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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Schmucksachen in Erstaunen setzte, so müssen die Erzeugnisse der Glasspinnerei fürwahr unsere größte Bewunderung erregen. Man denke sich das Glas, dieses spröde, zerbrechliche, keines irgend kräftigen Widerstandes fähige Product, hier ausgesponnen zu Fäden von einer Feinheit, gegen welche selbst das Spinnengewebe noch grob genannt werden dürfte, und dann diese Fäden in jeder beliebigen Farbe zu den künstlichsten Arbeiten verwendet. Wir sahen prachtvolle Schmuckfedern, täuschende Nachahmungen der Straußenfedern und sogar falsche Locken aus Glasfäden, blonde und braune, schwarze und röthliche so überaus natürlich, daß man sie nur bei eingehender Prüfung von Haararbeiten unterscheiden konnte. Auch zu den feinsten Spitzengeweben lassen sich diese Glasfäden leicht verarbeiten, und von prachtvollem Farbenglanze bei vollkommener Biegsamkeit sind die damastartigen Gewebe aus Glasgespinnst und Seide.

Das Spinnen des Glases geschieht vermittelst eines großen Schwungrades, über welches der Faden des an der Stichflamme schmelzenden Glasstäbchens gelegt wird. Während ein Arbeiter das Rad in fortwährender Bewegung erhält, bringt der andere das Stäbchen feinsten Glases in der Flamme zum andauernden, gleichmäßigen Schmelzen. Reißt der über das Rad gelegte, kaum sichtbare Faden, was oft genug geschieht, so ist im Augenblick mit einem feinen Metallstab wieder ein Faden von dem schmelzenden Glase aufgenommen und auf’s Neue über das Rad gelegt. Ein Loth Glas ist hinreichend, um eine Faden von etwa hunderttausend Ellen Länge zu spinnen.

(Schluß folgt.)




Marbach und die Enthüllung des Schiller-Denkmals.
II.


Keine Frühlingslüfte, sondern kalte, schneidende Winde wehten über Feld und Wiesen, schüttelten die Blüthen von den Bäumen und jagten graue Staubwolken auf den Wegen hin, als am Morgen des Enthüllungstages die Festtheilnehmer sich auf der Reise nach Marbach befanden. Extrazüge waren aus allen Richtungen in Ludwigsburg, der nächsten Eisenbahnstation, eingetroffen, und von dort aus rollten alle möglichen Gefährte, elegante und primitive, auf der Landstraße dem Festorte zu und pilgerten endlose Züge von Fußgängern dahin.

Echte, rechte Festlaune war trotz des kalten Wetters wohl bei jedem Einzelnen da, angefacht durch den Gedanken an – Schiller. Und wie freundlich Marbach seine Gäste empfing, welch hübsches Kleid es angelegt hatte und welch sinniger Glanz von den Gesichtern seiner Bewohner leuchtete! Endlich, endlich hatte Schiller’s Heimathsort erreicht, was redlichstem Wünschen, Streben und Mühen viele Jahre hindurch nicht hatte gelingen sollen. Das kleinste Haus war mit Kränzen und Flaggen verziert; man schritt durch Triumphbogen und grüne Alleen von Fichtenbäumen – die Werktagsarbeit ruhte gänzlich.

Hornsignale riefen die Sänger schon um acht Uhr zur Musikprobe; eine von J. G. Fischer, dem beliebten schwäbischen Poeten, für das Fest gedichtete Cantate, componirt von Professor Faißt aus Stuttgart, sollte den Act der Enthüllung einleiten. Noch zwei Stunden, die den anderen Gästen unter Wanderungen nach dem Schiller-Hause und der Alexander-Kirche, Begrüßen und Plaudern schnell dahingingen, und dann hieß es, dem Rufe der Trommel folgen und sich zum Festzuge versammeln. Die Marbacher Schuljugend schritt dem Zuge voran; es folgten vierundzwanzig Festjungfrauen, weiß gekleidet und mit den deutschen Farben geschmückt. Umgeben von den Künstlern und anderen Ehrengästen, schloß sich als Vertreter von Schiller’s Familie der Enkel, Herr von Gleichen-Rußwurm aus Weimar, der Sohn von des Dichters jüngster Tochter Emilie, an. Den letzten Träger von Schiller’s Namen, Major Friedrich von Schiller hielt leider Krankheit in Stuttgart zurück. Den Ehrengästen folgte das hochverdiente Schiller-Comité, dem sich die Beamten und bürgerlichen Collegien Marbachs und endlich sämmtliche Gesangvereine anschlossen.

Der Zug bewegte sich langsam durch die Straßen und machte dann vor dem Schiller-Hause Halt. Man hatte dem Hause mit richtigem Tacte außer einer Flagge keinen Schmuck verliehen; so stand es klein und bescheiden da – und doch eine Weihestatt, wie wenige auf Erden. „Stumm schläft der Sänger“ ertönte es durch die tiefe Stille hinüber zu dem niedrigen Fenster zu ebener Erde, durch welches einst der erste Lichtstrahl das Kind gegrüßt, das Kind, aus welchem ein Riese erwuchs, dessen schallender Schritt über die Erde klang, der, obwohl man ihn seit einundsiebenzig Jahren zur Ruhe gebettet, in unwandelbarer Frische durch die Mitwelt geht.

Eine kurze Rede folgte dem Liede – und dann ging’s hinüber von der Stätte, wo Schiller’s Wiege gestanden, zu dem Bilde, das seine Unsterblichkeit auf’s Neue documentirt.

Ohne jede Störung gruppirten sich die Festtheilnehmer um das verhüllte Denkmal; ebenso füllten sich die Tribünen, und hierauf begann das Vorspiel der wirkungsvollen Festcantate. Von der luftigen Höhe wurden die vollen Klänge der Männerchöre hinabgetragen zu Thale, wo der silberne Neckar fließt, über die Rebenhügel, über Wege und Stege, die der Knabe Schiller an Mutterhand gewandelt.

„Aber heut’ an Deiner Wiege
Schreite selbst durch uns’re Zeit!
Komm’, Du Meister hoher Siege,
Ganz in Deiner Herrlichkeit!“ –

hieß die letzte bittende Strophe der Cantate, und es ließ sich nicht vergebens rufen, das große Marbacher Kind – ein Ruck! und von Meister Pelargus Hand gezogen, fiel die graue Hülle: da stand er, der Unsterbliche. Böllerschüsse und das Läuten der Schiller-Glocke auf dem Alexander-Thurme begleiteten den Moment, in welchem tiefes, ehrfurchtsvolles Schweigen über der Menge ruhte.

Professor J. G. Fischer, der um alles Schiller-Bestreben in Stuttgart wie in Marbach hochverdiente Mann, bestieg die Rednertribüne, um – seine vierundzwanzigste Schiller-Rede zu halten. Die vierundzwanzigste! gewiß keine leichte Aufgabe – und doch, mit welcher Begeisterung das hier zu den Füßen des Dichters geschah!

Freilich, die Einleitung war eine tief-wehmüthige – sie galt dem Andenken desjenigen, welcher nicht mit Augen vollendet sah, was sein Geist und seine Hand geschaffen, des so früh verstorbenen talentvollen Bildhauers Ernst Rau.

„In das erhebende Gefühl, das uns beim Anblicke des Dichterbildes erfüllt, von welchem soeben die Hülle gefallen, mischt sich ein Schatten tiefer Wehmuth, denn der Mann, der zu dem Rufe: ‚Freude hat mir Gott gegeben‘, heute das erste Recht hätte, weil seiner kunstreichen Hand diese kraftvolle jüngste Schiller-Statue entsprang, hat sich niedergelegt, um nie mehr zu schauen, was er ersann und bildete. Wir können ihm nur eine Thräne des Dankes nachweinen, aber beglänzt von dem Ruhme, den er sich selbst geschaffen hat.“

Schön und würdig legte der Redner dann in herzbewegenden Worten Schiller’s Bedeutung auf’s Neue dar, dankte den drei gekrönten Häuptern, dem deutschen Kaiser, dem Könige von Württemberg und dem Könige von Baiern, und all’ den vielen Spendern aus Nähe und Weite, welche zum Gelingen des Werkes beigetragen, und endlich der Stadt Marbach.

Rauschender Beifall folgte den warmen Worten; dann wurde, nach Absingung eines Schillerliedes, das Denkmal der Obhut der Stadt übergeben, und nachdem Mendelssohn’s „Festgesang an die Künstler“ verklungen war, traten die Festjungfrauen an das Denkmal, um ihre Kränze niederzulegen, wobei eine von ihnen ein kurzes Gedicht sprach.

Einer sinnigen, stillen That darf nicht vergessen werden. Oberamtsrichter Ganzhorn aus Neckarsulm hatte einen Strauß Blumen vom Grabe von Schiller’s Mutter an den Stufen des Standbildes niedergelegt. Erst bei dem Festessen wurde diese „That“ durch die hübschen Verse des „Dichterfreundes“ bekannt:

„Was da von des Frühlings Zier
Grabentsprossen ward gefunden,
Strauch und Blumen – sei gewunden,
Und gelegt zu Füßen Dir!

An der Wiege Stätte heut,
Da des Volkes Dank Dich ehret,
Sei auch ihr, die Dich genähret,
Ein Gedächtniß still geweiht!

An dem Mal im Frühlingsglanz
Strahlend, zum Gedenken Deiner,
Herrlicher, Erhabner, Reiner,
Sieh’ der Mutter Blumenkranz!“

Die Schillerstatue zu Marbach, deren Abbildung die „Gartenlaube“ bereits in Nr. 19 gebracht, ist eine in jeder Beziehung gelungene, was Entwurf wie Ausführung anbelangt. Berichtigend muß hier noch hinzugefügt werden, daß nicht Professor Dollinger, wie dieses Blatt fälschlich in der Unterschrift zum Denkmal angegeben, sondern Pelargus die Statue nach Rau’s Entwurf ausgeführt hat. Der Bildhauer hat Dannecker’s Kolossalbüste seinem Schillerkopf zu Grund gelegt. Die Auffassung ist eine schlichte, aber würdige; hier ist der Mensch Schiller mit dem Dichter auf’s Wohlthuendste vereint.

Der „erzene“ Schiller dankt seine Entstehung dem eben erwähnten kunstreichen Meister Pelargus zu Stuttgart. Als der jetzt im besten Mannesalter stehende Meister kaum dem Knabenalter entwachsen war, wohnte er der Enthüllung des Stuttgarter Schiller-Denkmals bei, und als die Hülle desselben fiel und die Glockenklänge über die Stadt hinbrausten, da fiel auch ein zündender Gedanke in den jungen Kopf. „O, daß Du auch einmal so etwas schaffen dürftest – einen Schiller!“ Sprach’s und ging, um Kunstgießerlehrling zu werden, und ward ein Meister. Welch einer, sagt sein Werk zu Marbach, die Erfüllung seines glühendsten Wunsches.

Die Statue erhebt sich auf einem Piedestal, dem Werk des Professors Dollinger. Zum Steinsockel, der äußerst styl- und geschmackvoll ist, führen mehrere Stufen, welche unten von einem eisernen Gitter, dessen vier Ecken Steinvasen schmücken, abgeschlossen werden.

Die scharfen Kanten des Postaments tragen vier tragische Masken; die flachen Seiten zeigen vier Felder mit Städtenamen, die für Schiller bedeutungsvoll waren, und entsprechende Inschriften von denen zwei des Dichters eigenen Werken, eine denjenigen Goethe’s entnommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_375.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)