.

Alles dies wurde indeß völlig in den Schatten gestellt durch die Enthüllungen im Kriegsdepartement, welche vor einigen Wochen das Land erschütterten, und den bisher hochgeachteten Kriegsminister, General Belknap, zu einem gewissenlosen Beamten stempelten. Die hierbei zu Tage geförderten Einzelheiten zeigen ein so abschreckendes Bild der moralischen Verkommenheit der vornehmen Gesellschaft unserer Republik, daß sie eine etwas eingehendere Schilderung verdienen.

Caleb Marsh war früher einer der angesehensten Bürger Cincinnatis, wo er sich im Eisengeschäfte ein bedeutendes Vermögen erworben hatte; später zog er nach New-York und gehörte dort zu dem hohen Geldadel, der in pompösen Palästen das aristokratische Viertel der fünften Avenue und Umgegend bewohnt. Sein größter Schatz war indeß seine Frau, die erste Modedame jenes glänzenden Quartiers, in welchem der Werth eines Menschen einzig und allein nach der Pracht der Toiletten, der Menge der Diamanten und der Eleganz der Equipagen abgeschätzt wird. Frau Marsh leistete in diesen Punkten das Möglichste, gab mindestens 25,000 Dollars im Jahre aus und hatte dafür die Genugthuung, von den Größen der „Shoddy-Aristokratie“ New-Yorks als mustergültig bewundert und beneidet zu werden. Während ihr Herr Gemahl seinen eigenen Vergnügungen in Spielsälen und Rauchsalons nachging, genoß sie, strahlend von Diamanten und in die neuesten Erzeugnisse der Pariser Mode gehüllt, am Arme irgend eines Löwen der Gesellschaft ihre Triumphe für sich; ganz besonderes Vergnügen aber gewährte es ihr, jungen Damen ihre jugendlichen Verehrer wegzucapern worin sie, trotz ihrer vierzig Jahre, eine ganz vorzügliche Geschicklichkeit entfaltete.

Diese würdige Dame hatte eine „Freundin“, Frau Bowers, die junge Wittwe eines ehemaligen Rebellenobersten, ausgezeichnet durch Schönheit und durch das brennende Verlangen, baldmöglichst wieder einen Mann mit mindestens einer halben Million Vermögen zu bekommen. Die junge Wittwe ging nach Europa, traf mit ihrer Freundin Marsh in Paris zusammen, wo die letztere ihre obenerwähnte Kunstfertigkeit an den Anbetern der schönen Freundin mit Erfolg ausübte, sodaß es dieser gar nicht gelingen wollte, einen Nabob zu fangen. Sie kehrte nach Amerika zurück und beschloß jetzt, es mit einem Minister zu wagen. General Belknap war das erkorene Opfer; er fiel auf den ersten Angriff; sie wurde Frau Kriegsminister Belknap und zog in die Hauptstadt der Republik ein. Um aber dort als erste Salondame zu glänzen – und etwas Geringeres ließ ihr Ehrgeiz ihr natürlich nicht zu – dazu gehört, seit Präsident Grant seinen Hofstaat auf europäischen Fuß eingerichtet hat, Geld, sehr viel Geld, viel mehr Geld, als so ein Minister durch seinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_352.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)