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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Bewußtsein seiner Erfahrung völlig beruhigt dreinschaut. Wie? und der Habicht, welcher sein Leben für seine bedrohten Jungen mit der innigsten, treuesten Anhänglichkeit preisgiebt, sollte unterliegen?

Ob es früh am Tage, ob es zur späteren Stunde ist, wir wissen es nicht – ob der Marder zufällig in den Horst der flaumbedeckten jungen Habichte schaut oder als Kundiger der Begebenheiten im Reviere die Zeit der Abwesenheit der alten Vögel zu seiner Raubthat sich ausersehen hat, – wir wissen auch das nicht. Aber Eines wissen wir zuverlässig: im Augenblicke, wo er das alte Habichtweibchen mit entscheidender Haltung, bereit, den Kampf auf Leben und Tod aufzunehmen, sich gegenüber sieht, beschleicht ihn das Gefühl des Unbehagens, und man sieht es an dem zurückgezogenen „Gehör“, daß es ihm unheimlich geworden und die Situation ihm peinlich ist. Für seine eigene Sicherheit besorgt und ein Feind aufsehenerregender Scenen am hellen Tage, so lange er noch nicht, von hinreißender Mordwuth befallen, in Scene getreten ist, zieht er klug und weise den Kopf hinter den Ast zurück und denkt sich salvirend: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“.




Die deutsche Loango-Expedition im Kriege.
Von Dr. Pechuel-Loesche.
(Schluß.)


Die Mission und die Factoreien von Landana liegen am Nordabhange des etwa dreihundert Fuß hohen gleichnamigen Vorlandes, welches nach Westen schroff in das Meer hinaustritt. Dicht an dem jenseitigen Steilabsturze desselben, eine halbe Stunde entfernt, hinter einem dichten Gürtel von Buschwald, zehn bis fünfzehn Fuß hohem schilfartigem Grase, und unterbrochen von Streifen üppigen Mandioc und Mais, liegt wie hinter einem vortrefflich schützenden Wall, durch den ein einziger Pfad führt, das Dorf Levula. Dasselbe hat einen sehr bösen Ruf; seine Bewohner aber erhielten für alle an den Weißen ausgeübten Schlechtigkeiten noch niemals eine erhebliche Züchtigung, nur die von den Flüchtigen geräumten Hütten wurden vor Jahren schon mehrmals verbrannt.

In langer Reihe, Einer hinter dem Andern, zogen wir auf dem schmalen Negersteige, zwischen hohem, nassem Grase und krausem Gebüsche hügelan, unser schöner pommerscher Schäferhund, der unverwüstliche „Tyras“, immer mit voran. Auf dem Plateau dehnte sich eine freiere, mit kürzeren Gräsern bestandene Hügelcampine aus, von Wäldern umrahmt, von einzelnen Baum- und Buschgruppen unterbrochen, das Ganze wie verjüngt vom Regen und duftig schimmernd in den ersten Strahlen der Sonne. Einzelne Nebelstreifen hingen noch in geschützten Waldwinkeln, oder zogen leise mit der Landbrise zum Meere hin, dessen dunkle Fläche nach Westen sich ausbreitete. Hinter uns lag das Thal Chiloango mit seinen Lagunen und noch nebelverhüllten Mangrove-Wäldern; von jenseit derselben grüßten die sanft gerundeten bräunlichen Hügel von Chinchoxo herüber. Vor uns lagen die Dickungen von Levula. Es war ein köstlicher, erfrischender afrikanischer Morgen; die Vögel sangen und zwitscherten rings umher; fern, aus der Tiefe herauf, drang das dumpfe Grollen der Brandung.

Sobald wir die Höhe, das feindliche Gebiet, erreichten, entwickelten unsere Leute ihre taktischen Fähigkeiten, die so recht zeigten, wie geübt sie im Buschkriege waren. Anstatt ruhig hinter uns in der Reihe zu bleiben, brach die größere Hälfte derselben nach beiden Seiten aus und zog in breiter Front über die Campine, mit schußfertigem Gewehre hier- und dorthin huschend, jeden Busch, jede Baumgruppe, jeden dichten Grasfleck untersuchend, an den Waldrändern hinschleichend, verschwindend, wiedererscheinend, lautlos sich mit einander verständigend; es konnten ja überall Feinde verborgen sein, da man vor Kurzem dort Bewaffnete gesehen haben wollte. Die auf dem Fußsteig gebliebenen Krieger rückten enger an uns auf; dadurch aber, und durch das frühere Ausbrechen der Plänkler, wurde in der langen Reihe die Lücke, welche unsere Truppe von den Nachfolgenden trennte, immer weiter, und je näher wir dem gefährlichen ausgedehnten Pflanzenwall kamen, um so größer wurde der Zwischenraum.

Zum Warten hatten wir keine Zeit; unsere Spürer waren bereits bis an die Dickungen hinan; einzelne tauchten schon in diese hinein, und wir mußten schneller marschiren, um nur in Front zu bleiben. Nun führte auch uns der schmale, vielgewundene Pfad in die hohen verfilzten Gras- und Buschmassen mit ihrer dunstigen, erdrückenden Atmosphäre; von rechts und links kam zuweilen ein leises Rauschen und Knacken, wo die Plänkler sich entlang wandten. Ein schmales Mandiocfeld ließ uns hier und dort eine der dunkeln Gestalten erkennen; dann folgten wieder hohe Grasbestände und dichtes Gebüsch. Der Feind konnte dicht vor uns, sogar neben uns verborgen sein; es war nicht möglich weiter zu sehen, als man das Gewehr strecken konnte. Unsere Leute schienen jedoch die Nähe des Dorfes mit dem Instinct der Wilden zu fühlen; die hinter uns befindlichen huschten seitwärts an uns vorbei – die Rangordnung wurde nicht mehr beachtet; wie die Katzen glitten sie auf dem Pfade vor uns, neben uns, zwischen den Gewächsen entlang; gebückt, schußfertig, immer schneller drängte Jeder nach vorn. Endlich ging es in vollem Anlaufe gegen den noch unsichtbaren Feind.

Plötzlich ein Schuß, dann mehrere rechts und links. Hell klingt dazwischen das scharfe Gebell des braven Tyras, dann eine rollende Salve – Pulverrauch umgiebt uns; wir sind im Dorfe. Herr Dr. Falkenstein und Herr Lindner laufen nach rechts, die streitbaren Missionäre nach der Mitte, ich nach links. Gellen, Jauchzen, Brüllen ringsum. Es herrscht ein entsetzlicher Tumult, ein verwirrender Lärm. Schüsse krachen zwischen den Hütten, vom Walde herüber; einer unserer Besten, der immer freundliche Tona, bricht wenige Schritte vor mir zusammen, dicht über dem Herzen tödtlich getroffen. Mit der Machete in der Faust, rasen unsere Leute zwischen den Schilfhütten umher, an Wänden und Dächern zerrend, das Innere durchsuchend. Wo Andere noch die Fliehenden verfolgen, im Dickicht drüben, am anderen Ende des Dorfes, knattert und knallt es noch; deutlich unterscheidet das Ohr den dumpfen Krach der Steinschloßflinten von dem scharfen Schlag unserer Gewehre. Aus einer Hütte flieht ein schlankes hübsches Mädchen hervor; ein paar Sprünge, ein rascher Griff sichert mir die Zitternde als Gefangene; mit seltener Geistesgegenwart hat sie ihren kostbaren Schmuck von Edelkorallen und blanken Münzen vom Halse gerissen und sucht ihn vor den Plünderern im geballten Händchen zu verbergen. In furchtbarer Angst vor den wilden Kriegern schmiegt sie sich weinend und klagend an den weißen Mann.

Unterdessen waren noch einige Weiße mit ein paar Crumanos bis zum Dorfeingang gekommen; die Uebrigen warteten draußen auf der Campine. Das Feuern hatte aufgehört; die Unseren suchten nach Beute. Noch eine Frau und ein Knabe wurden als Gefangene gebracht; zwei Andere zeigten stolz die todten Feinden abgenommenen Gewehre. Zwischen den nächsten Hütten lag einer derselben, weiterhin ein zweiter, am jenseitigen Waldrand ein dritter. Im Dickicht drüben sollten noch mehrere liegen. Unsere Leute umtanzten die Gefallenen im Dorfe mit wilden Geberden – der Kriegsgesang hallte weithin durch die Morgenluft; sie streiften mit den Fingern das Blut von den todten Feinden und aßen es; Andere beugten sich nieder und sogen es sogar direct von den Wunden; dies ist ihr Landesgebrauch, doch gehorchten sie sofort dem Verbote.

Die später gekommenen Weißen riefen nun, es wäre Zeit abzuziehen, der Feind käme zurück, wir würden im Dickicht erschossen werden. Sie marschirten auch, bis auf Einen, fort, und begannen zugleich rechts und links ziellos in die Büsche zu knallen; ihre Crumanos auf dem Pferde thaten desgleichen mit ihren Rückladern, und auch die Helden in der Campine nahmen das Feuern auf. Da der Pfad so vielfach gewunden war und die Abziehenden einfach seitwärts feuerten, verirrten viele Kugeln sich in das Dorf und wurden besonders meinen Cameraden am anderen Ende gefährlich. Von der Campine draußen wurde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_365.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)