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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


in dem großen hochgewölbten Saale sahen wir Steinbänke und zwischen diesen und der Tafel zwei einzelne Sitze, vielleicht die der Angeklagten und unglücklichen Opfer. Aber ein Grausen erfüllte uns Alle, als wir in einem Nebengemach die Marterwerkzeuge sahen. Alle Torturmaschinen damaliger Zeit, zwar grausam verwittert, erkannten wir noch, die Bank, den Stuhl, die Schraubenwerkzeuge, alles fast colossal und der damaligen Kraft der menschlichen Körper angemessen; dann befanden sich auch noch viele alte Waffen, Speere und Schwerter, auch eisernes Rüstzeug an der Wand aufgehängt, vielleicht den Verurtheilten abgenommen. In dem Sitzungssaale erkannten wir aber bei unserer Rückkehr noch eine Maschine, die in einer dunkeln Ecke einen nicht unbedeutenden Raum einnahm; es war die bekannte Jungfrau, eine mit eisernen Gelenken und Gewinden versehene eherne Frau von colossaler Größe, deren Arme mit hundert scharfen – jetzt aber ganz verwitterten und verrosteten – Schwertern und Dolchen versehen waren und die bekanntlich die zum Martertode verurtheilten Unglücklichen zärtlich in ihren Arm nehmen, und so durch die Zusammenziehung der schrecklichen Maschine mit unzähligen Wunden, Stichen und Schnitten im Augenblick tödten mußte. An der Wand zur Seite dieser Jungfrau stand mit großen lateinischen Buchstaben, noch lesbar, geschrieben: „Hans Reitesel“. Vielleicht der Name des letzten zur Umarmung der Jungfrau Verurtheilten, der möglichenfalls ein Ahne des alten Geschlechts der Riedesel war. Gottlob, daß die Zeit der Vehme für immer entschwunden ist!“




Das rothe Quartal.
(März–Mai 1871.)
Von Johannes Scherr.
Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.
11. Blut und Feuer – Feuer und Blut.

„Wann ich todt, mag die Welt im Feuer aufgehen!“ sagte Tiberius.

„Nach uns die Sündflut!“ sagte Madame de Pompadour.

„Wann unsere Zeit gekommen, wird Paris uns gehören oder Paris wird nicht mehr sein! Wir oder das Nichts!“ sagte schon vor der Katastrophe von Sedan, also vor dem Sturze des Kaiserreichs, ein Häuptling der rothen Mongolen von 1871.

Ja, der rothen „Mongolen“. Denn genau so, wie es im Mittelalter die gelben Mongolen getrieben hatten, so trieben es im Mai von 1871 die Kommunarden. Was sie nicht zu besitzen und zu behaupten vermochten, sollte vernichtet werden, damit es wenigstens auch andere nicht besäßen.

Ganz dieselbe wilde Selbstsucht, wie sie aus dem finsteren Despoten Tiber gegrollt und aus dem leichtsinnigen Buhlweib Jeanne Antoinette Poisson gelacht hatte.

Es war etwas, nein, viel, alles von der Entmenschung, welche die Bürgerkriege der Römer zur Zeit des Unterganges der Republik kennzeichnete, in diesem französischen Bürgerkriege des rothen Quartals. Aus der mörderischen Maiwoche heraus schaudert uns auf Schritt und Tritt das Zähnefletschen und das Wuthgebrüll wilder Thiere an. Da ist nichts Menschliches mehr, weder hüben noch drüben. Auf der einen Seite nur noch die Raserei der Verzweiflung, auf der andern nur noch der Rausch der Rache.

Wenn der Wohlfahrtsausschuß der Kommune in einem seiner letzten Aufrufe zeterte: „Zu den Waffen! Auf die Barrikaden! Kein Erbarmen! Schießt alle nieder, welche den Versaillern die Hand reichen könnten. Feuer! Feuer!“ so gab es unter den Blauen Offiziere genug, welche die Soldaten zu massenhaftem Niederschießen ihrer Gefangenen unaufhörlich anstachelten. Vor allen aber hat sich ein Bonapartist, der Marquis und Oberst de Gallifet, durch sein blutgieriges Wüthen berufen gemacht.

Freilich, es mußte biegen oder brechen. Vom 23. Mai an handelte es sich für die beiden kämpfenden Parteien schlechterdings um nichts anderes mehr, als welche von ihnen die Kraft hätte, die Gegnerin unter die Füße zu treten.

Nachdem der düstere Jakobiner Delescluze die Einbußen des Tages erfahren und damit die Ueberzeugung erlangt hatte, daß der Anfang vom Ende gekommen sei, sagte er: „Paris soll in die Luft. Eher soll es bis auf den Grund niedergebrannt als den Royalisten überliefert werden.“

Dieses Wort kann füglich als das Signal genommen werden, welches den Zündern und Zünderinnen – (eine hübsche Sorte von „flamines“ und „flaminicae“ fürwahr!) – an ihr schreckliches Werk zu gehen und dem Pulver das Petrol zu gesellen gebot.

In der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch (23. bis 24. Mai) wurde das Namenlose vorbereitet: die Feuerbestattung der „Weltmetropolis“.

Wer dann im Morgengrauen von den Höhen von Meudon oder Montretout auf Paris hinabgeschaut hätte, würde gesehen haben, wie der rothe Hahn seine ersten Flüge that, um, eine Feuerfurche hinter sich herziehend, von den Tuilerien zum Louvre, zum Palais Royal, zum Finanzministerium und weiter, immer weiter zu fliegen.

Aber wer nach allen den vorhergegangenen Schrecken noch leichtherzig genug gewesen war, die Nacht zu verschlafen, den machte der Entsetzensschrei: „Paris steht in Flammen“ aus dem Bette springen. Und ein Tag brach an, nein, eine ganze Reihe von Tagen, von denen jeder glauben konnte, das alte Weltgerichtslied wäre für ihn gesungen: –

„Dies irae, dies illa
Solvet urbem in favilla“
[1]

Derweil war das wilde Ringen zwischen Rothen und Blauen um den Besitz von Paris noch lange nicht zu Ende. Hier und dort schlug man sich mit steigender Erbitterung. Angriff und Vertheidigung waren gleich heldisch. Als föchten sie für die beste Sache, für welche jemals ein Gewehr geladen und ein Schwert gezogen worden, gaben die Kämpfer der Kommune ingrimmig ihr Leben dahin. Auch mitunter mit jenem lachenden Gleichmuth, womit die alten Nordlandsrecken in den Tod gingen. Bei der Porte Saint-Martin hielt mitten im Kugelregen ein Blusenmann die rothe Fahne, deren Träger er war, hoch empor und lehnte sich dabei mit dem Rücken an ein hinter ihm stehendes Faß. „Bist Du müde oder faul?“ fragt ihn ein Mitstreiter. „Weder dies noch jenes – gibt er zur Antwort – ich lehne mich an, um nicht umzufallen, wenn ich getroffen werde, und auch dann noch die Fahne festhalten zu können.“

Noch am Dienstag hatten die Blauen, abgesehen von der Wegnahme des Montmartre, von dessen Höhe sie ihre Bomben nach Belleville und zum Père Lachaise hinüberwarfen, beträchtliche Eroberungen gemacht. Der General Ladmirault schob seine Truppen die äußeren Boulevards entlang ostwärts vor, der General Clinchant verfolgte in den Quartieren zwischen den beiden Boulevardslinien die gleiche Richtung. Ebenso im Centrum die Generale Douay und Vinoy. Alle diese Bewegungen, welchen der General Cissey auf dem linken Ufer die seinigen anpaßt, richten sich koncentrisch auf das Hôtel de Ville. Cissey ist noch am Dienstag bis gegen die Rue du Bac hin vorgedrungen, während auf dem rechten Stromufer die Terrasse der Tuilerien, die Madeleine und der Vendômeplatz von den Truppen genommen werden, welche auch in der Chaussée d’Antin und in der Rue Lafayette festen Fuß fassen.

Fürder bereitet die Nacht dem Kampfe keine Unterbrechung mehr. Für Beleuchtung sorgen ja die Petroleurs und die Petroleusen. Es hat den Anschein, als müßte sich die ganze Riesenstadt zu einem ungeheuren Feuerherde gestalten, und inmitten von Glut und Rauch geht das Gewürge weiter.

Am Morgen vom 24. Mai nehmen die Blauen die Börse und den Börsenplatz. Douay geht gegen die hochbarrikadirte und zähvertheidigte Pointe de Saint-Eustache vor und bewältigt sie nach herben Verlusten. Dann bedroht er von der Rue Rambuteau her das Stadthaus, gegen welches von der

  1. Tag des Zornes, Tag der Rache,
    Wirfst die Stadt in Schutt und Asche.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_370.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)